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Leben auf Ruinen und Brandstätten

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„Sie haben mir mein Haus getötet" - das sind Worte der sechsjährigen Ruza aus dem dalmatinischen Hinterland, mit denen sie ihre und ihrer Familie Not beschreibt: das Heim zerstört, Ver-triebenenschicksal. Diese Worte hat der Kinderschriftsteller M. Kusec als Buchtitel genommen -eine Sammlung erschütternder Zeugnisse zum Krieg in Kroatien aus der Sicht von Kindern.

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„Sie haben mir mein Haus getötet" - das sind Worte der sechsjährigen Ruza aus dem dalmatinischen Hinterland, mit denen sie ihre und ihrer Familie Not beschreibt: das Heim zerstört, Ver-triebenenschicksal. Diese Worte hat der Kinderschriftsteller M. Kusec als Buchtitel genommen -eine Sammlung erschütternder Zeugnisse zum Krieg in Kroatien aus der Sicht von Kindern.

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Dieser Krieg setzte sich die Vernichtung Kroatiens auch als gemeinsames Heim von Kroaten, Serben und anderen Völkern zum Ziel. Dieses aber haben die Zerstörer nicht zur Gänze erreichen können. In Kroatien ist man sich nach wie vor bewußt, daß es ein Zusammenleben von Kroaten und Serben auch weiterhingeben wird und geben muß. Es ist nur die Frage, wie man ein solches wieder ermöglichen könne, und wieviel Zeit man dazu brauchen werde.

Dem zukünftigen Zusammenleben dienen auch die dauernden Mahnungen des Zagreber Erzbischofs, Kardinal Franjo Kuharic, wie auch mehrerer Bischöfe und vieler Priester, die immer wieder betonen, daß die Kroaten auf keinen Fall die verlassenen serbischen Häuser zerstören sowie auch keine andere Art der Rache an Serben nehmen dürfen. Solche Erscheinungen gibt es, besonders in letzter Zeit. Aber auch Politiker bemühen sich, den Extremismus in kroatischen Reihen zu verhindern.

Kroatien beherrscht in diesem Moment die Frage nach der Ankunft der UN-Friedenstruppen. Niemandem ist so ganz klar, was sie hier sollen. Jedenfalls den Frieden bringen. Werden mit ihm dann auch die ausländischen Gäste wiederkommen, bringen sie Auslandskapital und damit wirtschaftlichen Aufschwung mit sich, und was ist der Preis dafür? Wird man dafür mit dem Verlust der Souveränität über ein Drittel des Staatsterritoriums zu bezahlen haben? Werden sie unter dem Druck der USA die Rückkehr in ein Bündnis jugoslawischer Staaten fordern? Die kroatische Führung hat die Entsendung der UN-Friedenstruppen mit der Auflage akzeptiert, daß im Zuge ihrer Stationierung sich die jugoslawische Armee und die irregulären serbischen Terrorgruppen und Verbände zurückziehen.

Der Vance-Plan spricht sich offenbar in jenen Passi, die sich mit dem Verbteiben der in den besetzten Ge-bietenklerzeit agierenden lokalen Behörden befassen, nicht ganz klar aus. Besagen sie, daß auf dem besetzten territorium die extremen Serben und jene Polizei an der Macht bleiben wird, die die Kroaten vertrieben und massakriert, ihre Häuser und Kirchen zerstört haben und noch immer zerstören? Sollte dies der Fall sein, wäre es wirklich unverständlich, wie eines der Ziele der UN-Friedenstruppen erreicht werden kann: die Rückkehr der Vertriebenen, mehrheitlich Kroaten.

Einer anderen Interpretation zufolge würden die lokalen Behörden und die Polizei nach dem gleichen nationalen Schlüssel, wie er vor dem Krieg gegolten hat, zusammengesetzt werden. Aber auch in diesem Fall würde die Rückführung der Vertriebenen nicht problemlos sein: wie sollen die Kroaten schließlich in die zerstörten Ortschaften zurückkommen? Bedeutet die Ankunft der UN-Friedenstruppen nicht eigentlich die Petrifizierung der Okkupation, eine Belohnung für Aggression und für Kriegsverbrechen? Das sind Fragen, auf die die Kroaten klare Antworten erhalten möchten.

Ein zweites, nicht minder wichtiges Thema in Kroatien ist die Lage in Bosnien-Herzegowina - und zwar nicht nur, weil dort etwas weniger als eine Million Kroaten leben und Kroatien die längste Grenze zu eben dieser Republik hat: im Falle, daß Serbien nämlich sein schon vorbereitetes Szenarium dort umsetzen kann, würde ihm eine Vertreibung aller Kroaten aus den zentral gelegenen Teilen Nordbosniens nach Kroatien vorhergehen: bei Doboj und Derventa verhindern die kroatischen Siedlungen den Zusammenschluß aller serbisch bewohnten Gebiete im Osten mit jenen im westlichen Bosnien. Die Parallelität dieser Szenarien in Bosnien und in Kroatien läßt nichts Gutes ahnen. In Bosnien unternehmen die militanten Großserben nicht einmal den Versuch, einen überzeugenden Vorwand für den Ausbruch des Krieges zu finden.

Würde Bosnien-Herzegowina in diesem Moment als unabhängiger Staat anerkannt - nach dem Referendum besteht keinerlei Hindemisgrund mehr- könnte die Eskalation des Krieges eventuell verhindert werden. Aber Werden die Staaten Europas und Amerika dies begreifen? Kroatien hat ihnen den Beweis dafür geliefert, daß die Anerkennung doch zu einer Beruhigung der Lage geführt hat. Viele glauben, daß es zum Krieg erst gar nicht gekommen wäre, wenn Kroatien und Slowenien in dem Moment anerkannt worden wären, als sie darum ansuchten - im Sommer 1991.

Aber Kroatien müht sich mit einem Berg schwieriger innenpolitischer Probleme ab: mit der Organisation und Erhaltung seiner Armee, die jetzt schon in einer viel besseren Position ist als noch vor einigen Monaten, aber technisch dem Feind noch immer unterlegen. Auch die Bewältigung der nicht direkt durch den Krieg verursachten Probleme, wie der Aufbau der Demokratie, geht nur mit Schwierigkeiten voran.

Die enormen Verwüstungen, die, Kroatien erlitten hat, haben die kroatische Wirtschaft wohl um Jahrzehnte zurückgeworfen. Etwas weniger als 40 Prozent aller Straßen und Eisenbahnverbindungen sind zerstört; der Schaden an sich ist schon groß genug, dazu kommen aber noch die kommerziellen Ausfälle. Von den zerstörten Produktionsstätten soll erst gar nicht geredet werden. Eine hohe Arbeitslosenrate und der Rückgang des Lebensstandards ist die Folge.

Schwer erträglich sind die Zerstörungen am kulturellen Erbe. Bisher wurden 538 Einzelobjekte, die als Kulturdenkmäler registriert sind, angegriffen: davon 37 Museen, zehn Archive und 16 Bibliotheken. 621 Ortschaften wurden Opfer der Angriffe, davon 47 mit urbanistisch wertvollen historischen Ensembles (zum Beispiel Vukovar, Lipik, Petrinja, Osijek, Pakrac, Gospic, Dubrovnik, Split...). 302 Kirchen und Klosterkomplexe waren ebenfalls Ziel der Angriffe: davon wurden 87 zerstört, 83 schwer und 54 leicht beschädigt, 78 Objekte sind unzugänglich.

Kroatien ist vom Krieg schwer gezeichnet, aber nicht daran zerbrochen. Ganz im Gegenteil - man spürt einen starken Optimismus und die Hoffnung, mit Hilfe vieler Freunde die zerstörten Heime und ein freies Kroatien wieder so aufzubauen, daß es ein glückliches Heim für alle seine Bewohner wird. Ein solches Kroatien will Bestandteil des Europäischen Hauses sein und möchte auch im „Weltdorf" gehört werden.

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