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Lateinamerikas Indianer finden endlich zu sich

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Die spektakuläre Flucht eines Bischofs aus Nikaragua zusammen mit 1000 Miskito-Indianern hat einen größeren Hintergrund.

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Die spektakuläre Flucht eines Bischofs aus Nikaragua zusammen mit 1000 Miskito-Indianern hat einen größeren Hintergrund.

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Als Indioamerika kann man fast alle Länder südlich des Rio Grande bezeichnen. Ausnahmen sind die drei südlichen Länder (Chile, Uruguay und Argentinien), die heute bereits einen mehr europäischen Charakter auch in der Zusammensetzung der Bevölkerung angenommen haben.

In allen übrigen Ländern des Kontinents leben entweder noch große oder kleine Gruppen von Indios in Stammesgemeinschaften, eigenen Kulturen und Sprachen oder sind so vermischt, daß das indianische Element immer noch stark zum Ausdruck kommt. Immerhin sind es noch weit über

60 Millionen reine Indios, die Lateinamerika bevölkern.

Sie sind aber nicht die Herren in diesen Ländern, sondern das sind die die Oberschicht bildenden Weißen und Mestizen, die ihnen eine fremde Zivilisation übergestülpt haben, unter der die eigene Kultur und Tradition nur ein Schattendasein führen kann.

Seit der sogenannten Entdek-kung Amerikas durch Kolumbus wurde die militärische und wirtschaftliche Eroberung dieses Kontinents durch Europa herbeigeführt. Die endgültige kulturelle Eroberung droht nun den letzten in Reservate bzw. in die Berge oder Urwälder abgedrängten Indiostämmen. Die westliche Zivilisation dringt durch Straßenbau, öl- und Mineralsuche wie mittels Radio in die letzten, bisher unberührten Winkel dieser Länder.

In den letzten Jahren begannen sich aber die Indios nach westlichen Modellen zu organisieren. Eingeborenenvereine entstanden auf nationaler, regionaler Ebene in Costa Rica, Mittelamerika und Südamerika, auch in den USA und Kanada.

Die reinen Eingeborenenverei-ne haben sich auf Weltebene zu einem Weltrat zusammengeschlossen, dem u. a. auch die Lappen Nordeuropas, die Australier und Ureinwohner Indiens angehören. Der Präsident dieses Weltrates ist ein costarizensischer Indio aus Boruca, Jose Carlos Morales.

Die verschiedenen nationalen wie regionalen Vereine beginnen Informationsdienste herauszugeben. Darin werden die den bestehenden Gesetzen meist zuwiderlaufenden Unterdrückungen, Landwegnahmen, Vertreibungen etc. offen dargelegt.

So heißt es etwa in einer Erklärung des Indiovereines „Pablo Presbere" von Costa Rica unter anderem:

„Für viele ist die Kolonisierung noch nicht beendet, und wir sehen uns ständig bedroht... Wir werden von vielen Seiten bestürmt: von den Kirchen und Missionen, unfähigen Staatsbeamten, großen Landbesetzern oder skrupellosen Wissenschaftlern, die uns nur als Objekt zur Erreichung akademischer Würden sehen. Wir sind offen und gesprächsbereit. Im Dialog wollen wir für unsere Sache und die Einheit unserer Völker eintreten."

Diese Informationsdienste sind der Ausdruck einer stattfindenden Bewußtseinsbildung, die nun Rechte für eine Volks- bzw. Rassengruppe fordert, die bis jetzt verweigert oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurden.

Die derzeitige Lage der Indios — Rechtlosigkeit, Unterdrückung, immer weitere Zurückdrängung — schafft immer mehr Gegendruck, der nicht mehr lange brauchen wird, um in einer sehr gefährlichen Explosion zu enden. Anzeichen sind in einigen Ländern bereits zu erkennen.

Dem vorzubeugen und um die Gefahr zu verschleiern, glauben viele der Machthaber, die berechtigten Forderungen der unterdrückten Indios als Aktivitäten „marxistischer Guerrilleros" vor der Weltöffentlichkeit diskriminieren zu müssen.

Wenn man sich nur etwas mit den gesellschaftlichen Vorstellungen des Zusammenlebens der Indios beschäftigt, erfährt man, daß hier Formen des menschlichen Zusammenlebens existieren, die bereits in der vorkolumbianischen Zeit unserer heutigen Zeit voraus waren und daher keine der europäischen Formen von „Demokratie" oder „Volksdemokratie" mehr nötig haben. Im Gegenteil: Hier hätten wir Europäer viel von ihren „kooperativen" Gesellschaftsformen lernen können, wenn wir nicht in unserem Größenwahn alles zerstört hätten: Kultur, Religion und Lebensformen.

Selbst die Sandinisten begingen den großen Fehler, diese Form ihren Indios an der Atlantikküste aufzustülpen. Die Miskitos, Su-mos und Ramas rebellierten, wurden ausgesiedelt oder flohen. Nun befinden sie sich zwischen zwei Feuern: Entweder sie geben ihre Kultur und Tradition endgültig auf, oder sie lassen sich von den Gegnern des Regimes in Managua als Soldaten ebenfalls zweckentfremden.

Das ist das Los der Dritten Welt und hiemit auch der Indios: Zwischen Schwarz und Weiß, Ost und West, Staats- und verantwortungslosem Privatkapital darf es keinen dritten Weg geben. Wenn wir einen solchen nicht durch Aufklärung und Bewußtseinsbildung, vor allem auch in Mitteleuropa, doch noch ermöglichen helfen.

Der Autor ist Vizepräsident der Radioschule von Costa Rica (ICER) in San Jose.

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