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Landesverteidigung in Österreich: Die Politiker verschläft die Krise

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Die Landesverteidigung ist weiterhin kein Thema für konsequente und tiefer gehende Diskussionen in Österreich. Das wirft die Frage auf, wie rasch die Bereitschaftstruppe nach Alarmierung losfahren kann. Doch über das Thema wird geschwiegen.

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Die Landesverteidigung ist weiterhin kein Thema für konsequente und tiefer gehende Diskussionen in Österreich. Das wirft die Frage auf, wie rasch die Bereitschaftstruppe nach Alarmierung losfahren kann. Doch über das Thema wird geschwiegen.

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Als vor nicht ganz zehn Jahren unser Nachbarstaat Tschechoslowakei in den zweifelhaften Genuß brüderlicher Hilfe aus dem sowjetischen Osten kommen durfte, hatten die Informationsoffiziere im Bundesministerium für Landesverteidigung wochenlange Vorahnungen: Daß eine Invasion der CSSR in Frage kommt, wußten sie. Dennoch erfuhr die damalige Regierung Klaus, die sich vor die plötzliche Notwendigkeit zu militärischen Sofortentscheidungen gestellt sah, die Neuigkeit auf kuriosem Wege: Zollwachebeamte, die mit ihren durchaus menschlichen Ohren den Eisernen Vorhang belauschten, meldeten massierte Panzergeräusche nach Wien: „Da muß was im Gange sein ...“

Daß hier nicht alles stimmt, braucht wohl nicht erst festgestellt zu werden. Führende Militärs (Armeekommandant Emil Spannocchi) weisen immer wieder darauf hin, daß es genüge, wenn die Bereitschaftstruppe innerhalb von 24 Stunden mobilgemacht sei, da sich Krisensituationen schon Wochen vor ihrem Ausbruch ankündigten. Dieses Argument zieht jedoch nur dann, wenn Vorsorge getroffen ist, daß Krisensituationen frühzeitig erkannt, militärisch wie politisch richtig eingeordnet und durch klare politische Entscheidungsfindungen auf möglichst breiter Basis begegnet werden.

Davon kann derzeit keine Rede sein.

Auf einer ÖVP-Enquete zum Thema „Umfassende Sicherheit“ befaßte sich letzten Freitag ein Arbeitskreis unter Leitung von Univ.-Dozent Dr. Andreas Khol mit dem Thema „Staatssicherheit“. Die bei dieser Gelegenheit aufgestellte Forderung nach einem „Nationalen Sicherheitsrat“ steht im Dienste der bis heute total verharmlosten Notwendigkeit, daß in einer Demokratie im Krisenfall die Militärs nur dann spuren können, wenn zuvor die Politiker spuren.

Im Gegensatz zum Landesverteidigungsrat, der ja nur beratende Funktion hat, soll der Nationale Sicherheitsrat eine umfassende Befehlsgewalt besitzen, die bis zum Erlassen gesetzesvertretender Verordnungen reicht. Diesem Rat, der unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers tagt, sollen die Führer der im Parlament vertretenen Parteien, Vertreter der Bundesländer und ein Beamtenmanagement angehören. Als ersten Punkt müßte der Nationale Sicherheitsrat ein Modell entwickeln, wonach von der Feststellung krisenhafter Entwicklungen bis hinunter zur Alarmierung der Bereitschaftstruppe, der Landwehr, der Bevölkerung usw. ein Rad reibungslos ins andere greift. Als einzelne Schritte stellt sich Andreas Khol vor:

  • Ständige Beobachtung der Weltlage unter Weitergabe der Informationen auch an die Opposition. Derzeit erfolgt eine solche Beobachtung vom Außenministerium und vom Verteidigungsministerium unabhängig voneinander.
  • Aufspüren der sich zusammenbrauenden Krisen durch einen obersten Planungsstab. Derzeit gibt es Ansätze dazu im Verteidigungsministerium, das Außenministerium befaßt sich damit nicht.
  • Feststellen der Krise durch eine Informationsstelle (etwa: „Mobilmachung in der CSSR“). Derzeit gibt es eine solche nur ansatzweise im Verteidigungsministerium.
  • Beratung und Entscheidungsfindung über die Meldungen aus der Informationsstelle in einem Krisenstab, dem in der Verfassung vorzusehenden Nationalen Sicherheitsrat. Dieser Sicherheitsrat hätte nun die Aufgabe, an Hand vorbereiteter Check-Listen, je nach Krise, für die Verwaltungen aller Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden) bindende Anweisungen zu beschließen.

Das derzeitige Krisenmanagement, gekennzeichnet durch fehlende wie unübersichtliche Kompetenzen, ist nicht zuletzt ein unerwünschtes Kind der politischen Umstände der Ersten Republik: In der damaligen Bürgerkriegsatmosphäre hätten die Sozialisten durch zu klare Richtlinien für den Fall innerer oder äußerer Unruhen in erster Linie die Freiheiten ihrer Parteigänger bedroht gesehen. Daher sind wir auch heute von einem Ineinandergreifen von Sicherheitspolitik, Verteidigungspolitik und Außenpolitik, von einer integrierten Planung, in die Bund, Länder und Gemeinden sowie die Opposition eingebunden sind, weit entfernt. Daher kann auch heute nach der Krise im Nachbarland das Chaos im eigenen Land ausbrechen, weil nicht klar ist, welcher Politiker welchem Beamten eine Weisung erteilt.

Bleibt nach alldem immer noch die Feststellung, daß der Zustand unserer militärischen Landesverteidigung kein Tabu sein darf, wie es die verantwortlichen Politiker manchmal gerne hätten. Das Argument, in keinem Staat würden militärische Geheimnisse so breitgetreten wie in Österreich, zieht nicht. Zumal Österreich kaum militärische Geheimnisse besitzt (es sei denn, der Bevölkerung gegenüber). Über die Qualität unserer Luftabwehr, die Kampftauglichkeit der österreichischen Panzer und den Ausbildungsgrad der Truppe wissen Warschauer-Pakt und NATO zumindest genauso Bescheid wie Österreichs Verteidigungsminister; schließlich gibt es für all die Dinge internationale Standards.

Warum also sollte man sich einen Maulkorb umhängen lassen?

Obwohl die militärischen Anstrengungen und das Herz des Armeekommandanten eher der Landwehr gelten (wo sicherlich auch schon Erfolge erzielt werden konnten), sieht es bei der Bereitschaftstruppe nicht so schlecht aus, wie die Pessimisten behaupten, freilich auch nicht so gut, wie die Optimisten meinen: Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen. ÖVP-Wehrsprecher Dr. Heinrich Neisser meint generell: „Das, was verkauft wird, hat nicht jene Qualität, mit der es angepriesen wird.“

Bei der 1. Panzergrenadierdivision, die letztlich das Rückgrat der Bereitschaftstruppe darstellt, ist deren Kommandant Oberst dG Dr. Tretter bemüht, aus dem vorhandenen Material und dem vorhandenen Kader ein Optimum herauszuholen. Sein persönlicher Erfolg: Seit einiger Zeit steigt die Kurve der „Längerdienenden“, der Unteroffiziere und der Offiziere wieder kontinuierlich an. Der tatsächliche Kaderstand kommt mit 65 bis 70 Prozent an den Sollstand heran. Beim Panzerbataillon 1 in Wiener Neustadt sind sogar 80 Prozent vom Plansoll erreicht. Daß die nicht vollständige personelle Einsatzbereitschaft eine „Un-schönheit“ darstellt, weiß auch Oberst Tretter: „Ich bin nicht zufrieden. Ein Kommandant, der zufrieden ist, sollte in Pension gehen.“

Ein anderes Kapitel ist die materielle Einsatzbereitschaft. Hier zeigt sich der Divisionskommandant recht zufrieden, wobei er freilich lebhaft betont, als Beamten bleibe ihm ohnedies keine andere Wahl, als aus den vorhandenen Möglichkeiten das Beste herauszuholen: Mit Ausnahme des Panzerbataillon 14 in Wels verfüge die Division über eine „durchaus moderne Ausrüstung, die dem internationalen Standard standhält“.

Größtes Sorgenkind ist wie gesagt das Panzerbataillon 14 in Wels: Hier sind noch jene amerikanischen Panzer M 47 im Einsatz, die 1957 in Österreich erstmals bei Militärparaden mitfuhren. In einer Anfragebeantwortung an ÖVP-Neisser gab auch Verteidigungsminister Rösch zu, daß zum Stichtag 11. April 1978 von 60 Panzern der Type M 47 nur 31 (!) einsatzbereit waren. Bei den moderneren M 60, mit denen die Bataillone in Zwölfaxing (33) und Spratzern (10) ausgerüstet sind, waren von 113 Stück immerhin 103 einsatzbereit.

Auch nach Ansicht von Minister Rösch kann mit den überalterten M 47 höchstens noch zwei Jahre das Auslangen gefunden werden. Bis dahin halten die kürzlich in Graz ausrangierten M 47 - das Panzerbataillon 4 hat auf Jagdpanzer Kürassier umgerüstet - in Wels als lebende Ersatzteillager her. Oberst Tretter: „Aus drei mach eins...“ Nach der von Rösch zugestandenen Galgenfrist von zwei Jahren werden auch in Wels aller Voraussicht nach modernere M 60 stehen. Ebenso wird aber bis 1980 entschieden sein müssen, welches Gerät dem mittleren Kampfpanzer M 60 nachfolgen wird. Denn dessen Lebensdauer ist auch mit dem Ende der achtziger Jahre begrenzt.

Zusätzlich ist die Division noch mit zwei Jagdpanzer-Bataillonen ausgestattet: Das Panzerbataillon 7 in Sie-zenheim (Salzburg) und das Panzerbataillon 1 in Wiener Neustadt. Dieser aus österreichischer Produktion stammende Jagdpanzer ist zwar ein modernes, sehr wendiges Fahrzeug, das aber den mittleren Kampfpanzer niemals ersetzen wird können (mehrfach war auch davon die Rede): Die Kanone des Kürassier kommt mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 800 Meter pro Sekunde an jene des M 60 nicht im entferntesten heran (1450 Meter pro Sekunde). Neben den Kampfpanzern verfügt jede der drei Panzergrenadierbrigaden über ein mit Saurer Schützenpanzern ausgerüstetes Panzergrenadierbataillon (Horn/Weitra, Ried und Großmittel). Hierüber wird kaum Klage geführt.

Ein weniger erfreuliches Kapitel ist die Ausstattung mit Panzerartillerie: Die 4. Brigade verfügt über keine Artilleriepanzer. Die beiden anderen Brigaden sind mit je einer Artillerieabteilung (den modernen M 109) ausgestattet. AuflJdem PHegerabwehrsektor wäre neues Gerät auch dringend-geboten: Die Fla-Panzer M 42 sind genauso alt und gebrechlich wie die Kampfpanzer M 47.

Ein weiterer sensibler Punkt, der auch einmal angesprochen werden muß, ist die Munitionsversorgung der Bereitschaftstruppe: Die schwere Panzermunition lagert (aus Sicherheitsgründen) außerhalb der Kasernen - teilweise mehrere dutzend Kilometer vom Garnisonsort entfernt: Das nächste größere -Munitionslager für die „10er“ in Spratzern (St. Pölten) befindet sich beispielsweise in Großmittel (bei Wiener Neustadt) bzw. in Stadl-Paura in Oberösterreich. Es erhebt sich doch die Frage, ob solche Munitionslager nicht doch näher bei den Garnisonen liegen könnten und ob in den Kasernen selbst nicht wenigstens für Alarmmunition vorgesorgt sein sollte.

Daß trotz aller Bemühungen der Truppenoffiziere der Zustand der Bereitschaftstruppe heute ein besserer sein könnte, liegt auch daran, daß die wesentlichen Rüstungsentscheidungen (Kürassier, Saab 105, radargesteuerte Fliegerabwehrkanonen) noch immer aus der Ära Prader stammen; ferner daran, daß in den letzten Jahren die Landwehr im Vordergrund stand und übersehen wurde, daß doch gerade die Bereitschaftstruppe im Neutralitäts- wie im Verteidigungsfall mit der Landwehr eng kooperieren müßte (Einsatz in der Raumverteidigung).

Für die Zukunft wäre es lehrreich, größere Alarmübungen einschließlich Mobilmachung der Reservisten durchzuexerzieren. Oberst Tretter führt solche Mob-Ubungen derzeit in Eigenregie durch: Jedes Jahr wird in jeder Brigade ein Bataillon mobilgemacht, wobei die Reservisten durch Grundwehrdiener anderer Einheiten dargestellt werden. Echte Mobilmachungen, die die Regierung beschließen müßte, würden ein klareres Bild wie eine bessere Bewußtseinsbildung ergeben. Ebensolches gilt für probe-weises Durchexerzieren des politischen Krisenmanagements.

Alarmübungen wie jene vor drei Wochen hingegen beweisen gar nichts. Sie verwirren nur.

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