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Langes Warten auf die Heimat

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In dieser Zeit der Schlagzeilen und Sensationsmeldungen ist es um das Burgenland ziemlich still geworden. Ein gutes Zeichen. Diese Stille wird etwas durchbrochen werden, aber wieder nicht durch innenpolitische Sensationsmeldungen, sondern durch die Erinnerung an die 60jährige Zugehörigkeit des Burgenlandes zur Republik Österreich. Auch das ist ein gutes Zeichen, denn es deutet die erwähnte Stille. Sie hat nichts mit Apathie, Teilnahmslosigkeit oder Lethargie zu tun, sondern drückt die lärmlose Konsequenz von Menschen aus, die Leistung und ehrliche Arbeit schätzen und den Erfolg nicht um seiner selbst willen suchen.

Fallweise wird den Burgenländern unterstellt, um des wirtschaftlichen Fortschritts willen selbst den eigenen Lebens- und Erholungsraum zu zerstören. Man erteilt ihnen übereifrig Zensuren und wirft ihnen voreilig eine gestörte Beziehung zu Natur und Umwelt vor. Als negatives Paradebeispiel muß immer wieder der Neusiedler See herhalten. Mit verblüffender Selbstverständlichkeit wird die Tatsache übersehen, daß die Verbauung des Seeufers gemessen an den anderen Seen Österreichs minimal ist. Die Ausgaben für die Reinhaltung des Seewassers-allein für Kanalisation und Kläranlagen mußten die Seegemeinden über eine Milliarde Schilling aufbringen - werden ignoriert und mit präpotenter Einsichtslosigkeit als ungenügend bezeichnet. Alles, so heißt es, würde dem Fremdenverkehr untergeordnet.

Das Befremdliche und beinahe Kuriose an diesen Unterstellungen ist nicht nur die permanente Negation der burgenländischen Leistungen, sondern die Verkennung bzw. Verzerrung allgemein bekannter Relationen. Der Fremdenverkehr ist im Burgenland zwar ein sehr junger und erfreulich expandierender Wirtschaftszweig, spielt aber im gesamtösterreichischen Vergleich eine eher untergeordnete Rolle.

Im Jahr 1980 hat die Nächtigungszif- fer die Zweimillionengrenze erstmals überstiegen. Obwohl die Zuwachsraten seit Jahren deutlich über dem österreichischen Durchschnitt liegen, ist die Gefahr einer Uberwucherung oder Überfremdung, mit der andere Bundesländer längst zu kämpfen haben, im Burgenland nicht gegeben. Wir haben uns Grenzen gesetzt, die wir auf keinen Fall überschreiten werden.

Diese Grenzen entsprechen der burgenländischen Mentalität. Im Grenzland gehen Geschäfte mit Fremden schon aus historischer Erfahrung nicht gut. Die Beziehung zu ihnen wird durch Gastfreundschaft dominiert und nicht durch professionelle Geschäftstüchtigkeit. Ob man mit dieser Haltung in einer durch die überdrehte Konkurrenzsituation gekennzeichneten Welt bestehen kann, ist eine Frage, die sich Burgenländer nicht stellen.

Die besondere Geschichte des Landes ließ es nur selten zu, umständlich nach Antworten zu suchen. Also war es einfacher und zugleich besser, allen Fragen durch die Betonung der neu entdeckten burgenländischen Identität zu begegnen. Diese wurde zum eigentlichen Motor jener Anstrengungen, die aus dem schwer zuzuordnenden westungarisch-ostösterreichischen Grenzgebiet das jüngste österreichische Bundesland formten.

Man darf nicht vergessen, daß heute noch immer jene Generation lebt, die „nach Österreich“ arbeiten ging-unter Bedingungen, die man sich heute nur noch schwer vorstellen kann. In einem Land ohne eigene Verkehrsverbindungen, ohne Industrie, mit einem veralteten und beinahe ausschließlich privaten Schulwesen, in dem es neben einigen Großgrundbesitzern nur wenige lebensfähige landwirtschaftliche Betriebe gab, war man gezwungenermaßen zum Auswanderer oder Pendler geboren. Zu

Hause fast ebenso fremd wie am Arbeitsplatz, am Aufbau und bald danach am Wiederaufbau eines Staates beteiligt, den man unbedingt wollte, zu dem sich aber kaum Beziehungen herstellen ließen - das war die Startposition des Burgenlandes in die gemeinsame Geschichte der Republik Österreich.

Daß man dies alles so schnell vergessen konnte, ist trotz der Schneliebigkeit unserer Zeit ein kleines Wunder. Bewirkt wurde es durch die Entdeckung der burgenländischen Identität oder des burgenländischen Selbstbewußtseins. Es hat einige Zeit gedauert, bis wir begriffen hatten, daß wir der Geschichte trauen können; wir mußten erst Erfahrungen sammeln, bis wir verstehen konnten, daß es diesmal nichts Vorübergehendes ist.

Wir konnten bleiben und Fuß fassen, die Verlegung von Grenzen würde nicht wieder ohne unser Einverständnis und gegen unseren Willen die Frucht jahrelanger Arbeit vernichten. Wir hatten endlich nicht nur einen Lebensraum, einen zugewiesenen, sondern wir waren - zum erstenmal nach Jahrhunderten - daheim.

Diese Geschichte muß von anderen erst verstanden werden. Wir lassen ihnen die notwendige Zeit dazu. Wer jetzt schon bereit oder disponiert ist, das Burgenland zu begreifen, wird die ungeheuer große Aufbauleistung zu schätzen wissen. Unsere Industrie, unsere neuen Schulen, Kindergärten und Spitäler, unser dichtes Straßennetz - all das ist kein Gegensatz zu den alten Burgen, keine Usurpation wehrloser Natur.

Es ist die Heimat, die wir wollen und auf die uns die Geschichte so lange warten ließ.

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