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Leben in Frieden

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Ich gehe davon aus, daß es sich zumal jene Menschen mit einer Scheidung und Wiederheirat nicht leichtmachen, die am Leben der Kirche teilnehmen. Ich unterstelle auch, daß gründlich geklärt worden ist, ob eine Ehe wirklich zustande gekommen und eine Nichtigkeitserklärung nicht in Aussicht ist. Auch weiß ich von vielen Betroffenen, daß sie selbst unter ihrer Schuld leiden, daß aber ebenso auch viel Tragik im Spiel ist. Schließlich halte ich, gestützt auf die Bibel, daran fest, daß aus dem Blickwinkel Gottes die Ehe dazu da ist, um den Menschen einen guten Lebensort zu geben, auf dem sie (nach der Vertreibung aus dem Paradies) ein „Leben in Frieden“ finden können, denn dazu „hat Gott uns berufen“ (1 Korinther 7,15c).

In diese Richtung geht auch der Ehetraum bei den meisten Brautpaaren. Und eben darin sind manche gescheitert.

Beliebig viele Wege stehen den Betroffenen nicht offen. Drei sehe ich, und ich beginne mit dem schmälsten, den nur wenige gehen, der aber nicht von vorneherein der schlechteste ist:

Manche halten es nämlich für möglich, daß es die Auferstehung aus dem Tod einer Beziehung gibt. Natürlich ist dies auf den ersten Blick das Unwahrscheinlichste. Wie soll eine „Eheleiche“ wieder lebendig werden? Doch ist die verrückte Grundbotschaft des Christentums jene der Auferstehung. Was geschieht, wenn zwei gläubige Christen eine solche Beziehungs-Auferstehung Gott zutrauen? „Dein Glaube hat Dir geholfen“: Könnte dies nicht auch für tote Beziehungen gelten?

Nur eines darf hier nicht übersehen werden: Dieser Glaube ist selbst ein Wunder und kann nicht verordnet oder gar erzwungen werden.

Der zweite Weg heißt allein leben. Viele halten diesen Weg nicht für gangbar. Umso überraschender ist es, daß zumal die profane Scheidungsberatung heute den Rat gibt, nach einer Scheidung nicht — wenigstens nicht gleich — zu heiraten und sich in einer ehelichen oder eheähnlichen Beziehung zu binden.

Allein leben meint hier: vielleicht erstmals auf eigenen Füßen leben zu lernen. Ein solches Al-lein-Leben ist freilich kein beziehungsloses Leben. Solches ist immer tödüch. Aber nicht jede Beziehung muß ehelich sein.

Christen, die geschieden sind, und sich am Wort Jesu ausrichten, daß denen, die glauben, in Freiheit Treue möglich ist, und dies ein Leben lang, werden diese Lebensform auf jeden Fall ernstlich in Erwägung ziehen. Dabei werden sie aber entdecken, daß die Entscheidung, allein leben zu lernen, unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen nicht eben leicht ist.

Schwer ist für einen aufrechten Christen das Allein-Leben nach der Ehe auch aus einem anderen Grund, der in unserer Kirche ebenso wie in der Alltagswelt praktisch tabuisiert ist. Es ist die Frage nach einer erotisch-sexuellen Kultur für Alleinlebende. Dabei geht es nicht um Alleinlebende allgemein, sondern um jene, welche die Feste der Liebe schon kennengelernt haben, welche Frau und Mann - einander zugewandt - begehen.

Was tut ein Christ, der die Lebensregel der Kirche sehr wohl kennt und auch grundsätzlich anerkennt, daß der „befriedigende Ort für die erotisch-sexuelle Begegnung zwischen Mann und Frau einmalige, verläßliche und dauerhafte Beziehungen sind, die sich sehen lassen können“? Was tut also ein solcher Christ, dem nur noch Reue und Leid über die aus Schuld und Tragik zerbrochene erste Ehe bleibt und der auch nicht zu einem enthaltsamen Leben berufen oder wenigstens nicht in der Lage ist?

Es gehört zu den wichtigen Aufgaben der Alleinlebenden, miteinander, unter den Augen des Evangeliums eine für ihre „verfahrene Situation“ verantwortliche erotisch-sexuelle Kultur zu entwickeln.

Schließlich heiraten auch Christen nach reiflicher Überlegung wieder. Die kirchliche Gemeinschaft rät dazu nicht, obwohl im Einzelfall wenigstens soweit Beratung geschehen soll, daß die Fehler der ersten Ehe nicht wiederholt werden.

Die orthodoxe Kirche stellt für Zweitehen ein religiöses Ritual zur Verfügung, die katholische Kirche hingegen nicht. Was die kirchliche Gemeinschaft tun kann, ist, die Entscheidung erwachsener Christen respektvoll anzunehmen. Daraus ergeben sich aber für die Wiederverheirateten und die Gemeinschaft der Kirche neuartige Aufgaben.

Die kirchliche Gemeinschaft muß jegliche Diskriminierung vermeiden. Dabei ist wichtig, zu sehen, daß von den Betroffenen der Ausschluß vom Bußsakrament und folglich von der Kommunion als zusätzliche Diskriminierung erlebt wird, auch wenn es von den Verantwortlichen der Kirche ganz anders gemeint ist.

Es ist jedenfalls erfreulich, daß die österreichischen Bischöfe im Jahre 1981 in einem Hirtenbrief geschrieben haben: „Nach der traditionellen Praxis der Kirche können sie aber nicht am vollen sakramentalen Leben teilnehmen, es sei denn, es hegen besondere Verhältnisse vor, die jeweils im Gespräch mit einem erfahrenen Priester der näheren Klärung bedürfen.“

Aber auch die Wiederverheirateten haben es in ihrer neuen Situation in der Kirche nicht von vornherein leicht. Sie leben ja als Nonkonformisten. Durch ihre Entscheidung, wider die Praxis der Kirche wiederzuheiraten, geraten sie doch in den Raum einsamer Verantwortung. Sie können nämlich nicht von der Gemeinschaft erwarten, daß sie die Abweichung von der Regel selbst zur Regel macht. Es bleibt eine Kunst, als Nonkonformist in der Kirche zu leben, ohne Aggressivität, die aus der Entbehrung an Bestätigung kommen kann. Was dabei vor allem helfen kann, ist die Solidarität in Gruppen und die respektvolle Annahme durch eine Kirchengemeinde.

Welchen Weg Betroffene auch immer gehen, eines muß klar sein: Wenn die Kirche in den Fußstapfen Jesu geht, wird man sie bei den lebensmäßig Erfolglosen finden — im Unterschied zu einer Gesellschaft, die dazu neigt, auf der Seite der Erfolgreichen zu stehen und die Erfolglosen fallenzulassen.

Der Autor ist Ordinarius für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

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