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Lauschopfer Straub oder -der Skandal, der keiner war

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Mitfühlende Herzen könnten zu der Feststellung geneigt sein, dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß bleibe auch nichts erspart. Kaum, daß die Wellen, hervorgerufen durch seine Äußerungen über Chile in Chile, sich halbwegs geglättet haben, ist schon der nächste Stein in den Teich gefallen. CSU-Chef Strauß wurde - illegal, wie es bisher scheint - abgehört. Zeitpunkt: September 1976. Offensichtlicher Abhörgrund: Die zu dieser Zeit schon weltweit Furore machende „Lockheed-Affäre“.

Gerade vor den Bundestagswahlen im Oktober des gleichen Jahres schienen die politischen Erdstöße aus dem Epizentrum Lockheed auch die Bundesrepublik zu erfassen. In Japan, den USA und Niederlanden sowie anderen europäischen Ländern wurde die Öffentlichkeit gewahr, daß die amerikanische Flugzeugfirma zwecks Absatzsicherung ihres Kampfflugzeuges „Star-fighter“ erhebliche Schmiergelder in für die Entscheidung maßgebliche Taschen hatte fließen lassen. Da der „Starfighter“ auch für die Bundeswehr lange Jahre das Hauptwaffensystem der Luftstreitkräfte büdete, mit Müliardenkosten angeschafft und von fortschreitendem Verlust durch ständig neue Abstürze bedroht, fragte man natürlich auch in Bonn, ob nicht eben-faüs Schmiergelder im Spiel gewesen sein können.

Der versammelten Linken war, kaum daß die Frage gestellt wurde, schon alles klar: Als die „Starfighter“ angeschafft wurden, war Strauß Verteidigungsminister. Da man ihm auf der Seite dieses politischen Ufers ohnehin alles zutraut, war auch seine Bestechung eine schon sozusagen feststehende, wenn auch - was aber für sie nicht weiter ins Gewicht fiel - noch in keiner Weise bewiesene Tatsache. Die Geschichte lieferte den SPD-Wahlkämpfern einen höchst willkommenen Stoff für ihre Veranstaltungen. Willy Brandt unter großem Jubel auf dem Rathausplatz in Hannover: „Ich behaupte gar nicht, daß diese amerikanische Firma, sie heißt Lockheed, an Strauß etwas gezahlt hat. Aber in den Niederlanden und in Japan haben wir ja die Praktiken dieses Unternehmens kennengelernt...“

Alle Hoffnungen und Verdächtigungen indes nützten den SPD-Strategen nichts. Zwar konnte die CDU die Bundestagswahlen nicht gewinnen, doch hatte das nichts mit Lockheed zu tun. Der eingesetzte Untersuchungsausschuß förderte zudem nichts zutage, was auf eine offene Hand des CSU-Vorsitzenden hätte schließen lassen. Am 23. Dezember letzten Jahres rang sich die Bundesregierung zum offiziellen Freispruch durch: Es sei in dieser Angelegenheit nichts mehr offen, was noch geklärt werden könnte.

Und prompt schlägt der Skandal, der eigentlich gar keiner war, neue Wellen. Die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlichte am 14. Jänner ein ihr anonym zugegangenes Protokoll eines Telefongespräches zwischen Strauß und dem jetzigen Chefredakteur des CSU-Organs „Bayernkurier“, Wilfried Scharnagl, vom 28. September 1976. In diesem Gespräch verständigten sich beide über die publizistische Behandlung des Themas Lockheed in ihrem Hausbjatt. Daß solches besprochen wurde, hat Franz Josef Strauß bestätigt. In mindestens einem wesentlichen Punkt jedoch erkannte der CSU-Chef die Fälschung. Unter Bezug auf den damals unsicheren Verbleib der Straußschen Privatakten.aus dem Verteidigungsministerium, in dem man auch die Lockheed-Post vermutete, sollte er folgende Sätze gesagt haben: „Die hegen jetzt im Zimmer, in einem Verwahrraum in dem Gebäude, das der Allianz gehört und jetzt von der Dresdner Bank gemietet ist, in Bonn.“ Und schließlich: „Ich selbst habe nunmehr nach sechzehneinhalb Jahren aus dem Archiv die Akten angesehen und alles, was die nicht sehen dürfen, gelüftet. Die persönliche Post mit L. ist entfernt, Sollten die dahinterkommen?“

Wenn Strauß dies wirklich gesagt und vor aüem nicht das Gegenteü hätte beweisen können, hätte er sich wohl politisch das Genick gebrochen. Aber Strauß war selbst einem Irrtum aufgesessen, und dies rettete ihn. Er hatte zwar geglaubt, die Akten seien in einem Raum der Dresdner Bank. Tatsächlich jedoch hatten sie dort nie gelagert. Insofern hatten diejenigen, die das ProtokoU anfertigten, den ihnen nicht bekannten Irrtum des CSU-Vorsitzenden verdoppelt, indem sie in seinen Worten hinzufügten, er sei selbst an dem Ort gewesen und habe die Akten „gelüftet“.

Das konnte er ja wohl nicht, und war damit wieder enüastet.

Durch diese Offenbarung hat sich die Brisanz des Ganzen allerdings auf die FragesteUung verlagert, wer denn hier wohl die Lauschaktion vorgenommen hat. In den Reigen der Verdächtigungen ist inzwischen alles einbezogen, was entweder technisch dazu in der Lage oder politisch der jeweils argumentierenden Seite niederträchtig genug erscheint CSU und CDU vermuten hinter allem die Bundesregierung mit ihren Nachrichtendiensten - Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) oder Militärischer Abschirmdienst (MAD). Von Bonner Seite und aus der SPD hört man Vermutungen, die vom sowjetischen KGB bis zum Bayerischen Verfassungsschutzamt reichen. Substantielles ist dabei bisher noch nicht ans Licht gekommen.

Tatsache ist, immerhin, daß das anonyme Protokoll - ob Fälschung oder nicht - auf einem Vordruckformular mit dem Vermerk „G 10“ angefertigt wurde. Form und Inhalt lassen ebenfalls auf fachmännische Handhabung schließen. Das Kürzel „G 10“ bedeutet aber eine Bezugnahme auf das Gesetz zum Artikel 10 des Grundgesetzes, das

in bestimmten, engbegrenzten Fällen eine Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses für Lauschaktionen erlaubt, wenn sie von den dazu berechtigten Organen offiziell genehmigt werden- und das heißt von der Bundesregierung. Der zuständige Staatssekretär Schüler im Bundeskanzleramt wies alle Verdächtigungen weit von sich, unter anderem mit dem Argument, die Vordrucke „G 10“ seien lediglich bis 1974 vom BND für Tonbandaufschriften verwendet worden.' Inzwischen jedoch mußte er zugeben, daß tatsächlich auch heute noch diese Formulare benützt werden.

Bei aUen Fragen, die aufgeworfen wurden und die voraussichtlich von zwei Ausschüssen untersucht werden bemerkenswert ist die Reaktion der politischen Gruppierungen und der öffenüichen Meinung auf diesen Skandal. Als vor etwa einem Jahr der Atomwissenschafüer Traube abgehört wurde, weü er im dringenden Verdacht stand, Kontakte zu Terroristen zu haben, ging ein Sturm der Entrüstung durch den deutschen Blätterwald. Politiker vorwiegend linker Couleur überschlugen sich mit Kassandrarufen, der Rechtsstaat sei demontiert worden. Bundesinnenminister Maihofer, der die Aktion letztlich zu verantworten hatte, schrammte nur knapp am Rücktritt vorbei.

Im Fall Strauß jedoch - wenn auch noch nicht klar ist, wer die Lauscher waren - ist allenfalls ein publizistisches Säuseln zu verspüren. In manchen SPD-Kreisen scheint man sich sogar zu amüsieren, daß ausgerechnet Strauß ein Lauschopfer geworden ist. Entrüstung findet sich allenfaUs in den Unionsparteien, Bestürzung über einen Angriff auf den Rechtsstaat sozusagen überhaupt nicht. Man hat sich halt schon an vieles gewöhnt, soweit es Strauß betrifft, ganz besonders.

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