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„Lautlos und lauter“

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Die Schriftstellerin Carson McCullers (1917—1967) aus dem amerikanischen Süden begann ihre Laufbahn als ein rechtes „Wunderkind“. Mit ihrem ersten Roman, der Kleinstadt-Elegie Das Herz ist ein einsamer Jäger, wurde die Zweiundzwanzig-jährige zum Idol des literarischen Amerika. Die weiteren Romane und Erzählungen mehrten nur den Ruhm. Ihr Hintergrund war die Südstaatenlandschaft und -mentalität mit allen Uberresten des Rassenwahns, des gescheiterten Bürgerkriegs und der wirtschaftlichen Fragwürdigkeiten. Im Leben der Autorin überwogen zunächst die lichten Seiten: Freude an der Arbeit, Freundschaften mit gefeierten Künstlern, Preise, Ehrungen, Luxus, Anwartschaft auf den Nobelpreis. Viele Jahre wurde sie hartnäckig mit William Faulkner verglichen. Als sie jedoch fünfzigjährig nach einem langen elenden Krankenlager verstarb, hatte sie ein Leben voll Bitterkeit, Not und Traurigkeit hinter sich gebracht, eine brutale« Ausgabe des Lebens vieler ihrer Romanfiguren.

Bei aller Berühmtheit konnte aus Carson McCullers, die in ihren subtilen Meisterwerken den Stoff der Welt, Traum und Wirklichkeit, in das Netz ihrer Sprache einfing, niemals eine „Großschriftstellerin“ mit Massenauflagen werden. Nicht das Erzählen einer Geschichte galt als ihre Stärke und schon gar nicht das spannende Erzählen, sondern die sanfte Inbesitznahme der Figuren. In ihrem nicht allzu umfangreichen Werk gibt es auch keine Proteste gegen soziale Mißstände. Sie zeigte an dem unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Farbigen und Weißen lediglich jene allumfassende Schwermut auf, die aus der Einsamkeit kommt. Alle ihre Gestalten sind Einzelgänger, Außenseiter, Ausgestoßene, begierig auf ein bißchen Glück, besessen von der Wirklichkeit ihrer Träume, die sie der unerträglichen Welt entgegensetzen. An der Konfrontation dieser beiden Welten, von denen man manchmal nicht weiß, welche die wirkliche ist, scheitern sie schließlich. Dieses Scheitern machte die McCullers zu ihrem großen erschütternden Thema.

In der Novelle Die Ballade vom traurigen Cafe ist dieses Grundmotiv vielleicht am schönsten gestaltet. Es ist die Geschichte einer Schuld und einer unerbittlichen Rache dreier ungleicher, in hoffnungsloser Liebe verstrickter Menschen erzählt. Dabei wird kein Wort über diese Liebe gesprochen, nichts geschieht, außer daß sich eine Atmosphäre von Heiterkeit und Behagen in dem Nest irgendwo tief im Süden ausbreitet — bis zum bitteren Ende. Der ganze Vorgang verbleibt in einer Zwischenwelt des Ungesagten und dennoch Verstehbaren.

Miß Amelia, ein herkulisches Mannweib, ein harter Kaufmann und illegaler Schnapsbrenner, den Männern gegenüber völlig gleichgültig, hatte vor Jahren Marvin, dem größten Raufbold und Frauenhelden des Ortes, ihr gleichgültiges Jawort gegeben. In der Hochzeitsnacht aber warf sie den Mann aus ihrem Zimmer, und zehn Tage später jagte sie ihn mit der Schrotflinte vollends von Haus und Hof. Eines Tages taucht bei ihr mit einem Köfferchen ein buckliger, häßlicher Zwerg auf, der sich als ihr Vetter Lymon ausgibt. Zur Verblüffung der Ortsbewohner nimmt sie ihn auf, unwillig zuerst, umsorgt und verhätschelt ihn, und das Wunder geschieht: das lächerliche Wesen, neugierig, tyrannisch, lebenshungrig wie ein Kind, bringt Wärme in die hartherzige, spröde Weibsnatur. In der mütterlichen Fürsorge für den verkrüppelten, unmännlichen Mann, dem das Bett ihres Vaters zu groß ist, erwacht die Frau in ihr. Aus dem finsteren Drugstore wird ein lustiges Cafe, in dem sich die Einheimischen gern versammeln. Der immer ein wenig unheimliche Gnom unterhält sie alle — bis zu dem Tag, da Marvin aus dem Zuchthaus zurückkehrt und Rechenschaft von der Frau fordert, die ihn einmal so gedemütigt hat. Zwei Kraftnaturen mit unnachgiebigen Leidenschaften stoßen aufeinander; es kommt zum öffentlich ausgetragenen Ringkampf zwischen Mann und Weib, in dem der Mann, schon überwunden, nur durch das Eingreifen des bösartigen Buckligen Sieger bleibt. Am Ende gehen die beiden miteinander davon, nachdem sie das Cafe demoliert, den Laden geplündert und mit Obszönitäten besudelt haben. Amelia bleibt zurück in der Erstarrung des Anfangs und des Endes.

Der Zauber der Novelle liegt in der rätselhaften mythischen Verun-klärung, im Verschweben der Handlung. Ihre zarte, poetische Melancholie versagt sich dem direkten Ausdruck. Die Menschen sind tragisch in sich vereinsamt, sie wollen aus ihrer Vereinsamung ausbrechen, mit anderen Menschen zusammengehören und verstricken sich dabei nur noch tiefer, bis zur Selbstzerstörung, in ihre Einsamkeit. Das zu zeigen, darum ging es McCullers. Aber wenn es ausgesprochen werden sollte, dann geschieht es eher am Rande, nebenher, fast unauffällig. Etwa in der am Schluß angefügten Parabel von den zwölf aneinandergeschmiedeten Kettensträflingen, die in der Nähe des Ortes eine Asphaltstraße ausbessern, bei der Arbeit gemeinsam singen und darum beneidet werden. Warum? „Bloß zwölf sterbliche Menschenkinder, sieben schwarze und fünf weiße Burschen aus unserer Gegend. Bloß zwölf sterbliche Menschenskinder, die zusammengehören.“ Stiller, unauffälliger noch und weniger skurril geht es in dem Roman Uhr ohne Zeiger zu. Der Apotheker Malone wird eines Tages inmitten eines leeren, verbrauchten, gleichgültig gewordenen Daseins mit seinem Tod konfrontiert. Erst hielt er es für eine Unpäßlichkeit, ein Rumoren der Säfte, wie es der Beginn einer neuen Jahreszeit mit sich bringt. Aber dann hat ihm sein Arzt das Urteil gesprochen: Leukämie, und ihm etwas über ein Jahr gegeben. „Als er so da saß... die Augen fiebrig und entsetzt, hatte er schon das unterwürfige und geschlechtslose Aussehen eines Unheilbaren.“ Mit diesem kühlen, prägnanten Satz wird der Vorgang eines langsamen Sterbens eingeleitet, der so selbstverständlich vor sich geht wie das tägliche Leben. Nur ist er von jetzt an kein Irgendwer mehr, der mit der Zeit verschwenderisch umgehen kann; denn die Frist ist gesetzt. Malone sieht auf sein Leben wie auf eine „Uhr ohne Zeiger“, um außerhalb der Zeit leben zu können. Auch die Dinge des Alltäglichen beginnen sich für ihn ins Besondere zu verwandeln. Ein Baum, ein Laternenpfahl, eine Mauer sind ihm jetzt zugleich Dinge, die ihn überleben, überdauern werden. Auf der Suche nach einer alle Ordnung sprengenden Leidenschaft versucht er, dem Gewöhnlichen, dem Vertrauten zu entkommen, um ungelebte Träume nachzuholen als Widerstand gegen jedes Zuletzt und Vorbei. Am Ende aber stirbt er „ohne Kampf und Furcht“ mit einem Seufzer. Anders als der senile, geschwätzige Richter, dieser lebende Leichnam, der die Zeit zurückdrehen und die Sklaverei wiedereinführen möchte; anders als der blauäugige Neger Sherman, der der Bombe eines Weißen zum Opfer fällt, die zu werfen Malone unter Berufung auf seine „unsterbliche Seele“ sich geweigert hat. Dreimal Leben angesichts des Todes, dreimal abgewandelt. Und nur einer von ihnen erkennt, daß das Leben im Sterben eine eigene Ordnung und Einfachheit annimmt; und nur einer von ihnen stirbt seinen eigenen Tod.

„Lautlos wie alles, was das Mädchen aus Georgjen geschrieben hat“ urteilte ein namhafter deutscher Essayist über den Roman der McCullers, „lautlos und lauter.“

DIE BALLADE VOM TRAURIGEN CAFE. Erzählung von Carson McCullers. 132 Seiten. DM 4.80.

UHR OHNE ZEIGER. Roman von Carson McCullers. 336 Seiten. DM 14.80. Beide deutsch von Elisabeth Schnack. Diogenes-Verlag, Zürich.

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