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Laßt uns wieder Hoffnung schöpfen!

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Wieder einmal das Thema Familie - aber diesmal anders dargestellt: Nicht klagend und mahnend, sondern zuversichtlich und zeitgemäß: Kongreßbericht aus Paris.

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Wieder einmal das Thema Familie - aber diesmal anders dargestellt: Nicht klagend und mahnend, sondern zuversichtlich und zeitgemäß: Kongreßbericht aus Paris.

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Strenge Kontrollen am Eingang: Taschen auf, ein Blick in Plastiksäcke. Kein Wunder — in Paris geht die Angst vor Attentaten um, vor allem dort, wo es größere Veranstaltungen gibt. Um eine solche handelte es sich auch beim neunten internationalen Familienkongreß im Palais des Congres: Mehr als 5000 Teilnehmer waren kürzlich zusammenge- ' kommen. Für einige Interessenten reichte der Platz nicht mehr.

Ansturm auf einen Kongreß? Ungewöhnlich beim heutigen Uberangebot an Veranstaltungen. Zum Teil waren es sicher die klingenden Namen, die gewirkt hatten: Der Wiener Psychiater Viktor Frankl, der französische Genetiker Jeröme Lejeune, der Jugendmissionar Daniel Ange, Kardinal Jean-Marie Lustiger von Paris, Mutter Teresa von Kalkutta ...

Würde ich nun den Inhalt einzelner Referate wiedergeben, so wäre damit nicht wirklich beschrieben, was im Palais des Congres vor sich gegangen ist. Wesentlich erschien mir, daß die Veranstaltung insgesamt eine glaubwürdige Vision von einer anderen Art zu leben entwarf—einen Kontrast zu dem, womit wir tagein, tagaus konfrontiert sind: Leben aus dem Glauben als Antwort auf die Probleme unserer Zeit - realistisch, ohne hohle, fromme Sprüche.

Pierre Patrick Kaltenbach, Präsident der protestantischen Familienverbände Frankreichs, zeigt auf, daß es endlich an der Zeit sei, das defensive Argumentieren aufzugeben. Den Gesell-schaftsveränderern unserer Tage müsse vor Augen geführt werden, welche Moralvorstellungen hinter ihren Forderungen stehen -und welche schwerwiegende Folgen (auch gutgemeinte) Forderungen gehabt haben.

So attraktiv der Ruf nach Freiheit klingen mag, so zweischneidig ist er. Wer hat jemals die Kosten all dieser „Befreiungen“ erhoben: die allein gelassenen Frauen, die Kinder ohne Väter oder Mütter, die abgeschobenen Alten?

Die Moral hinter der heutigen Gesellschaftsreform könne kurz so zusammengefaßt werden: „Was vor uns war, nach uns kommt und um uns ist, geht uns nichts an.“

Wie verheerend sich dieser Zugang gerade auf die Kinder und Jugendlichen auswirken kann, zeigte der amerikanische Franziskanerpater Bruce Ritter. Er hatte vor Jahren ein mittlerweile in vielen nordamerikanischen Städten tätiges Hüfswerk für rauschgift-süchtige Jugendliche gegründet. Rund 15.000 bis 20.000 Jugendliche wird er heuer aufnehmen — ein Bruchteü von jenen Hunderttausenden gestrandeten Existenzen, die sich auf den Straßen von Chicago oder New York zugrunde richten. Von zu Hause davongelaufen, werden diese 13- bis 20jährigen drogensüchtig. Ihr einziges Mittel, diese Sucht zu finanzieren, ist die Prostitution. Burschen und Mädchen verkaufen sich zu Schleuderpreisen...

„Es sind gute Kinder“, nimmt Ritter sie in Schutz. Aber sie hatten keine Chance im Leben: zerstörte Familien, Prügel und sexueller Mißbrauch zu Hause sei ihr Lebenslauf. 75 Prozent hatten nur einen Elternteil. Jedes dritte Mädchen hat einen Selbstmordversuch hinter sich.

Was sie brauchen? Liebe, Liebe und nochmals Liebe. Und vor allem unsere unbedingte Achtung. Nur so könnten sie Mut fassen, aus ihrer totalen Verkommenheit heraus wieder Menschen mit Selbstachtung zu werden.

Und das weist auch den Weg für das, wonach unsere Zeit so dringend verlangt: Liebe und Geborgenheit — nicht als moralisch verordnete Tugend, sondern als einziger Weg zum Uberleben unserer sterbenden Gesellschaft.

Indem wir wie gebannt auf das Bevölkerungswachstum in der Dritten Welt starren, übersehen wir nämlich, daß sich bei uns die Lebensfeindlichkeit einnistet. Kind und Schwangerschaft haben sich vom Segen zur Bedrohung gewandelt. Längst spiegelt sich dies in der Statistik wider, wie der Historiker Pierre Chaunu nachwies.

In so vielen Ländern grassiert das Übel der Abtreibung, sind die Geburtenzahlen derartig gesunken, daß trotz steigender Lebenserwartung mit Bevölkerungsrückgang zu rechnen ist: Deutschland, Österreich, Dänemark, aber auch Italien und Spanien ...

Nicht weil deswegen unsere Pensionen gefährdet sind, sollte uns das zu denken geben. Auch hier geht es um tieferes: Der Mehrheit der Menschen erscheint das Leben im Endeffekt sinnlos. Ist es ein Wunder, wenn sie es nicht weitergeben wollen? Wozu auch?

Daniel Ange war es, der da die Dinge wieder ins rechte Licht gerückt hat. Wir sind nach dem Ebenbild Gottes geschaffen — nicht Zufallsprodukt der Evolution. Jeder Mensch ist von Gott geliebt, zu einem bei Ihm erfüllten Leben berufen. Und Eltern dürfen an diesem unfaßbar großen Gesehen, an der Entfaltung einer neuen Person mitwirken. Gibt es etwas Großartigeres? Verblaßt da nicht das Glück des Mehr-Habens und Mehr-Geltens?

Das viele menschliche Elend unserer Tage verstellt uns leider den Blick für diese Wahrheit. Sie bleibt aber dennoch gültig.

Rein weltlich läßt sich all das natürlich nicht begreifen. Am Scheitern des heutigen Experiments, eine nur weltlich gedachte Welt zu bauen, wird aber offenkundig, daß der Verzicht auf Transzendenz den Menschen entheiligt und somit entwürdigt, wie Seyyed Hossein Nasr, Professor für Islamistik aus Washington, ausführte.

Rein weltlich betrachtet, ist es also naheliegend, uns jenem Gott zuzuwenden, den wir zu unserem eigenen Nachteil ausschalten wollten. Ohne Ihn sei aber ein Neubeginn nicht möglich.

„Wir werden entweder Familien von Heiligen— oder die Familie geht zugrunde“, stellte Daniel Ange nüchtern fest. Woher auch die Kraft nehmen, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen, wenn nicht von Gott?

Daß dieser Weg keine Illusion ist, wurde an Zeugnissen sowohl von Ehepaaren als auch von Menschen, die in der Jugendseelsorge arbeiten, deutlich. Es gibt Gott sei Dank nicht nur zerbrochene und abgestumpfte Ehen, sondern auch glückliche.

Man spreche zwar dauernd von den vielen, die voreheliche Beziehungen haben, meinte Ange, verliere aber die wachsende Zahl jener aus den Augen, die bewußt den Weg der Enthaltsamkeit vor der Ehe gehen, eine Art Noviziat,die jedem der beiden Entscheidungsfreiheit läßt. Und die vorgelebte Praxis überzeugt mehr als 1000 Worte.

All das ist ohne Bekehrung nur schwer denkbar. „Bekehrung ist Vorbedingung dafür, daß der Wert der kirchlichen Sexualmoral voll erkannt wird“, stellt der Pariser Arzt Charles Hauguel fest. Diese Umkehr 4ber wird in der Familie grundgelegt.

„Ihr seid verantwortlich!“ rief daher auch Erzbischof Raymond Marie Tschidimbo, ein Glaubenszeuge, der neun Jahre in den Gefängnisseh des guineischen Diktators Sekou Toure gelitten hatte, den Eltern zu. „Ihr habt eine große Berufung: Menschen mit Ewigkeit den Weg zur Fülle des Lebens zu weisen. Schiebt diese Verantwortung nicht auf Priester und Bischöfe ab! Diese sind nur zu eurer Unterstützung da.“

Ja, und die Teilnehmer dieses Kongresses haben diese Botschaft mit Freude aufgenommen. Man sah es ihren Gesichtern an, merkte es am Applaus. Hoffnung war aufgebrochen. Sie wird in vielen fortwirken und anderen Mut machen.

Ein Schwerpunktthema des Kongresses war der Themenkreis natürliche Familienplanung. Darüber wird die FURCHE ausführlich gesondert berichten.

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