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Die zentrale Aussage der ÖVP-Frauen-Chefin, ihre Partei werde die Fristenlösung nicht abschaffen, hat verständlicherweise all ihre Zusatzbemerkungen zu diesem Thema überdeckt. Herta Haider erklärte nämlich auch, ihre Partei bedaure es, daß die sozialistische Bundesregierung die versprochenen flankierenden Maßnahmen bis heute schuldig geblieben sei. Hier werde die ÖVP sicher aktiv werden. Die Information der Frauen sei nach wie vor ungenügend. Es genüge nicht, den Frauen einfach die Adresse einer Abtreibungsklinik in die Hand zu drücken und sie mit ihren seelischen Problemen allein zu lassen, sagte Haider.

Eine ausführliche Stellungnahme gab zu der neu aufgeflammten Abtreibungsdiskussion der Präsident der Katholischen Aktion Österreichs, Eduard Ploier, ab:

„Die Erwartungen jener, die die Fristenlösung zum Gesetz erhoben haben, sind nicht eingetroffen.

Es gibt die versprochenen „flankierenden Maßnahmen“ zur Fristenlösung nicht. Man hatte versprochen, mehr Geld für Beratungsstellen abtreibungswilliger Frauen zur Verfügung zu stellen und eine Untersuchung über die gesundheitlichen Gefahren von Abtreibungen durchführen zu lassen.

Die Devise „Schutz des Lebens durch Beratung“ hat sich als Bume-rang erwiesen, weil der abtreibungswillige Arzt selbst die abtreibungswillige Frau beraten kann.

Man hat die Bedenken der Ärzte und Wissenschafter gegen die derzeit praktizierte Form der Fristenlösung überhört: Die Fristenlösung bringt körperliche und seelische Schäden für die Frauen, die abtreiben. Auch die Ärzte entgehen durch das Geschäft mit dem Tod nicht psychischen Störungen.

Die Katholische Aktion wird nicht aufhören, die Tötung ungeborenen Lebens als Tötung menschlichen Lebens zu bezeichnen.

Wir haben immer betont, daß die Frage der Fristenlösung quer durch die Parteien geht und Gegner und Befürworter der Fristenlösung in allen Parteien zu finden sind. Es setzt uns in Erstaunen, daß gerade jetzt die Vorsitzende der ÖVP-Frauenbewegung, Herta Haider, in so ungeschickter Art und Weise ganz sicher viele potentielle Wähler der ÖVP verärgert.

Es ist unbegreiflich, wie sehr sich Frau Haider mit dem Begriff der Fristenlösung identifiziert. Wenn die ÖVP schon nicht das Modell der Aktion Leben voll übernehmen kann und will, so sollte sie wenigstens offen sein für Diskussionen über neue

Konfliktlösungsmodelle und sich nicht so mit dem belasteten Begriff der Fristenlösung identifizieren.

Die Erklärung von Bundespartei-obmann Taus hätte uns im Gegensatz zu Erklärungen der Vertreter der SPÖ die Hoffnung gegeben, daß der Gesprächsprozeß bei einer Stärkung der ÖVP wieder in Gang kommt und daß eine allfällige Initiative zum umfassenden Schutz des Lebens ernstgenommen würde.“

In einem Mittwoch abend ausgestrahlten Fernsehinterview nahm der Wiene^ Weihbischof Helmut Krätzl zu der Kontroverse Stellung, die durch die Erklärung der Bundesleiterin der ÖVP-Frauenbewegung, Herta Haider, ausgelöst worden war.

In dem Fernsehinterview sagte Weihbischof Krätzl, er sei überrascht, daß das Thema der Fristenlösung in den Wahlkampf hineingezogen werde, nachdem 1975 beide Großparteien dieses Thema aus dem Wahlkampf ausgeklammert hatten. Jetzt sei zu befürchten, daß von allen Seiten versucht werde, daraus für den Wahlkampf Kapital zu schlagen.

Die Kirche sei nach wie vor der Meinung, daß das Gesetz über die Fristenlösung schlecht sei und die Erfahrungen, die damit gemacht wurden, hätten diese Meinung nur bestätigt. Man hätte die Zeit nützen sollen, sagte Weihbischof Krätzl, die notwendigen Untersuchungen anzustellen, um dieses Gesetz zu verbessern.

Auf die Frage, ob die Kirche eine Volksabstimmung über dieses Gesetz initiieren würde, sagte Krätzl, er könne nicht für die Kirche sprechen. Persönlich sei er der Meinung, daß eine Volksabstimmung zu diesem Thema dann gefährlich wäre, wenn man gleichsam von der Majorität des

Volkes bestimmen lassen wollte, ob Töten in den ersten Monaten des Lebens im Mutterleib erlaubt sei oder nicht. Uber eine solche Frage könne das Volk nicht abstimmen. Und selbst, wenn dabei eine Mehrheit herauskommen würde, könnte man dem nicht zustimmen.

Auf die Frage, ob die Erklärung von Frau Haider das Verhältnis der Kirche zur ÖVP ändern werde, sagte Weihbischof Krätzl, die Kirche habe immer erklärt, sie greife nicht in den Wahlkampf ein und gebe keine Wahlempfehlung - weder positiv noch negativ. Daher werde die Kirche, sollte diese Frage hochgespielt werden, sich nur sachlich dazu äußern, aber daraus keine Empfehlung für irgendeine Partei ableiten. Was der Katholik wählen solle, müsse er selber wissen.

Sehr zum Leidwesen vieler Spitzenfunktionäre der Volkspartei stand am letzten Donnerstag die Frage Fri-steniösung auch auf der Tagesordnung der Sitzung der Bundesparteileitung. Auf Antrag von Parteiobmann Josef Taus wurde folgende Resolution einstimmig beschlossen:

„Die ÖVP hat in der Frage der Fristenlösung alles getan, was eine demokratische Partei tun kann. Die ÖVP hat seinerzeit gegen dieses Gesetz im Nationalrat gestimmt.

Wir stehen nach wie vor auf dem Standpunkt, daß es unmenschlich ist, das keimende Leben ohne Schutz zu lassen. In nicht wenigen Fällen werden heute Frauen und Mädchen auch ohne materielle Not unter einen schweren Druck der Umwelt gesetzt, ihr Kind nicht zur Welt zu bringen. Die Volkspartei lehnt eine Bestrafung von Frauen ab.

Es muß vielmehr die Aufgabe eines kommenden Gesetzgebers sein, in einem möglichst breiten Konsens Maßnahmen der Familienpolitik und der sozialen Hilfe zu verwirklichen. Eine wirklich familien- und kinderfreundliche Umwelt und eine bestmögliche Aufklärung über die Familienplanung können das Problem der

Schwangerschaftsunterbrechung weitgehend mildern.

Sollten neuerlich engagierte Bürger in der Frage der Fristenlösung initiativ werden, können sie die Volkspartei als aufgeschlossenen Gesprächspartner betrachten.“

Einen interessanten Vorschlag machte schließlich der österreichische Laienrat: Noch vor den Wahlen sollten die drei im Parlament vertretenen Parteien eine bindende Vereinbarung über Maßnahmen zur Bewältigung der Abtreibungsproblematik eingehen.

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