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Leben — ein für allemal

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Immer wieder werden auch Christen von der Idee der Seelenwanderung, der Wiedergeburt fasziniert und in ihrem religiösen Leben davon betroffen. Was meint der Theologe dazu?

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Immer wieder werden auch Christen von der Idee der Seelenwanderung, der Wiedergeburt fasziniert und in ihrem religiösen Leben davon betroffen. Was meint der Theologe dazu?

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Sind Wiedergeburt und Christentum ein Widerspruch? Die Frage muß mit einem klaren Ja beantwortet werden, jedenfalls dann, wenn man den Ideen ihre Wahrheit läßt. Eine andere Sache ist es, wenn sich jemand die religiösen Inhalte nach seinem eigenen Bedürfnis auswählt und zurechtmacht.

Wer jedoch dieses zum Maßstab seiner persönlichen Orientierung machen will, muß sich von den Quellen des christlichen Glaubens sagen lassen, daß die Idee der Seelenwanderung weder im Alten Testament noch im Neuen Testament zu finden ist. Sie widerspricht eindeutig und grundsätzlich der biblischen Offenbarung. In deren Sicht ist das irdische Leben der Menschen einmalig, unwiederholbar.

Der Mensch der Bibel blickt aus seinem Erdenleben nicht in eine Flucht weiterer Existenz, denkt auch nicht an frühere Daseinsfor men. Er glaubt, daß er sich mit seinen Lebensjahren Gott verdankt und im Tod zu Gott kommt. Auch er weiß, daß das Bruchstück Leben in dieser Welt nicht alles enthalten kann, daß er nicht alles erleben, nicht alles tim kann, unfertig und unreif bleibt, daß die volle Gerechtigkeit aussteht.

Aber er erwartet sich die Vollendung nicht von einer unabsehbaren Wiederholung seines Lebens in der Welt, sondern von dem Augenblick vor Gott, in dem er „von Angesicht zu Angesicht“ sein wird, wie Paulus sagt.“

Von Anhängern der Reinkarnation (= Wiederverkörperung) wird oft behauptet, das Christentum der ersten Jahrhunderte habe sich nicht dagegengestellt, habe vielmehr, wie das Judentum auch, selbstverständlich damit gerechnet Erst auf dem Konzil von Konstantinopel 553 n. Chr. sei diese Lehre ausdrücklich abgelehnt worden.

Es ist begreiflich, daß vor allem Christen, die sich davon angezogen fühlen, den Gedanken der Seelenwanderung gern durch die Autorität der Tradition bestätigt sehen möchten. Aber die historische Wahrheit spricht dagegen. Zwar hat der griechische Theologe Origenes im 3. Jahrhundert den Versuch gemacht, die platonische Version dieser Vorstellung mit der christlichen Botschaft zu verbinden, und er hat dafür auch Zustimmung gefunden. Aber er selbst hat das eher als Experiment betrachtet, das er zur Diskussion stellen wollte, und es wurde ihm denn auch deutlich und öffentlich widersprochen.

Allerdings führte nicht diese konkrete Ablehnung allein zum Spruch des genannten Konzils. Schon im 2. Jahrhundert hatte Irenäus von Lyon in seinem Werk „Gegen die Häresien“ die Lehre von der Wiederverkörperung ausführlich abgelehnt und damit die christliche Stellungnahme dazu verbindlich formuliert.

Es ist also keineswegs rätselhaft, wie der Konzilsbeschluß zustande gekommen ist. Die verantwortlichen Lehrer der Christenheit mußten die Grenze ziehen, sollte nicht die wesentliche Struktur des Evangeliums geändert werden. Sie konnten sich dabei auf eine schon gegebene Tradition der Kritik und Ablehnung stützen.

Die christliche Theologie hat seit damals keinen Anlaß gese-

hen, ihre Position zu ändern. Abgesehen von der Evidenz der Heiligen Schrift sind es folgende Einwände, die ihre Haltung bestimmen:

• In Indien, dem Ursprungsland, im Hinduismus wie im Buddhismus, wird die Behauptung der Wiederverkörperung keineswegs als frohe Botschaft, sondern als Zwang und Qual empfunden. Der Mensch sollte daraus befreit werden. Ähnliches gilt für die Griechen des Altertums. Erst in der europäischen Neuzeit ist die Möglichkeit der Seelenwanderung positiv gewertet worden. Die Beweggründe dafür sind Erlebnishunger, Bedürfnis nach unendlicher Selbstverwirklichung, Ge- niebewußtsein. Das eine wie das andere widerspricht dem christlichen Glauben an die Gnade und das Reich Gottes.

• Die Frage nach dem Sinn und der Herkunft des Bösen wird nicht zureichend gestellt oder gar beantwortet, sondern nur verschoben, in frühere oder spätere Existenzformen. Warum befinde ich mich überhaupt in der Kette der Wiedergeburten?

• Die Karma-Lehre ruht auf dem Grundsatz einer gnadenlosen Gerechtigkeit der Vergeltung. • Zwischen den Menschen und Gott legen sich unendliche Serien von Existenzen. An die Stelle des fernen Gottes tritt die zwingende Notwendigkeit der Kreisläufe, das Schicksal.

• Wenn das wiederholte Dasein in verschiedenen Gestalten der sittlichen Bewährung dienen soll, muß eine halbwegs klare Erinnerung von der einen zur anderen stattfinden. Das ist nicht der Fall. Die dazu angebotenen Berichte sind viel zu selten und peripher, als daß daraus eine ernsthafte Voraussetzung allgemeiner Moral werden könnte. Ohne personale Identität gibt es keine ethische V er antwortung.

• Der Lebenszeit wird der Emst genommen, weil sich jeder unzählige weitere Chancen ausrechnen kann, die noch vor ihm liegen. Was wiegt dann das Gute wie das Böse jetzt?

• DieMotivationzuruniversalen Brüderlichkeit, zum Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Wesen ist nicht notwendig an die Lehre von der Seelenwanderung gebunden. In der Wirklichkeit bewirkt diese außerdem eher das Gegenteil Wo alles Leid auf frühere Verschuldung zurückgeführt wird, kann es leicht gerechtfertigt und untätig hingenommen werden. Der Fatalismus des Kastenwesens und die gelassene Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Elend sind belegbar.

• Die Zukunft der Weltreligionen besteht nicht in ihrer unterschiedlosen Vermengung, sondern eher in der Fähigkeit, aus ihrer bejahten Eigenart friedlich schöpferisch miteinander zu verkehren. Die Idee der Reinkarnation ist durchaus sekundär gegenüber dem Problem, wie die Religionen jeweils das definieren, was sie religiös macht: Gott.

Der Autor ist derzeit Professor für Dogmatik in Linz und wird ab dem Wintersemester 1983/84 in Salzburg lehren.

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