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Lateinamerika: Militärs werfen das Handtuch

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Mit den Präsidentschaftswahlen in Brasilien am 15. Jänner läuft eine lange Phase der Militärregierungen in Lateinamerika aus. Die Männer in Uniform wollen sich jetzt in die Kasernen zurückziehen.

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Mit den Präsidentschaftswahlen in Brasilien am 15. Jänner läuft eine lange Phase der Militärregierungen in Lateinamerika aus. Die Männer in Uniform wollen sich jetzt in die Kasernen zurückziehen.

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Lateinamerika pendelt in regelmäßigen Abständen zwischen Militärregimes und verfassungsrechtlichen Zivilregierungen. Der jüngste„retorno” zur Demokratie umfaßt jedoch mehr Teilnehmer als bisher üblich: Nur noch Chile und Paraguay sind außerhalb des Trends.

In der Karibik sorgt die britische Tradition für untadelige Westminster-Demokratie, wobei allerdings Haiti und Kuba die Ausnahmen darstellen. In Mittelamerika haben unter dem Druck von außen sogar die Sandinistas in Nikaragua wählen lassen. Mexiko reflektiert mit seiner staatlichen Einheitspartei eine eigene Tradition, der formaldemokratische Tendenzen nicht abgesprochen werden können.

Seit Mitte der sechziger Jahre stehen Militär- und Zivilregie-rungerfin einem Wettbewerb, der nicht zuletzt auch wirtschaftspolitische Auseinandersetzungen birgt. Die großen Reformparteien jener Jahre, allen voran die lateinamerikanischen Christdemokraten und die populistischen wie auch sozialdemokratieähnlichen Gruppierungen, orientierten sich am cepalinischen Modell — so benannt nach der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika, CEPAL.

Das Konzept bedeutet Zollmauern, importersetzenden Ausbau der Industrie, staatliche Planung und Staatsunternehmen sowie staatliche Eingriffe, die eine ehrgeizige Umverteilungspolitik (Agrarreform!) durchsetzen sollten.

1964 brachte dann der Staatsstreich der brasilianischen Militärs ein Novum: Nicht ein General, sondern die Armee als Institution übernahm die Macht, um angesichts des angeblichen Versagens der Parteipolitiker eine auf lange Sicht angesetzte „konservative Revolution” in Gang zu setzen.

Dieses Modell, das mit den

Wahlen am 15. Jänner zu Ende geht, wurde in vielen Variationen nachgeahmt, sodaß das Pendel damals eindeutig zugunsten der Uniformierten auszuschlagen begann. Im Bereich der Wirtschaf ts-politik bedeutete dies eine klare Akzentverlagerung auf industrielle Wachstumspolitik, die Soziales und Umverteilungsfragen als zweitrangig ansah. Der Staat zog sich aus der Wirtschaft zurück, um alle Initiativen dem in- und ausländischen Kapital zu überlassen.

Seit 1973 gibt es diese militärischen Fassungen auch gekoppelt mit dem monetaristischen Modell (Chile 1973, Uruguay 1973, Argentinien 1976 bis 1983), welche die ce-palinische Basis ganz demontierten, den Staat als Unternehmer abbauten und eine'möglichst große Öffnung gegenüber dem Weltmarkt propagierten.

Parallel dazu entwickelte sich aber auch eine Variante linksnationaler Militärregierungen (Peru 1968 bis 1975, Panama 1968 bis 1981, Ecuador 1972 bis 1978), die am Staatskapitalismus festhielten und Umverteilungsfragen über vielfältige, manchmal sogar über revolutionsähnliche Eingriffe lösten.

Ende der siebziger Jahre jedoch verwickelten sich alle militärischen Regierungen Lateinamerikas in Widersprüche. Mit dem Höhepunkt der Uberschuldungskri-se seit 1982 warfen alle - Chiles Pinochet und Paraguays Stroessner ausgenommen - das Handtuch und steuerten einen „retorno” an.

Mit den Wahlen in Brasilien und in Uruguay kommt dieser Prozeß zu seinem vorläufigen Abschluß. Die Offiziere sind das verzwickte tagespolitische Geschäft leid und wollen vor allem die Verantwortung für die verschuldeten Nationalökonomien an die Politiker zurückgeben.

Damit sind auch so gut wie alle monetaristischen Experimente und die Entstaatlichung beendet. Die nachrückenden gewählten Zivilpolitiker sind in dieser oder jener Form durchwegs Praktiker des cepalinischen Weges. Die Uberschuldungskrise zwingt mit einem noch deutlicheren intrazonalen Warenaustausch zum Vorantreiben der lateinamerikanischen Integration.

Natürlich rückt der Staat auch wieder zur zentralen Institution auf. Lateinamerika wird in den kommenden Jahren jedenfalls abgeschlossener und handelspolitisch weniger liberal als vorher sein.

Zu beneiden sind die neuen, an den Urnen gekürten Politiker des großen Kontinentes nicht, denn sie müssen wirtschaftspolitisch bei Null anfangen. Große Handikaps sind die Schulden und die Auflagen des Internationalen Währungsfonds, die zu harten Sparmaßnahmen zwingen.

Eine neue Armut

Nach drei beißenden Rezessionsjahren ist das Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika auf den Stand von Anfang der siebziger Jahre gesunken. Die absolute Armut hat auf den Subkontinent durchwegs zugenommen, und der junge Aufsteiger-Mittelstand, der es in den vergangenen Jahrzehnten zu etwas Wohlstand gebracht hat, wird mit Arbeitslosigkeit und Kreditbelastung nicht fertig — sodaß es neben der traditionellen auch eine neue Armut gibt.

Ob Demokratien in der Lage sind, Krisen dieses Ausmaßes überhaupt zu bewältigen, ist nicht klar. Schlüsselländer zu dieser Frage sind in den kommenden Monaten Argentinien und Brasilien. Wie weit diese beiden Staaten mit ihrem zivilen Krisenmanagement kommen, wird für die Zukunft der jungen Demokratien auf dem gesamten Kontinent richtungsweisend sein.

Ob die Militärs in den Kasernen bleiben werden? Vorläufig ja. Denn die Offiziere haben es während, der letzten Interventionsphase fertiggebracht — auch dies ein Novum auf dem großen Kontinent —, einen guten Teil der Managementposten in den für die lateinamerikanischen Wirtschaften so wichtigen Staatskonzernen zu besetzen. Während sie nun die verdrießliche Tagespolitik den Zivilisten zurückgeben, behalten sie das Management und bleiben daher trotz des „retorno” an den Schalthebeln der wirtschaftlichen Macht.

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