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Land der Begegnung

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Für jemanden wie mich, der zeitweise Teilnehmer und immer Beobachter der Nachkriegsgeschichte war, ist es anspornend, auf einige der Leistungen Österreichs am 25. Jahrestag der' Staatsvertragsunterzeichnung zurückzublicken.

Leistungen wurden beim Wiederaufbau im eigenen Land und im internationalen Status erzielt. Wer deren Ausmaß bezweifelt, erinnere sich, wie ich, des Österreichs zu Kriegsende mit seinen aufgewühlten Straßen und leeren Geschäften im Wien des Jahres 1945, der Hauptstadt eines von fremden Mächten besetzten, vor einer unsicheren Zukunft stehenden Landes.

Sicher hing das Tempo des Wiederaufbaues bis zu einem gewissen Grad von außerösterreichischen Faktoren wie der Wirtschaftshilfe durch den Marshall-Plan und in entsprechendem Ausmaß auch dem frühzeitig gewährten britischen Holzkredit ab. Wichtiger aber noch waren politische Entschlossenheit und wirtschaftliches Urteilsvermögen.

Die Koalitionsregierung unter Männern wie Figl und Raab. Schärf und Helmer lieferte die nötigen Voraussetzungen. Der unter anderem mit dem Namen Karnitz verbundene wirt-schafts- und finanzpolitische Kurs konnte auf die Unterstützung der Gewerkschaftsbewegung zählen.

Obwohl die Logik die konsequente Verfolgung des einen oder anderen politischen Programms nahezulegen scheint, sieht es aus britischer Sicht so aus, als ob der größere Fortschritt in diesen Nachkriegsjahren damals von jenen erzielt worden wäre, die die besten Elemente einander widersprechender Lehren kombinierten: freie Wirtschaft und staatliche Kontrolle, Freiheit ebenso wie Gleichheit, das Kleine und das Große.

Jedenfalls hatte der britische Außenminister Ernest Bevin schon 1949 so viel Vertrauen zu Österreich, daß er mir zu Verhandlungen im Alliierten Rat und anderswo einen einzigen Satz als Weisung mitgab: „Mischen Sie sich nicht ein und tun Sie, was Sie können, daß sich auch andere nicht einmischen”.

Mittlerweile hatten bis 1955 rund 390 Treffen auf verschiedenster Ebene stattgefunden, bis der zeitweise für unmöglich gehaltene Staatsvertrag Wirklichkeit wurde.

Einige Jahre später gab mir, weit weg von Europa, einer der offiziellen russischen Unterhändler seine Erklärung, die ich bei ihm weder” gesucht noch erwartet hatte. Hier ist sie, was immer sie wert sein mag:

Zur Stalin-Zeit, sagte er, hatten die sowjetischen Unterhändler eine EinWort-Direktive: „Nein”. Es war ihnerl überlassen, dafür jedesmal Gründe zu finden. Immer wiedergingen die westlichen Alliierten auf die sowjetischen Einwände ein, und immer wieder mußten die russischen Unterhändler, was ihnen selbst peinlich war, neue Einwände vorbringen.

Warum, fragte ich, hatte Stalin diese Direktive gewählt? Weil Stalin, so mein Informant, davon überzeugt war, daß letztlich die kapitalistische Welt gegen den Kommunismus zum Krieg antreten würde und in einem solchen jeder Kilometer zählen würde.

Aber nach Stalins Tod und Chruschtschows Aufstieg änderten sich die Ansichten und auch das Verständnis des Wesens des Atomzeitalters. Für den Staatsvertrag bot sich eine Chance, und die österreichische Regierung besaß die Weisheit und den Mut, diese zu ergreifen.

Es ist vor allem klar geworden, daß ein neutraler, unabhängiger, politisch weder mit einem Militärpakt noch mit der Dritten Welt verbündeter Staat Einfluß ausüben kann. Österreich hat bewiesen, daß es sich als Land der Begegnung zum Zweck der Lösung von Problemen und der Förderung wechselseitigen Verstehens ejgnet.

Österreich hat auch seinen Teil zur Förderung der Entspannung oder, wie die Russen sagen, der „Minderung der Spannungen” zwischen Ost und West innerhalb seiner Möglichkeiten beigetragen.

Viele Länder werden mit Ihnen diesen 25. Jahrestag feiern wollen - keines lieber als Großbritannien, dessen traditionell guten Beziehungen mit Österreich durch die Tatsache unterstrichen werden, daß unser gegenwärtiger Botschafter in Wien, Mr. Donald Gordon, selbst Sekretär der britischen Botschaft zur Zeit der Unterzeichnung des Staatsvertrages war.

Diese lange Tradition hat auch die Britisch-Österreichische Gesellschaft gefördert, deren Wurzeln in den dunkelsten Kriegstagen liegen, als österreichische Emigranten in London zusammen mit britischen Freunden Möglichkeiten einer Unterstützung der Wiedererrichtung eines freien, unabhängigen und demokratischen Österreichs berieten.

25 Jahre sind für ein Land wie Österreich mit einer langen Geschichte nur eine kurze und willkürliche Zeitspanne. Daher geziemt es sich, an diesem Gedenktag nach den Zeichen der Zukunft Ausschau zu halten.

Naturgemäß kann sich Österreich nicht von der übrigen Welt absondern und auch künftig wird viel von einem Andauern der wirtschaftlichen und politischen Stabilität in Österreich selbst abhängen. Gemessen an Österreichs Leistungen in den Nachkriegsjahren, sollte es viele Gründe für Zuversicht geben.

Der spätere Sir Harold Anthony Caccia kam im November 1949 als britischer Gesandter nach Wien, wurde 1950 Hochkommissar und war von 1951 bis 1954 Botschafter in Wien. Lord Caccia gehört heute dem Oberhaus in London an.

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