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Leben im Kristallenwald

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Ernst Jünger, dessen 95. Ge- burtstag wir feiern, hat von Anfang an heftigen Widerspruch, noch mehr Bewunderung geweckt; vom Publikum wurden vielesseiner Werke nicht verstanden. Daran war der Autor selbst schuld: er formu- liert stets im Geiste einer unbe- kümmerten Hermeneutik. Er läßt den Leser am lebendigen Fluß des Denkens, Erinnerns und Erkennens Anteil haben; die mystischen Codes der Jüngerschen Sprache muß die- ser wohl selber knacken.

Die berühmt gewordene Flucht Jüngers in die Fremdenlegion kurz vor dem Ersten Weltkrieg zeigt den Achtzehnjährigen im Zustand des Aufruhrs gegen eine Ordnung, die man damals bürgerlich nannte. Der Vater holte ihn nach einem Monat, wußte ihn in den kommenden vier Jahren - siebenmal verwundet - im Felde. Das Erlebnis prägte Jüngers Lebenswerk. In der besonderen inneren Anspannung des Kampfes trat, so fühlte es der junge Offizier, das Wesentliche hervor; das Bei- werk schmolz dahin. Das war im Sinne der antiken Philosophen emp- funden: das Beispiel griechischer Hopliten, des schwerbewaffneten griechischen Fußvolkes, galt auch für das 20. Jahrhundert. Jünger sah stets das Ganze, das durch mythisch aufgeladene Einzelheiten vielleicht zu deuten, wohl nicht zu begreifen, von Menschenhand gewiß nicht zu formen war.

Er erwies sich auch als romanti- sches Temperament. Das Buch „In Stahlgewittern", 1920, beschwört, freilich in einem beunruhigenden, Misere und Heldentum vereinen- den Geiste das übersteigerte und zugleich frostige Schwärmen des Heinrich von Kleist.

Während der nächsten Jahrzehn- te versuchten Europas Intellektuel- le - und nicht nur sie -, die Heilser- wartung und den Anspruch auf Universalismus, wie sie durch die 1917-18 zusammengebrochenen Kaiser- und Königreiche verkör- pert gewesen waren, durch neue Totalitäten zu ersetzen. Auch Ernst Jünger schmiedete in dieser Zeit, bis in die dreißiger Jahre hinein, universalistische Pläne einer „kon- servativen Revolution". Wirklich- keit als Teil der Dichtung zu for- men: die alte platonische Forde- rung wollte erfüllt werden.

Es gab, so zeigt der Rückblick, drei Modelle, die versprachen die Universalität der sakralen Monar- chien als neu gegliederte Totalitä- ten weiterzuführen: 1. den Versuch, die Ordnung der katholischen Monarchie, allerdings ohne Mon- archen, dafür mit energischen, zu- weilen gewaltsamen Mitteln wei- terzuführen; 2. die von Marx erson- nene, von Lenin verwirklichte Dik- tatur des Proletariats, richtiger, einer kleinen Gruppe von Intellek- tuellen und politischen Funktionä- ren, deren Politbüro den Monar- chen ersetze; 3. den konsequenten Weiterbau des Nationalstaates des 19. Jahrhunderts im Sinne einer so- zialdarwinistischen Diktatur des Expansion betreibenden Militaris- mus, yon Judenhaß mitgetragen, in Deutschland durch den Massen- mord an Juden vom „Modell" zur Hölle pervertiert.

Das vierte Modell der parlamen- tarischen Demokratie, vermochte in den aufgewühlten Ländern der ehemaligen Monarchien nicht er- folgreich zu regieren: schrecklicher Mangel und allgemeines Elend lie- ßen die Verteilungskämpfe - außer im goldenen Böhmen - ins Mörderi- sche abgleiten. Die Menschenmas- sen erwarteten auf die Sinnfrage die kürzeste und bündigste Ant- wort; Sicherheit galt nicht zum ersten Male für wichtiger als Frei- heit. Ursachen gab es viele. Theore- tische Ansätze einer möglichen Ord- nung formulierte auch Ernst Jün- ger in seinem Buch „Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt", 1932,doch war das wenigste für den politi- schen Alltag klar deutbar, nichts exekutierbar. Wie der Spanier Or- tega y Gasset in seinem „Aufstand der Massen" und der Ungar Läszlö Nemeth in seiner „Rebellion der Qualität" sieht Jünger historische Prozesse als Naturgeschehen, das notwendigerweise neue, ihrem Wesen nach bisher unbekannte Typen hervorbringt.

Die Bruchlinien sind sichtbar geworden; es ist nun nicht länger notwendig, persönliches Schicksal, ins Allgemeine eingebettet, darzu- stellen. Die Jahre 1939-45 diente Jünger als Hauptmann vor allem bei den deutschen Truppen in Frankreich, befand sich vorüber- gehend auch im Kaukasus. Der Eindruck, den er bei seinen franzö- sischen Freunden hinterließ, wur- de von Vercors (alias Jean Bruller), einem Autor des Widerstands, in der Erzählung „Das Schweigen des Meeres" beschrieben.

Während all der Jahre und Jahr- zehnte wuchs Ernst Jünger zum bedeutendsten deutschen Autor unserer Zeit, der - um kristallini- sche Transparenz der Sprache bemüht - den Menschen als Grenz- gänger zwischen dem forschenden Willen und dem dunklen Bereich seiner ins Magische reichenden Möglichkeiten darstellt. So entstan- den Meisterwerke der erzählenden Prosa („Das abenteuerliche Herz", 1929, „Auf den Marmorklippen", 1939, „Ortners Erzählung", 1949, „Gläserne Bienen", 1957, und so weiter) und Reiseberichte, in denen das fast geometrisch-strenge Sprachgefüge den Geist der Antike und des Orientalischen als ständig wirksame Kräfte, auch Europa durchziehend, erkennen läßt.

Weder im Epischen noch im Rei- sebericht kann bei Jünger Welt als Objekt der Wissenschaft ausgespart bleiben, doch treibt es den Autor auf anderen Gebieten von der Wis- senschaft zur Ontologie, und wei- ter zu Fragen nach den magischen Elementen der Existenz.

DasBuch „Subtile Jagden", 1985, entspringt Jüngers lebenslanger Beschäftigung mit Insekten, mit Suchen, Finden und Sammeln, aber auch mit jenem Grenzbereich von Physis und Metaphysis, in dem sich vieles der Täuschung bedient, For- menvielfalt die ihr innewohnende biologische Notwendigkeit nicht immer erkennen läßt, Schöpfungs- gesetz als Spiel des Zufalls erschei- nen kann. Überlegungen, Erfahrun- gen, Erkenntnisse über Seelenrei- sen werden in Jüngers Buch über Drogen und Rausch, „Annäherun- gen", 1970, mitgeteilt; wie in ande- ren Grenzbereichen, geht es auch hier um die Erweiterung der Phantasie. „Strahlungen" schließ- lich, die Bände der Kriegstagebü- cher handeln nicht vom Kampfe, sondern vom Seelenzustand eines einzelnen.

Wie kein anderer deutscher Au- tor erzählender Prosa seit Goethe, ist Ernst Jünger erkenntnissuchen- der Universalist, doch überschrei- tet er, anders als Goethe, das Ge- dankensystem der Aufklärung, stößt auf ungesichertes Gebiet vor, stellt die Sprache in den Dienst eines bildhaften Denkens, in dem unversehens Dämonen erscheinen oder Spuren eines Todes, der - hei- ter und tröstlich - als Tor zu einer freieren Daseinsform erkannt wer- den kann.

Alles ist Wirklichkeit, Traum, Deutung und Geheimbotschaft zugleich, und wenn der Roman „Auf den Marmorklippen" die Verderb- nis des Dritten Reiches bildlich darstellt - so daß uns zuletzt die satten Farben und filigranen Figu- ren in Erinnerung bleiben, als hät- ten wir sie gesehen und nicht gele- sen -, darf der analytische Verstand die Konturen einer zu ihrer Zeit notwendigen politischen Attacke erkennen. Der mit der europäischen Geschichte gänzlich unvertraute Leser, der Jüngersche Mann vom Mond, aber wird Symbole anderer Lebensströmungen entdecken.

Jüngers Bedeutung für die Welt- literatur haben wohl die Franzo- sen, nicht aber die Deutschen er- kannt. Die Unfähigkeit, in diesem Punkt das Richtige - nämlich dem Sprachkunstwerk entsprechend - zu denken, entspringt der besonde- ren Lage, in dem sich die deutsche Literatur seit dem Jahr 1945 befin- det. Hitlers Verbrechen zeitigten auch hier die schrecklichsten und seltsamsten Folgen. Die deutsche Literatur steht im Zeichen der rück- blickenden Reue, der Spurensuche und der Trauerarbeit; die morali- schen Ansprüche sind größer als die ästhetischen. Dadurch aber wurden eine Atmosphäre, aber auch eine Wertskala geschaffen, die sich von den Normen der Kritik zum Beispiel in England, in Rußland oder in Frankreich gänzlich unterschei- det. Das Gefühl jener Verpflich- tung zur Reue - teils wirklich emp- funden, teils Ausgangspunkt eines Rituals, teils Geschäft - wird das Lebenswerk Ernst Jüngers, das in einer völlig anderen Welt der Ver- antwortungen, Erwartungen und Erkenntnisse beheimatet ist, nicht orten können. In Jüngers Land- schaft der Sinnbilder findet sich dieses Denken nicht zurecht, Jün- gers Denklinien, die den Autor und den Leser gleichermaßen in die Zukunft ziehen, kann es nicht be- greifen. Wo aber Verständigung unmöglich ist, herrscht Schweigen.

Der geistige Aufbruch des Herb- stes 1989,dieAbkehrvonden gänz- lich materialistischen Heilslehren und Planungen, hat Ernst Jüngers Standort, wenngleich nur durch die Hinwendung der Massen zum Aben- teuer der äußeren Freiheit, bestä- tigt. Hier kam eine Kraft zum Durchbruch, deren Wirkungsart ErnstJünger imJahre 1930mit den Worten beschrieb: „Was läßt uns bestehen, wenn nicht der geheim- nisvolle Lichtstrahl, der zuweilen die innere Wildnis durchzuckt? Und der Mensch will sprechen, wie unvollkommen es auch immer sei. von dem, was mehr als menschlich an ihm ist."

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