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Lamm, nicht Tiger

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Wer füllt den Platz des an der Liebesbotschaft des Evangeliums orientierten Theologen Hans Urs von Balthasar, der 1988 knapp nach der Ernennung zum Kardinal gestorben ist?

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Wer füllt den Platz des an der Liebesbotschaft des Evangeliums orientierten Theologen Hans Urs von Balthasar, der 1988 knapp nach der Ernennung zum Kardinal gestorben ist?

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Der Erfinder der „cyrillischen“ Schrift hat erst in den letzten paar Wochen seines bewegten Lebens in Rom den (Mönchs)Namen getragen, unter dem ihn jeder in der Christenheit kennt. Vielleicht wird es mit Hans Urs von Balthasar ähnlich sein: Auch er ist erst ganz am Schluß seines 83jährigen Lebens -gegen seinen Willen - Kardinal geworden. Wie immer: Die Ehrenbezeichnung würde gut auf den Verfasser der „Herrlichkeit“ passen, der Dürers „Hieronymus im Gehaus“ (mit dem an den Nagel gehängten Kardinalshut) so meisterhaft und gläubig erklärt hat. Auch deswegen, weil .Kardinal' etymologisch mit „cardo“ (lateinisch Angel) zu tun hat - ein Drehpunkt zwischen Kirche und Welt, mit fester Verankerung in beiden.

Das Werk von Balthasars ist in wesentlichen Teilen im eigenen (Johannes)Verlag erschienen -neben Übersetzungen, Mystiker-Editionen, Dichtungen und kleineren Reihen mit gelegentlich auch polemischen Schriften. Die Verlagslinie - Aufarbeitung der Tradition und Argumentation des Glaubens in einer neuen Zeit - war von Anfang an klar und wurde als revolutionäres aggiornamento empfunden, zwang sie doch den Katholizismus, allzu gewohnte, formalinstitutionelle Glaubensbegründung aufzugeben und den Inhalt des Evangeliums und der gesamten kirchlichen Überlieferung neu zu fassen, neu auf den Punkt zu bringen.

Mit dem „Paradigmenwechsel“ der universitären Theologie - betreffend ihre kirchliche Verbindlichkeit - wurde der Schweizer ohne Lehrstuhl mehr ins konservative Eck gestellt. In Wirklichkeit ist er wohl nur sich und seiner Berufung treu geblieben. Während des Konzils hat er den katholischen (und jeden) Integralismus vom Schlag des „Opus Dei“ mit dem geflügelten Wort abgewehrt, Jesus sei nicht als Tiger gekommen, sondern als Lamm; die letzte Veröffentlichung zu Lebzeiten, ein Artikel in der pastoraltheologischen Zeitschrift „Diakonia“, gilt demselben Thema und ist nicht weniger eindeutig (FURCHE 27/1988). (Und unter den kirchlichen Verhältnissen von

1988 erforderte es gewiß nicht weniger Mut, seine Meinung zu Absichten und Methoden zu äußern, die wie eine Neuauflage der Irrtümer anmuten, für die der Jesuitenorden so schwer gebüßt hat.)

Von Balthasar war übrigens selbst eine Zeitlang Jesuit; 1950 ist er dem Orden, man möchte sagen, entwachsen, in dem Henri de Lubac sein wichtigster Gefährte war. Die Zeichen der Zeit stehen auf „Säkularinstitut“, auf dem Volk Gottes, bestehend aus Personen, die Christus ergriffen und aller Macht- und Einfluß-Krücken entledigt hat.

Um eine Idee von der Art und Anlage der Theologie Hans Urs von Balthasars zu geben, muß man sich zuerst vor Augen halten, daß in unseren westlichen Kirchen den Theologen jahrhundertelang der Logiker und Systematiker als Vorbild galt. Der Autor von Titeln wie „Theodramatik“ hat den Spieß umgedreht. Er läßt Dichtungen als theologische Argumente gelten, er beansprucht Inspiration nicht nur in der Theorie - bei aller soliden Fundamentierung durch Sekundärliteratur.

Man könnte versuchen, Leitsätze für den Gang durch dieses als schwierig verschrieene CEuvre von über 70 Buchtiteln (darunter die vielbändigen Summen „Herrlichkeit“, „Theodramatik“ und „Theologik“ und die vier Bände „Skizzen zur Theologie“) zu formulieren. Sie könnten etwa lauten: Erstens: Man muß Gott Gott sein lassen, und zweitens: „das Beste der Kirche den Christen und NichtChristen verständlich machen“, wie es auf dem Dankkärtchen an Gratulanten zur Kardinalserhebung heißt, das sein Testament geworden ist.

„Das Beste“: Gemeint ist die Kernreaktion der Liebe, für die der Name Jesus Christus steht. „Man muß Gott Gott sein lassen“: Eine Voraussetzung des Denkens und Verstehens, die sowohl in der kos-mologischen Reduktion der nachantiken Theologie (bis in die Renaissance herauf und hin zu Teil-hard de Chardin) zu kurz kommt als auch in der anthropologischen Reduktion der Neuzeit. Der wirkende Gott, das „Du“, der „Andere“, der die Erfahrung aller nicht systematischen Theologen war und ist, kommt weder so noch so in Betracht - Johannes vom Kreuz,

Therese Martin, Pascal als Autoritäten auch der wissenschaftlichen Theologie.

Im Vorfeld des großen Konzils hat von Balthasar einem Bischof den „größten Theologen des 20. Jahrhunderts“ ans Herz gelegt -Charles Peguy: Kein Wunder, daß er doch nicht Konzilsperitus geworden ist. Im „Mysterium salutis“, dem Gemeinschaftswerk, mit dem die deutschsprachigen Theologen die Summe des Konzils gezogen haben, stammt freilich der zentrale Teil von ihm, die sogenannte „Theologie der drei (österlichen) Tage“.

Diese nicht ganz 200 Druckseiten rücken in die Nähe des Begriffs, der Faßbarkeit - für den Glaubensbereiten -, was die Verehrung für die historische Person Jesu, was die Glaubensforderung, das Dogma und die Evangelisierung der Welt begründet. Zum Erlöser konnte nur werden, wer auch zur (aktiven) Verstoßung sein Ja sagte, auch in der äußersten Verlassenheit am Du Gottes nicht verzweifelte; das heißt: Wer Gott war, ist und bleibt. Das Dunkel des leeren Grabes, dessen ebenso entsetzliche wie befreiende Herausforderung der ursprüngliche Markus-Schluß noch ganz deutlich verrät, birgt das Licht, das „nicht von dieser Welt“ ist, enthält Erlösung, ausreichend für die Dunkelheiten des Menschen und seiner Geschichte. „Kenosis“ hat Balthasar diesen Punkt genannt, an dem Kreuz und Auferstehung zusammenfallen und die Kirche - wie ein vielfältiges Echo - ihren Ursprung hat.

Warum diese Ent„leer“ung, Entäußerung Christi mit dem Verstand schwer zu erfassen und andererseits für Kirche und Glauben so zentral ist, wird meines Erachtens und meinen bescheidenen Balthasar-Kenntnissen nach noch immer am besten deutlich in „Glaubhaft ist nur Liebe“, einer kleinen mehrfach aufgelegten Schrift aus den sechziger Jahren, die als methodischer Schlüssel zur „Herrlichkeit“ gedacht war. Herrlichkeit ist demnach das Ansichtig-, das Offenbarwerden der Liebe Gottes, am offenbarsten eben im triduum mortis.

Transzendentale christologische Ansätze, etwa Rahners oder Ratzingers, hat Balthasar als der Herrlichkeit gegenüber unzureichend empfunden. War er doch einer der wenigen Theologen, der ausdrücklich und immer wieder die überkonfessionelle Bedeutung von Kirchenlehrern des 20. Jahrhunderts wie Eugen Rosenstock, Ferdinand Ebner und Martin Buber unterstrichen hat. Von diesen hat er das Rüstzeug, um Gott Gott sein zu lassen, auch als Theologe.

Sein Maßstab bei der Beurteilung der zeitgenössischen Geistesströmungen lautete etwa so: Sind sie imstande, sich angesichts des Christusgeheimnisses zu relativieren? Bereits in den dreißiger Jahren begann er mit seiner „Schleifung der Bastionen“ als Verfasser der „Apokalypse der deutschen Seele“. Ein großer Bernanos-Essay, die Claudel-Übersetzung und andere Zeugnisse einer großen Vertrautheit mit der Gegenwartsliteratur und -philosophie haben dem gebürtigen Luzerner in der Romania, besonders in Frankreich, den Ruf einer Zentralsonne der Zeit- und Gesellschaftskritik weit über katholische oder gar fachtheologische Zirkel hinaus eingebracht. Im deutschen Sprachraum, wo der Respekt vor Fachgrenzen gelegentlich intelligenzschädigende Ausmaße annimmt, ist er auf seine alten Tage wieder mehr zum Geheimtip und wie gesagt mit dem Stempel ,konservativ versehen worden.

Die katholische Kirche steht in einer Phase der von oben verordneten und an den Rändern nur allzu willkommenen Reaktion. Viele sind dagegen wehrlos, weil positivistische Voraussetzungen ihnen den Zusammenhang zwischen Christus und Kirche verstellen, der Balthasar zu einem programmatischen Titel inspiriert hat: „Die Wahrheit ist symphonisch“. Wenn jemand so die Traditionsquellen der Kirche zum Fließen bringt wie der Herausgeber der „Großen Ordensregeln“, dann hat seine Ablehnung jeder Form des vereinnahmenden, inte-gralistischen, entmündigenden, auf äußere Formen pochenden Katholizismus einfach mehr Gewicht.

Wer stellt die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Evangeliums und der Kirche über alle Konfessionsgrenzen hinweg heute und beantwortet sie, in Verantwortung, im Hören auf diese Welt des beginnenden dritten Jahrtausends nach Christus? Nicht nur versuchsweise; lieben kann man nicht auf Probe.

Es wäre ein gutes Omen, daß in unserer Zeit der herz- und hirnbewegende Christus des Katholiken Hans Urs von Balthasar aufersteht, der weit in die Orthodoxie und den Kern ostasiatischer Religion hineinstrählt - während zugleich von Protestanten (Taize) traditionell .katholische' Themen wie Mariolo-gie und Ekklesiologie neu aufgearbeitet werden. Aber schwerste innerkirchliche Friktionen in der Ersten und in der Dritten Welt widersprechen solchen verheißungsvollen Anzeichen auf das deutlichste. Was ist der Sinn des nahenden Dunkels - gegen alle billigen, seichten Harmonisierungsversuche?

Vielleicht kann Glaubwürdigkeit erst wieder entstehen, Herrlichkeit erst wieder ansichtig werden in einer wirklich „arm“ gewordenen Kirche - schon materiell ist sie es erst zum Teil; aber auch psychisch und hierarchisch wartet auf den Christen ein Grab, das keines bleibt, das zum Schoß des Glaubens wird.

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