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Leben statt hetzen

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Ais Selye vor Jahrzehnten den Streß entdeckte, ahnte wohl nur er, welche weltweite Eroberung diesem psychologisch - medizinischen Reaktor bevorstand.

Als Uberbelastung des Menschen im Zivilisationskreis der Industriegesellschaft erkannt, durch Leistungsdruck, Reizüberflutung vornehmlich hervorgerufen, bedeutet er die jeweils individuelle Unfähigkeit, die Reaktionen bei Extrembelastung „richtig" zu steuern.

Streß hat es sicher schon immer gegeben. Bloß das Etikett fehlte uns bislang. Und nur unserer Zeit blieb es vorbehalten, ihn ins Maßlose ge-

steigert zu sehen, zugleich mit vollem Bewußtsein erkennen zu müssen, daß er symbolisch für den heutigen Menschen steht, dem das Maß, die Mitte, verlorengegangen ist.

Alle Welt spricht heute von Streß, fast alle Welt - leidet unter ihm. Wenn wir über die Lebenshaltung im Streß klar werden wollen, beschäftigen wir uns ausschließlich mit seiner schädlichen Seite, lassen den heilsamen Streß ausgeklammert.

Selye nennt den negativen Streß: Distreß. Allgemein hat sich dieser Begriff jedoch nicht durchgesetzt und so bleiben wir ebenfalls bei Streß.

Mit psychosomatischen Zu-standsbildern wird derjenige eher reagieren, den der negative Streß zur Unzeit körperlicher Schwächung, beruflicher Uberbeanspruchung trifft, als ein voll ausgeruhter, nervlich ausbalancierter, gerade in jeder Hinsicht in guter Verfassung stehender Mensch.

Damit soll nicht gesagt sein, daß die jeweilige Frustrationstoleranz, die angelegte oder anerzogene Widerstandskraft des einzelnen gegen Umwelteinflüsse, die Verzichtsfähigkeit, ohne Bedeutung wären.

Der Himmel ist kein Ort, sondern die Gemütsruhe, zitiert Smiles einen Weisen.

Das tägliche Bemühen um üejas-senheit, die Anstrengungen um ein wesentliches Leben können durch einen kleinen Einstellungstrick erleichtert werden: Gib jedem Tag die

Chance, der schönste deines Lebens zu werden!

Die meisten Menschen werden ein Opfer des Streß, weil sie sich ein ganzes Leben lang vorbereiten - auf das Leben, statt zu leben.

Ein angemessenes: Nütze den Tag, ein formelhaftes unermüdliches Versuchen, mit Klugheit einfach zu sein, sind natürliche innere Hilfen gegen den Streß.

Unser Leben ist nämlich wirklich das, wozu unsere Gedanken es machen. Bagatellen auf ihr richtiges Maß reduzieren, daß man jetzt, heute, am Schnittpunkt zweier Ewigkeiten lebt, der weit zurückge-

flossenen Vergangenheit und der vorwärtsdrängenden Zukunft. Wir können die eine nicht herbeiholen, der anderen nicht entgegeneilen. Wir können nur leben. Jetzt, nur jetzt.

Wie nach Schopenhauer jeder Schlaf ein kleiner Tod, jedes Erwachen eine neue Geburt ist, bleibt uns letztlich dieser Tag.

Ihn nicht unnötig mit der Vergangenheit zu vertrödeln, mit der Zukunft zu belasten, mit Unwesentlichem zu verschütten, wird uns helfen, vom Erwachen bis zur Nacht ruhigen Gemüts zu leben.

Jeder Tag bedeutet ein neues Leben.

Diese friedvolle, aufregende, schreckliche, lustbetonte, traurige, heitere, belangvolle, herrliche, ausgefüllte, erlebte Zeitspanne zwischen Morgengrauen und Abenddämmerung soll und kann von jedem mit Anstand geduldig verbracht werden.

Zugegeben, wahrscheinlich können wir niemandem helfen, die richtige Lebenshaltung im Streß einzunehmen, weil hiezu nur jeder für sich selbst imstande ist.

Wir konnten nur zeigen, was andere taten und dachten, um vom Streß nicht hinweggespült zu werden.

Den Verfasser selbst zum Beispiel führten die Aufzeichnungen darüber zur richtigen Lebenshaltung im Streß.

Gelänge dies auf Grund dieses einfachen Aufsatzes auch nur einem einzigen Leser ebenfalls, die Mühe hätte sich gelohnt.

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