7043177-1990_24_11.jpg
Digital In Arbeit

Leben im Dialog

Werbung
Werbung
Werbung

Vor 25 Jahren, am 13. Juni 1965, V starb in Jerusalem der deut- sche Jude und europäische Philo- soph Martin Buber. Er stand im 88. Lebensjahr- „Die Tageunsrer Jahre sind für sich siebzig Jahre / und wars in Kräften, sinds achtzig Jah- re" hatte, er die Stelle aus dem 90. Psalm ins Deutsche übertragen.

Der große Dialogiker hatte als Einsamer im neuen Staate Israel gelebt, von vielen abgelehnt. Schon in seinem spannungsreichen Gegen- satz zu Theodor Herzl stellte er in der zionistischen Bewegung nicht den politischen Anspruch, sondern die kulturell-geistige Dimension in den Vordergrund. Daher begrün- dete der stets Versöhnung Suchen- de für Israel leidenschaftlich sein Programm eines binationalen Staa- tes der Juden und der palästinensi- schen Araber, strebte ihn als Aus- druck des „hebräischen Humanis- mus" an, in dem der konkret andere angenommen wird.

Er mußte das staatliche Gemein- wesen Israel, in dem er lebte, ak- zeptieren; aber das Ziel blieb für ihn die jüdische Teilnahme an ei- nem Bund mit den Arabern. Zur Politik, die David Ben Gurion im Sinne des weitaus größten Teiles des israelischen Volkes verfolgte, stand Martin Buber in überzeugter Gegnerschaft. Zeichen einer Ände- rung in der Haltung zu den „arabi- schen Bürgern Israels" begrüßte er wenige Monate vor seinem Tod in der Linie der Politik des Minister- präsidenten Levi Eschkoll.

Martin Buber, 1878 in Wien ge- boren, wuchs in Lemberg im Hause seines Großvaters auf, des wohlha- benden Großgrundbesitzers und Bankiers Salomon Buber, der als Herausgeber zahlreicher textkriti- scher Ausgaben hebräischer Schrif- ten, vor allem des Midraschim, einen bedeutenden Ruf genoß .Die beson- dere sprachliche und kulturelle Situation, die der Heranwachsen- de in Lemberg erlebte und die ihn in seiner offenen, allem Missionari- schen abholden Haltung prägte, sehen und verstehen wir heute deut- licher denn je als einen geistigen Grundzug, ein Charakteristikum, das für viele im alten Österreich- Ungarn bestimmend war. Gar nicht so verkehrt ist es daher, daß Martin Buber einmal als „österreichischer Dichter" bezeichnet wurde.

Auf die Matura am Franz-Josefs- Gymnasium in Lemberg folgten Studien an den Universitäten Wien, Berlin, Leipzig und Zürich. Ge- schichte, Kunstgeschichte, Philo- sophie und Soziologie waren die wesentlichsten Studienrichtungen. Buber begründete 1902 den Jüdi- schen Verlag und gab von 1916 bis 1924 die Zeitschrift „Der Jude" heraus. Fundamentales Verständ- nis für jüdische Existenz, für einen im Judesein begründeten Lebens- vollzug in einer aufgeklärten und ihrem Anspruch nach humanisier- ten Welt sollte vermittelt werden.

Seine gründlichen philosophi- schen und soziologischen Studien (Dilthey, Simmel) hatten Buber ein neues Verhältnis zur Geschichte gewinnen und die Dialektik von Individuum und Gemeinschaft/ Gesellschaft als gesellschaftliche Grundproblematik erkennen las- sen. Verwoben damit ist die inten- sive Beschäftigung mit jüdischer Tradition und jüdischer Musik, vor allem mit dem Chassidismus. Tra- dition und chassidische Frömmig- keit in ihrer schlichten Form (hasid - Frommer) führte Buber in seinen Interpretationen zu dem weiter, was sich in einem Dialog ereignet.

In „Ich und Du", das 1923 in endgültiger Fassung erschien (eine Sonderausgabe wurde 1958 zum achtzigsten Geburtstag des Philo- sophen gewidmet), • hat Martin Buber in eigentümlich poetischer Sprache sein dialogisches Prinzip als Grundlage von Zwischen- menschlichkeit formuliert, gefun- den, „sich erdient".

„Ich und Du" ist sein Thema, das Dialogische sein Lebensstrom, sei- ne pädagogische, philosophische und religiöse Lebensgestalt gewor- den. Dialog, Gespräch, Kommuni- kation, Begegnung, Partnerschaft - Begriffe und Strukturen, Inhalte aus „Grundworten" mit nachhalti- gem Einfluß auf pädagogisches Denken und pädagogische Praxis in neuerer und neuester Zeit, nicht ohne Bedeutung selbst noch in Untiefen der Übernahme.

Das Dialogische in „Ich und Du" mündet in der Gottesbegegnung, die dem Menschen widerfährt, „auf daß er den Sinn an der Welt bewäh- re". In eindringlicher, fast bestür- zender Nähe erleben wir hiezu das „Angesprochensein" in Ferdinand Ebners „Das Wort und die geisti- gen Realitäten" (1921).

Durch die Mitarbeit im Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt/ Main (von 1919 bis zur Emigration 1938) und durch die Professur für jüdische Religionswissenschaft und Ethik an der Frankfurter Universi- tät (1923 bis zum Verzicht 1933) wurde Martin Buber noch stärker zum Lehrer und Erzieher. Reden über Erziehung, Problem des Men- schen, Dialogisches Leben, Schrif- ten über das dialogische Prinzip dokumentieren dann später die reiche, erfüllte pädagogische Ar- beit, die nach 1938 noch für einige Zeit im Dienste der jüdischen Er- wachsenenbildung in Deutschland fortgesetzt werden kann und mit der Lehrtätigkeit an der Hebräi- schen Universität in Jerusalem abgeschlossen wird. Martin Buber war „Führer und Bildner der Ju- gend, aber auch Bildner und Lehrer t der Lehrer selbst".

Fast vier Jahrzehnte währte sei- ne Arbeit am monumentalen Werk der Übersetzung der Bibel ins Deutsche- „eine Verdeutschung des Hebräischen, in der der Genius der alten semitischen Sprache durch- klingt, ohne das Deutsche zu belei- digen". Bibelübersetzung, Chassi- dische Botschaft, Gog und Magog, vor allem aber Philosophie und Pä- dagogik des Dialogischen sind es, aus denen Martin Buber durch die Zeiten wirkt.

„Das echte Gespräch und die Möglichkeit des Friedens" war das Thema, über das Buber 1953 in der Frankfurter Paulskirche sprach, als er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm. In Is- rael wurden seine Reisen in die BRD, zu denen er selbst sich zuerst nur zögernd entschloß, und seine Reden dort kaum verstanden, von vielen heftig verurteilt.

Er aber wußte um die Hoffnung vieler Deutscher auf das Gespräch mit ihm, auf das echte Gespräch, „in dem jeder der Partner den an- dern, auch wo er in einem Gegen- satz zu ihm steht, als diesen exi- stenten andern wahrnimmt, bejaht und bestätigt". Martin Buber lebte in diesem Gespräch, sein Werk führt zu diesem Dialog.

Der Autor ist Sektionschef im Bundesministe- rium für Unterricht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung