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Land des Lächelns
Immer wieder heißt es umlernen, mit der Zeit gehen - und sie ist eine tüchtige Marschiererin. Da hatte man doch seine Mitbürger in den österreichischen Erblanden immer als ein fröhliches, friedliches, höfliches Völkchen rühmen gehört und war auch gern bereit gewesen, nur das Beste von ihnen zu halten. Doch siehe da: der Fortschritt marschiert.
Heimkehrend aus dem Ausland — sagen wir aus dem Urbanen Hamburg -, muß man sich erst
wieder zurechtfinden. Die erste Straßenszene stellt ein Wachmann, der eine junge Fußgängerin bei dem Versuch, die Straße noch schnell bei Lichtwechsel zu überschreiten, „betreten" hat. Er macht sie wie einen Rekruten herunter. Wien, die höfliche Stadt?
Man erinnert sich da mit einem Seufzer der langen Kerls draußen, mit ihrem weißen Lederzeug, die gemessen ihre Mahnungen ausgesprochen hatten. Man denkt an den Taxichauffeur, der über einen irren Privatfahrer nicht mit einer Schimpfkanonade hergefallen war, sondern nur nüchtern
festgestellt hatte: „Der Mann hat sein* Kopp auch bloß für'n Hut." Und hier, im Land des Lächelns? Soll nur einer einmal versuchen, einem Taxler in die Quere zu kommen.
Die grenzenlose Höflichkeit, die war einmal. Sie hatte ihre Dekadenz in den dreißiger Jahren. Ihr folgte der Aufbruch in den Massenstaat, wobei aber die Umgangsformen des Kurialen noch nachwirkten — auch als Gegenkonzeption gegen die Invasoren schlechter Gesittung aufrecht erhalten. Der Krieg verschüttete das.
Wie die neuerweckte alte Kunst des Abstrakten kam auch ein Aufguß guter Erziehung in den fetten Jahren nach den Nachkriegsjahren auf den Tisch, aber heute hat sich das wieder eingependelt. Man ist dickfellig geworden, etwas Neues hat sich eingeschlichen. Offenbar wird eine
neue Gesellschaft mit Aufgaben der Selbsterziehung belastet, denen sie nicht gewachsen ist. Oder lag es schon immer im Charakter? An zwei kleinen Beispielen soll es nachgeprüft werden.
Da ist die gern erzählte Mär vom Wiener Schuhmachermei- • ster, der eines schönen Tages seinen Laden zusperrt und an der Tür anschreibt: „Wegen Arbeitsunlust geschlossen." Sie mag nicht wahr sein, aber sie hat mancherlei innere Wahrhaftigkeit: daß hier, in einer der letzten Zufluchtsstätten der alten Welt, noch Käuze gefunden würden, die Arbeit nicht als Lebenszweck ansehen.
Schön und gut. Drehen wir die Medaille einmal um. Läßt sich aus solcher Haltung nicht am Ende Mißachtung des Nebenmenschen ablesen, der seine frisch besohlten Schuhe schon dringend braucht?
Auch eine ähnliche Geschichte
hat ihre zwei Seiten. Da hängt ein Geschäftsmann ein Schildchen hinaus: „Wäre am Nachmittag wieder da." Offenbar hat er eine dringende Besorgung machen müssen, das läßt sich verstehen. Aber er schrieb nicht: „Bin wieder da", nein, ich „wäre wieder da". Offenbar ein einsichtiger Mensch, der nichts behaupten will, was sich am Ende nicht bewahrheitet. Ein Mann mit metaphysischem Rechtsgefühl also. Bravo! Bravo?
Dieser sonderbare Konjunktiv heißt nämlich auch etwas anderes: man soll sich niemals festlegen. Das bringt Scherereien. Die schiefe grammatikalische Form läßt Hintertüren offen. Sie offenbart das Mißtrauen des Geschäftsmannes, er traut keinem mehr und sich selber nicht. Man hat so seine Erfahrungen. Und das ist's: Aus ihnen hat sich das Rabauken-tum entwickelt, welches dem schönen Klischee vom fröhlich-
friedlich-höflichen Völkchen so gar nicht entspricht.
Man ist nicht anders als anderswo. Man war es einmal. Man ist besser als manche, aber oft auch ekliger als andere. Farkas hat es einmal recht ' treffend ausgedrückt: „Österreich ist das Land, das sich von Deutschland durch die gemeinsame Sprache unter-. scheidet."
Diese gemeinsame unterschiedliche Sprache erweckt falsche Vorstellungen. Sie klingt verbindlicher, als sie ist, in ihr schwingt eine Duldsamkeit nach, die im Charakter nicht mehr existiert. Leider: den eigenen Landsmann täuscht man damit nicht.
Es war einmal, er hat's erlebt. Und jetzt muß er's erleben. Zum Beispiel, daß die Post ihm während einer Abwesenheit und trotz Nachsendungsauftrag ein Telegramm einfach in den Blechkasten wirft. Wogegen ihm dieses wie ein hellstrahlendes Phänomen erscheint: Er hatte einem Freund in München seine Ankunft telegraphiert, worauf von dort per Draht eine Antwort — nicht des Freundes, sondern der Postverwaltung — eintrifft, der Adressat sei ohne Adressenangabe verreist.
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