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Digital In Arbeit

Laßt die Bilder kommen

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Bilderflut Bildsalat die Gesellschaft entwickelte nicht nur Bilderstürmerei, sondern auch eine mythologische Angst des Wortverlustes.

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Bilderflut Bildsalat die Gesellschaft entwickelte nicht nur Bilderstürmerei, sondern auch eine mythologische Angst des Wortverlustes.

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Das bisher magische, ja „heilige" Wort wird spätestens seit der industriellen Fotofertigung als gefährdet betrachtet. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" Horror aller Buchstabengläubigen. Das gesprochene Wort mit eminenter Gedächtnisleistung wurde durch den Buchdruck entkräftet, nun bangt die literarisierte Gesellschaft um den traditionellen Sinn angesichts der elektronischen biblia pauperum.

Film galt in der Geschichte des frühen Kinos mancherorts als „Teufelswerk": sittenverderbend, kulturgefährdend. Das Theater dagegen mußte den neuen und erfolgreichen Spuk zähneknirschend anerkennen.

Ähnlich erging es der herkömmlichen Filmkultur angesichts des sich epidemisch ausbreitenden Fernsehens. Bis heute ist das TV Prügelknabe und Sündenbock: es „zerstört" Familien, vereinsamt. Nach dieser Flimmerphobie nun die Computerherausforderung: die heutige Generation wächst vor dem Monitor heran. Jedes neue Medium produziert seine euphorischen und warnenden Propheten, Marshall McLu-han und Neil Postman sind die Spitzen ihrer Eisberge.

Schon winken die Verführungskünste von Virtual reali-ty und Cyber Space. Die Ära der perfekten Bilddroge ist angebrochen. Bewegte Bilder, einst als lebensechte Wiedergabemittel gelobt, erzeugen in ihrer medialen Beschleunigung nach Paul Virilio, dem letzten ihrer Propheten, den rasenden Bilderkrieg in den Köpfen der Menschen. Nach Baudrillard weicht das Informationszeitalter nun der Simulationsepoche.

Das altehrwürdige „Du

sollst Dir kein Ab-Bild machen" heißt nun: „Du kannst Dir kein Bild machen. Oder: Du kannst Dir nur falsche Bilder machen." Bilderzeugung statt Bildwiedergabe. Produktion statt Reproduktion. Die Phase der Unentscheidbarkeit von „Wahrheiten" hat die Theorie der Täuschung zu ihrer unumgänglichen Praxis werden lassen. Sich in das Unvermeidliche fügen?

Die professionellen Bildkünste reagieren jeweils auf ihre Weise - wie dies Kubismus und Dadaismus in ihrer multiperspektivischen Bildzertrümmerung anfangs dieses Jahrhunderts (die vom italienischen Futurismus noch vor 1914 proklamierte Verehrung der (Kriegs)technik feiert fröhliche Urständ) zeigten: Kultwort Collage.

Das Unvereinbare, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, der raumzeitliche Zusammenprall, die Auflösung statischer „Sinne" fanden so einen Ausdruck, den man heute auch durch das elektronische „Switchen" erreichen kann: die Kanalspringer erzeugen ein rauschhaftes Konglomerat von Bildwelten, die einander in rasanter Folge ablösen, konterkarieren und

ad absurdum führen. Alles ist möglich und denkbar, weil sich die Möglichkeiten der Bild-Verfügbarkeit gesteigert haben. Neben diesen quantitativen Aspekten rückt auch die Bildwürdigkeit ins Abseits gängiger Konventionen.

Die Zufälligkeiten des Alltags - bisher nur Marginalien der Genremalerei und Foto-'grafie - wurden durch die Popart endgültig museumsreif. Grundlage der schlichten Faktizität gegenüber ist ein fröhlicher Nihilismus, der keine Wertskalen der Abbildungskriterien angibt. Die bildliche Sinnvorgabe wird in den Betrachter verlagert, an ihm liegt es nun, Auswahl zu treffen und seine „Haltung" zu entwickeln. Dieser vielzitierte Wertepluralismus hat seine theoretische Logik, aber auch seine pragmatischen Schwierigkeiten. Nur das gutinformierte Individuum hat Macht über die Bilder. Wer die Spielregeln „beherrscht", kann sich Strukturen schaffen, die ihm Ordnung garantieren. Ein Großteil der Bildkonsumenten schwimmt ohne Rettungsring im Meer visueller Beliebigkeit.

Dies kann durchaus lustvoll sein; man läßt sich ohne Ver-

antwortung treiben, ohne Stellung beziehen zu müssen. Die Angst in der Unordnung zu ertrinken, ist seit einem halben Jahrhundert Diskussionspunkt von Künstlern und Pädagogen. Ohne Zweifel: das heranbrechende Computerzeitalter wird neue Muster und Kartierangen ermöglichen, es wird auch neue Reglementierungen und mentale Disziplinierungen einführen. Derlei ist in seiner grundsätzlichen Qualität nicht so neu. Jede Ausdrucksform pendelt zwischen traditioneller Festigung und grenzerweiternder Enttabuisierung. Zahlreiche Bildkünste igeln sich ein, schaffen sich eigene, überschaubare Universen, andere Bildkünstler (ehemals Avantgarde) öffnen sich den neuen Herausforderangen, auch auf die Gefahr, ihre bisherige Identität einzubüßen.

Das postmoderne „any-thing goes" ist nicht so sehr eine moralische Forderung, als vielmehr eine sachliche Feststellung. Die elektronische Gartenlaube mit ihren konventionellen Genres (Heimatserien, Quiz, Filmtypen und so fort) „läuft" ebenso wie futuristische Videoclips, Experimentalstreifen und in-

teraktive Verkabelungen. Die Bildkünste sind ohne das Netzwerk der Massenmedien eine quantite negligeable, prophezeit der österreichische Mediengura Peter Weibel.

Kein Zweifel aber auch, daß sich dem audiovisuellen Terror eine elektronische Askese entgegensetzen läßt, sowohl von der Produktions- als auch Rezeptionsseite. Minimal art und arte povera waren die ersten Aussteiger bildlicher Opulenz. Der Reduktionismus birgt die Gefahr rigider Sinnbeschränkung, der neue Rildmanierismus etwa eines Peter Greenaway hingegen offeriert dem Zeitgenossen Labyrinthe der Sinnlichkeit und Gelehrsamkeit, die sich der schnellen Konsumtion entziehen. Mehr denn je stehen die Bildermacher im Spannungsfeld von lebensnaher Vitalität und den neuen immateriellen Kopfgeburten der technischen Zivilisation. Es braucht viel Liebe und Geduld, aber auch eminentes Wissen, den Seiltanz weiterzuführen.

Josef Schweikhardt,

1949 in Wien geborener Autor, ist seit 1974 Lektor für audiovisuelle Medien an der Universität Wien

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