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Leben im Grab des Mahdi

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Sie ist vor mehr als 70 Jahren gegründet worden, die Wiener Secession, um die progressiven Kräfte der Künstlerschaft zu sammeln. Wie die letzten Ausstellungen des Jahres 1971 erweisen, bekennt sich die Wiener Secession auch heute zur Jugend, zum Fortschritt, zum Experiment. Fast alle bedeutenden künstlerischen Kräfte dieses Jahrhunderts sind in irgendeiner Beziehung zur Secession gestanden. Daher ist ihre Geschichte bis zu einem gewissen Grade identisch mit der Geschichte der Moderne in Österreich, zumal es auch zahlreiche Querverbindungen zur Musik und zur Literatur gegeben hat.

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Sie ist vor mehr als 70 Jahren gegründet worden, die Wiener Secession, um die progressiven Kräfte der Künstlerschaft zu sammeln. Wie die letzten Ausstellungen des Jahres 1971 erweisen, bekennt sich die Wiener Secession auch heute zur Jugend, zum Fortschritt, zum Experiment. Fast alle bedeutenden künstlerischen Kräfte dieses Jahrhunderts sind in irgendeiner Beziehung zur Secession gestanden. Daher ist ihre Geschichte bis zu einem gewissen Grade identisch mit der Geschichte der Moderne in Österreich, zumal es auch zahlreiche Querverbindungen zur Musik und zur Literatur gegeben hat.

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Das große Thema „Wiener Secession“ lag gewissermaßen auf der Straße und harrte eines Finders. Nun hat sich der Wiener Dr. Robert Waissenberger, Jahrgang 1926, derzeit Referent für Bildende Kunst im Kulturamt der Stadt Wien, seiner angenommen und in den leitenden Männern des Verlages für Jugend und Volk verständnisvolle Mitarbeiter gefunden, durch deren gemeinsame Anstrengungen ein ebenso schönes wie gehaltvolles, kulturhistorisch wichtiges Buch zustande gekommen ist.

Die Vorgeschichte der Secessions- gründung ist bekannt: es gab jahrelang Spannungen innerhalb der Mitglieder des Künstlerhauses, wobei es gar nicht notwendig erscheint, nach persönlichen Gründen und Rankünen zu suchen. Man findet alles Bedenkenswerte über diesen Vorgang in zwei viel später erschienenen Betrachtungen: in Gottfried Benns „Das Altern als Problem des Künstlers“ und in Th. W. Adornos „Über das Altem der neuen Musik“. Hinzukommt die Abneigung vieler Künstler, lange Zeit in der gleichen großen Gemeinschaft zu leben …

Die „unzufriedenen Schwärmer“ standen unter der Führung von Gustav Klimt. Otto Wagner wurde von ihnen verehrt, und in Joseph Maria Olbricht fanden sie ihren Baumeister, der bereits ein Jahr nach dem Kollektivaustritt den Plan und das Haus — an einem heute nicht mehr, so schönen Matz—fertiggestellt hatte. Der provokant einfache kubische Bau mit dem von Ludwig Hevesi gefundenen Motto über dem Portal „Der Zelt ihre Kunst — Der Kunst ihre Freiheit“ erregte, natürlich, zunächst die Spottlust der Wiener. Seine kubische Form und die diese unterstreichende kostbare orientalisierende Ornamentik trugen dem Gebäude bald den Namen „Das Grab des Mahdi“ ein. Das Volk nannte es wegen der großen aus tausenden goldener Lorbeerblätter zusammengesetzten Kuppel einfach das „Krauthappelpalais“.

Bald begann hier eine rege Ausstellungstätigkeit, wobei besonders hervorzuheben ist, daß immer wieder auch ausländischen Künstlern, besonders Franzosen, Engländern und Deutschen, die Räume zur Verfügung gestellt wurden. Die große Klimt-Ausstellung von 1903 brachte einen ersten Höhepunkt. Aber zwei Jahre später trat die Klimt-Gruppe aus der Secession aus. Sichtbares Zeichen neuer Tendenzen war die Gründung der „Wiener Werkstätten“ durch Josef Hoffmann. Die Jahre vor dem ersten Weltkrieg sind nicht sehr ergiebig, trotzdem treten neue Namen hervor, wie der Anton Hanaks. Als Kuriosität sei erinnert, daß die 30. Austeilung Kaiser Franz Joseph, die 31. ausschließlich russischen Künstlern gewidmet war und daß über die 33. Exposition von 1909 Trotzki, der sich damals in Wien aufhielt, nach Rußland berichtete, wobei er besonders auf Albin Egger- Lienz hinwies (vielleicht hatte ihm dessen Gemälde „Tiroler Aufstand 1809“ besonders gut gefallen). 1918 hat Egon Schiele hier eine erste große Ausstellung. Das Ende der Donaumonarchie ist auch das Schicksalsjahr der ehemaligen Secessioni- sten: 1918 sterben Gustav Klimt, Kolo Moser, Otto Wagner und Egon Schiele.

Die Querverbindungen zu den anderen Künsten spiegeln sich in der 1898 gegründeten Zeitschrift „Ver Sacrum“ und in zahlreichen Veranstaltungen, die in den Räumen der Secession stattfanden. Über die letzteren würde man gern mehr erfahren, aber das Buch Waissen- bergers ist vor allem eine Geschichte der Künstlervereinigung „Wiener

Secession“. Die Dichter des Junge: Wien nahmen lebhaften Anteil a: den Bestrebungen der Secessio nisten, propagierten den Jugend stü und die Erzeugnisse der Wiene Werkstätten, so vor allem Herman: Bahr, Hofmannsthal, Beer-Hof mann, Schnitzler und Altenberg PCnhin ‘RTnIrrvsnhIrn nniH fliitprsiln’

haben wichtige Beiträge zur Literatur dieser Zeit geliefert, und Arnold Schönberg malte jahrelang mit Leidenschaft. Gustav Mahler wurde von allen verehrt, und zu Schönberg, Berg und Webern bestanden freundschaftliche Beziehungen. Auch die neue Tanzkunst fand hier eine Heimstätte: 1908 war Franz Schreker der jungen Grete Wiesenthal begegnet. Das für sie geschriebene Ballett „Der Geburtstag der Infantin“ nach einem Märchen Oscar Wildes wurde hier uraufgeführt.

Zwischen den beiden Kriegen treten neue, jüngere Künstler in den Vordergrund, von denen nur Anton Faistauer, Herbert Boedd und Fritz Wotruba genannt seien. 1938 wurde die Vereinigung „Wiener Secession“ zwangsweise aufgelöst, beziehungsweise mit dem Künstlerhaus fusioniert, 1945 ist das Gebäude durch Kriegshandlungen stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Neugründung und Wiederaufbau erfolgten zum Teil unter Mitwirkung ehemaliger Mitglieder, wie Prof. Josef Hoffmann. Zu Beginn der sechziger Jahre wird das Gebäude in seiner ursprünglichen äußeren Form wiederhergestellt, im Innern jedoch völlig umgestaltet. Eine Ausstellung „Wien um 1900“, die während der Wiener Festwochen im Sommer 1964 stattfand, forderte natürlich zu Vergleichen zwischen einst — der heroischen Zeit der Wiener Secession — und jetzt heraus, die nicht immer zugunsten der Gegenwart ausflelen…

Waissenberger ist nicht nur Historiograph, sondern er macht auch aus seinem eigenen Urteil kein Hehl. Die Exposition „Aspekte 1959“ zum Beispiel schien ihm mehr nach Gesichtspunkten der Kunstpolitik als nach Wertmaßstäben gemacht worden zu sein, und einige Künstler der mittleren Generation haben, seiner Meinung nach, nicht das gehalten, was sie in ihren Anfängen versprachen.

Das mit viel Fleiß geschriebene und schön ausgestattete Buch hat 245 Anmerkungen, ein vollständiges Verzeichnis der ehemaligen und gegenwärtigen Mitglieder der Wiener Secession, mit biographischen Angaben von AdUsftZ bis Zülow, es enthält* Wichtige Literaturangaben, ein Bildverzeichnis und ein vollständiges Namensregister, ist also auch in bibliographischer Hinsicht ein Standardwerk.

DIE WIENER SECESSION. Eine Dokumentation von Robert Waissenberger. Verlag für Jugend und Volk, Wien — München — Berlin — Zürich. 300 Seiten, 50 farbige und 30 Schwarzweißreproduktionen, 16 Photos. Graphische Gestaltung H. L. Handsur, Einband und Buchschmuck H. Lauth. Preis (bis 30. Juni) 680 Schilling.

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