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Laßt mich in Frieden!

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Die ganze Entwicklung der Wissenschaft, sowie auch ihres Gegenteils, der Politik, zeigt, daß allgemein verständliche Begriffe für hehre Zwecke unbrauchbar sind.

für den Frieden Friedenslager, ihre langjährigen Erfahrungen im Lagerbau ausnutzend. So wurden vom Frieden Tätigkeiten wie Befriedung oder Pazifizierung abgeleitet, deren Ergebnis erschossene oder eingekerkerte Menschen und niedergebrannte Häuser sind.

Da es jedoch genug Leute gibt, die für die Entstehung immer neuer unverständlicher Worte sorgen, habe ich mich entschlossen, einige alte Verbrauch- und Verbrauchtbegriffe zu klären. Auch wenn man mich deshalb für einen Störenfried hält.

Also, glauben Sie wirklich, daß ich den Frieden störe? Ich liebe doch den Frieden! Es gibt doch keinen Menschen in der Welt, der den Frieden nicht liebt, egal ob er ein normaler Professor ist, oder ein Feldmarschall, ein Ölscheich, ein Waffenproduzent.

Natürlich, selbst Waffenfabrikanten und -händler brauchen den Frieden für ihre Geschäfte - in Kriegszeiten wird die Produktion oft durch Kriegshandlungen gestört und das Handelsrisiko ist zu groß. Nie gedeiht der Waffenhandel so gut, wie in Friedenszeiten.

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, daß ich somit den Frieden als Gegensatz des Krieges formuliert habe. Diese Auffassung ist allzu primitiv, nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch unzutreffend.

Es ist gar nicht so leicht, den Frieden zu definieren. Es ist wie mit dem Sozialismus: Solange man bei ideellen idealen Wunschvorstellungen bleibt, ist alles klar und schön; in Wirklichkeit hat jedoch noch kein Menschengeschlecht einen idealen Frieden oder Sozialismus erlebt, um praktische Beweise zu liefern.

Man kann sagen: Der Frieden ist eine Pause zwischen zwei Kriegen. Oder auch: Der Frieden ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Diese Definitionen sind der Wahrheit näher, sie sind jedoch zu optimistisch. Die erste durch das Wort „Pause“, die zweite durch das Wort „andere“, welches einen qualitativen Unterschied suggeriert, wo es sich nur um einen quantitativen handelt.

Im ersten Jahrhundert vor Christus formulierte der römische Dichter Pu- blius Syrus: „Si vis pacem, para bellum“ - „Willst du Frieden, halte dich kriegsbereit“. Daraus folgt, daß der Friede ein Abfallprodukt der Kriegsvorbereitungen ist.

Dieser Satz erklärt auch die allgemeine Liebe zum Frieden. Der Friede schadet niemandem, denn auch die, die ihn nicht wollen, halten sich kriegsbereit; und platonische Liebeserklärungen kosten nichts. Dabei sind sie ein ausgezeichnetes Alibi - sie machen jede Vergewaltigung zum Liebesdelikt.

Die Liebe zum Frieden ist eines der größten Übel dieser Welt, denn wer liebt, will den Gegenstand seiner Liebe nur für sich haben.

Die alten Römer, die nicht aus Naivität, sondern aus dem Gefühl der Stärke offen ihre politischen Ziele proklamierten, versuchten überall die Pax Romaną einzuführen.

Die in ihrer Friedensliebe extrem eifersüchtig Sowjetunion baute sogar

Fast alle Kriege - zumindest in der neueren Geschichte - wurden von beiden Seiten im Namen des Friedens geführt, das heißt im Namen der Vorbereitung des nächsten Krieges.

Wäre nicht unter diesen Umständen ein permanenter Krieg besser? Er müßte sich nach einigen Jahren erschöpfen und weniger heftig werden. Erst der Frieden ermöglicht echt heftige Kriege zu arrangieren. Die Frage ist provokativ, die Antwort aber belanglos, denn es handelt sich im Grunde gesehen nur um Terminologie.

Kant sagte, der ewige Friede sei das höchste politische Gut, womit er wahrscheinlich nicht ein ewiges „para bellum“ meinte. Vielleicht meinte es Moltke, als er schrieb: „Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner.“ (Die Kants sind Philosophen, die Moltkes Praktiker.)

Für den privaten Gebrauch müssen wir uns zuweilen mit einer hausgemachten Definition begnügen: Frieden ist, wenn man woanders schießt.

Und sollte jemand behaupten, daß dies in der heutigen kleingewordenen Welt nicht einmal ein egoistischer Trost ist, hört nicht auf ihn. Sagt ihm: „Laß mich in Frieden!“

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