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Latentes Unbehagen an Politikern entzündet

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SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer, eben von seinem Griechenland-Urlaub zurückgekehrt, präzisiert in einem FURCHE-Ge- spräch mit Alfred Grinschgl seinen Vorschlag zur Entlastung des Verfassungsgerichtshofes. Zur Volksabstimmung meint Fischer: Ein „Ja“ der Bevölkerung sei kein parteipolitischer Triumph für die SPÖ. In Sachen Politiker-Einkommen startet Fischer einen Entlastungsangriff für alle Politiker: Es gehe um die Einkommens- und Vermögensverteilung aller.

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SPÖ-Klubobmann Heinz Fischer, eben von seinem Griechenland-Urlaub zurückgekehrt, präzisiert in einem FURCHE-Ge- spräch mit Alfred Grinschgl seinen Vorschlag zur Entlastung des Verfassungsgerichtshofes. Zur Volksabstimmung meint Fischer: Ein „Ja“ der Bevölkerung sei kein parteipolitischer Triumph für die SPÖ. In Sachen Politiker-Einkommen startet Fischer einen Entlastungsangriff für alle Politiker: Es gehe um die Einkommens- und Vermögensverteilung aller.

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FURCHE: Herr Klubobmann, vor wenigen Wochen haben Sie angekündigt, der Gesetzgeber sei gezwungen, sich im Herbst mit den Problemen der Verfassungsgerichtsbarkeit zu befassen. Das Verfassungsgericht sei überlastet. In welcher Richtung streben Sie eine Neuregelung der Verfassungsgerichtsbarkeit an?

FISCHER: Der Verfassungsgerichtshof hat den Nationalrat in zwei Berichten ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, daß die Zahl der Fälle, die vom Verfassungsgerichtshof zu behandeln sind, so stark im Ausmaß zunimmt, daß in irgendeiner Form Abhilfe geschaffen werden muß. Aus den vielen Varianten, die hier denkmöglich sind, kristallisiert sich eine heraus, die im Herbst Gegenstand von Verhandlungen im Parlament sein wird, nämlich, wenigstens die Doppelbeschwerden an den Verfassungsgerichtshof und an den Verwaltungsgerichtshof zu reduzieren.

Die Rechtslage sollte so geändert werden, daß sich nicht jeder kluge Rechtsanwalt veranlaßt sieht, seinen Mandanten zu raten, zu beiden Höchstgerichten zu gehen. Es sollte eine Konstruktion gesucht werden, wonach für Beschwerden gegen Ver- iwaltunggbescheide der Weg in erster Lijnie an dęn Verwaltungsgerichtshöf führt. Falls dennoch gleichzeitig eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wird, sollte das Verfahren dort so lange ruhen, bis der Verwaltungsgerichtshof entschieden hat. Das ist vorläufig die einzige und sinnvollste Möglichkeit, eine Entlastung des Verfassungsgerichtshofes zu bewirken, ohne auch nur im mindesten in die Rechtschutzmöglichkeiten, die ja gerade in den letzten Jahren erweitert wurden, einzugreifen.

FURCHE: Wäre es ' nicht sinnvoll, aus Anlaß der Eindämmung dieser Doppelbeschwerden auch den Gesamtkomplex der Verfassungsgerichts barkeit in Österreich zur Diskussion zu stellen? Seit der frühere Präsident Anto- niolli zurückgetreten ist, wurde das Verfassungsgericht als zusätzliches Legitimationsorgan der einfachen Parlamentsmehrheit kritisiert. Könnte eine Neuorganisation des Verfassungsgerichtes nicht auch zu einer Entpolitisierung dieser Institution beitragen?

FISCHER: Dazu zweierlei: Erstens: Es gibt in einer demokratischen Republik keine Institution, die außerhalb der Kritik steht. Das gilt natürlich'auch für den Verfassungsgerichtshof. Zweitens: Dęr Vorwurf, daß der Verfassungsgerichtshof ein Legitimationsorgan für die Regierungspartei ist, ist vordergründig, unseriös, und fast möchte man sagen, sogar dumm. Denn wer sich die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes anschaut, wird feststellen, daß es durchaus keinen Trend in eine bestimmte Richtung gibt, etwa daß die Zahl der aufhebenden Erkenntnisse des Ver- 'fassungsgerichtshofs signifikant ge ringer wird. Man wird weiters kein Abweichen des Verfassungsgerichtshofs von den Grundsätzen seiner bisherigen Judikatur feststellen können.

FURCHE: Richtet sich Ihre Kritik also nur gegen die Doppelbeschwerden? Soll jede andere Diskussion über dieses Thema ausgeklammert werden?

FISCHER: Ich glaube, daß der Verfassungsgerichtshof ein Instrument ist, das mit besonderer Vorsicht und mit besonderer Sorgfalt angefaßt und reformiert werden soll. Mir sind, obwohl ich das relativ genau beobachtete, derzeit keine Vorschläge bekannt, die geeignet wären, die Aufgabe und die Funktion des Verfassungsgerichtshofes wesentlich zu verbessern, ohne auch gleichzeitig wesentliche Nachteile zu schaffen. Der Bestellungsmodus ist eine Frage, wo ich glaube, daß grundsätzliche Veränderungen nicht zweckmäßig wären und es auch nicht leicht wäre, hier einen Konsens zu finden. Die organisatorische Struktur des Verfassungsgerichtshofes sollte man auch nicht ändern. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist ja nicht gerade attraktiv mit den zwei Senaten. Wir kämen sofort in das Problem der Widersprüchlichkeit der Judikatur,, was außerordentlich schädlich wäre. V-'■ ’ M' V,. X

FURCHE: In der Bundesrepublik Deutschland ist es so, daß die von der Mehrheit abweichenden Meinungen der Verfassungsrichter nicht der Vertraulichkeit der Sitzungen zum Opfer fallen, sondern als „dissenting oppi- nion“ der Öffentlichkeit bekannt werden. Wäre das nicht auch ein Weg für Österreich?

FISCHER: Es ist das ein Vorschlag, den man nicht ohne weiteres von der Hand weisen soll und der starke Ar gumente für sich hat. Es ist insbesondere zweifellos richtig, daß damit die Transparenz im Bereich der Judikatur erhöht wird und daß vielleicht der Zwang zur Präzisierung der einzelnen im Gerichtshof vertretenen Meinungen noch verstärkt wird. Wenn ich aber alle Aspekte dieses Vorschlages überlege, so komme ich zu dem Ergebnis, daß in der Praxis aber doch zahlreiche Argumente dagegensprechen - insbesondere, daß die Autorität des Gerichtshofes, die aus der Einheitlichkeit des Erkenntnisses fließt, reduziert wird.

FURCHE: Eine Frage zu Zwentendorf: Mit der Volksabstimmung erhält das Problem nicht nur eine zusätzliche rechtliche, sondern vor allem eine zusätzliche politische Bindung. In einem Brief an Egon Matzner schreiben Sie, der Kampf um das „Ja“ oder „Nein“ der Bevölkerung werde eine echte politische Auseinandersetzung werden. Heißt das, daß ein „Nein“ der Bevölkerung einem Entzug des Wählervertrauens gegenüber der Regierungspartei gleichkäme?

FISCHER: Man muß zu dem Ergebnis kommen, daß das „Ja“ oder „Nein“ zu Zwentendorf nicht identisch ist mit einem „Ja“ oder „Nein“ zur Regierungspolitik im allgemeinen. Dem steht natürlich gegenüber, daß die Abstimmung nicht im luftleeren Raum erfolgt, sondern über ein konkretes Gesetz, das von der SPÖ beschlossen wurde. Das heißt, es hat sich die SPÖ zu diesem Gesetz bekannt und es ist daher die politische Zielsetzung der SPÖ, die Bevölkerung davon zu überzeugen, daß dieser Gesetzesbeschluß, den wir gefaßt haben, zweckmäßig war, richtig war und daß die Argumente, die dagegen vorgebracht werden, schwach sind.

FURCHE: Bei einem Nein der Bevölkerung würde also die SPÖ als Partei nicht sonderlich gekränkt sein.

FISCHER: Ich glaube, daß das eine Entscheidung wäre, an die wir uns gebunden fühlen, die negative Auswirkung auf die Energieversorgung hätte, aber die eine klare Orientierungshilfe wäre für die Politik. Und damit hat die Volksabstimmung auf jeden Fall ihren Sinn. Sagt die Bevölkerung mit Mehrheit „Ja“, so ist das kein parteipolitischer Triumph für uns, aber die Bestätigung, daß nicht nur die Bundesregierung und die Parlamentsmehrheit der Meinung sind, daß man auf die Inbetriebnahme eines fertiggebauten Kraftwerkes nicht verzichten kann, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung. Sagt die Mehrheit der Bevölkerung „Nein“, dann ist es keine parteipolitische Katastrophe oder Niederlage für uns, aber der in der Demokratie entscheidende Hinweis, daß unabhängig von den Überlegungen, die für die Regierungspolitiker und für die Parlamentarier maßgebend sind, in der Mehrheit der Bevölkerung eine solche Entscheidung nicht gut geheißen wird. Damit ist die Sache entschieden und auch ein solches Ereignis der Volksabstimmung hat seinen Sinn.

FURCHE: Herr Klubobmann, was sagen Sie zur gegenwärtigen Diskussion um die Politikerprivilegien: Kann man sagen, daß die Politiker, im speziellen die Parlamentarier, welche die entsprechenden Gesetze beschlossen haben, wirklich bar jeder Schuld an der jetzigen Situation sind?

FISCHER: Für die Gesetzeslage auf diesem Gebiet tragen alle Parteien die Verantwortung, da die Gesetze, die auf diesem Gebiet maßgeblich sind, ausnahmslos von allen Parteien getragen wurden. Ich glaube nur, daß es sich nicht nur um die Frage der Politikereinkommen oder der Politikerprivilegien handelt, sondern daß es überhaupt ein Problem der Einkommensund Vermögensvertfeilung in unserer Gesellschaft ist.

Ich glaube, daß eine wirkliche Sanierung nur erfolgen kann, wenn man sich überhaupt das Problem der Einkommens- und Vermögensverteilung hernimmt und wenn man ehrlich bereit ist, zuzugeben, daß etwa das Schlagwort von der leistungsgerechten Entlohnung nur allzuoft herhalten muß, um Einkommensunterschiede zu rechtfertigen, die mit Leistung herzlich wenig zu tun haben. Wenn ich die Leistung des Bundeskanzlers mit der Leistung eines Bankgeneraldirektors vergleiche, scheint mir durchaus nicht schlüssig zu sein, daß das Einkommen des Bankdirektors, das mindestens doppelt so hoch ist, Ausfluß einer doppelt so großen Leistung ist.

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