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Lebenslange Liebe

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Mein Land, mein geliebtes Vaterland! Es wird nicht allzu oft vorkommen, daß eine Deiner Töchter, einer Deiner Söhne Dir einen Brief schreibt — aber warum soll nicht Nicht-Alltägliches auch einmal geschehen..

Du mußt nämlich wissen, daß ich in Sorge um Dich bin, daß ich um Deinen Zustand weiß, daß ich mit Wehmut sehe, wie man mit Dir umgeht, Dich behandelt, mißbraucht und oft nicht davor zurückschreckt, Dir ins Gesicht zu spucken oder dieses gar zu zerkratzen. Du weißt, wie ich Dich liebe und wie weh mir das alles tut.

Natürlich ist das so: je älter ich werde, desto empfindlicher bin ich, ich komme in Rage, wenn man sich zu Dir schlecht benimmt, aber gleich darauf falle ich wieder in tiefe Traurigkeit zurück und bin — ja, ich sag's wie es ist — verzweifelt. Geht es jedem Liebenden so, der mitansehen muß, wie sehr dem Gegenstand seiner Zuneigung Unrecht getan wird? Ich weiß es nicht, aber komm, schauen wir zurück.

Wann hat es denn angefangen mit uns beiden, mit unserem, zuerst etwas schlampigen Verhältnis? 1919 bin ich geboren worden, und da hast Du im neuen Gewand einer res publica gerade das Erbe — sagen wir lieber die Erbschaft oder Konkursmasse — Deiner Vorgängerin, der alten, großen, aber leider schon sehr kranken k. u. k. Monarchie angetreten.

Man hört von diesem Großstaat so viel Gutes und auch so viel Schlechtes, daß es sicher nicht leicht für Dich war — und ist —, in die Fußstapfen dieser geschichtlichen Vergangenheit hineinzuwachsen, aber Du rettest Dich halt in die Rolle der Republik mit dem Hang zu kaiserlichem Prunk. Recht hast Du - bei Deiner Abstammung, bei Deiner Vergangenheit! Aber ich komme ab vom Thema.

Wie ging es denn weiter mit uns beiden? Schulzeit! Zuerst Volksschule, sehr liberal, sozial, demokratisch, denn ich ging in die A-Klasse, und die war so gemischt (Katholiken, Juden, Protestanten, Konfessionslose) wie der Lehrer Franz Herz eindeutig tolerant war. Mittelschule — zuerst Neustiftgasse mit dem Roten-Nelken-Direktor Zdenek, dem bald (Du warst inzwischen Bundesstaat geworden) ein schwärzlicher, höflicher und sehr gebildeter Studienrat Springer folgte. Mein Gott, Du Land, was hast schon damals mitmachen müssen! Du mußtest sehen, wie Deine Söhne aufeinander schössen. Vergebens trugen Deine jüngsten Jünger — so wie ich einer war—das Dreieck mit dem Eichenblatt und der Schrift „Seid einig“ auf rotweiß-rotem Grund. Alles waren sie, nur nicht einig — nicht einmal in der Treue zu Dir. Du mußtest sehen, wie ein Teil Deiner „Buam“ hinüber schielte, ja ausriß ins letzte Reich, das Dein abtrünnigster Sohn gerade errichtet hatte, wie um zu bestätigen, daß uns — Dir und uns, Deinen Bürgern — von dort außer dem gebrüllten noch nie das Heil gekommen ist.

Als sie Deine Fahnen von den Stangen rissen, uns nicht einmal mehr das Krukenkreuz ließen, .lagst Du ohnmächtig am Boden, und anstelle der Schnürschuhe, die Dügewohnt warst, traten hunderttausend Paar Knobelbecher auf Dir herum. Was aber war das Schlimmste für Dich? Diese Militärstiefel mit den in Fußlappen gehüllten Schweißfüßen, die in ihnen steckten, wurden von einem ziemlich großen Teil Deiner Kinder ins Land gerufen. Niemand wagte sich zu widersetzen, sogar der gebildete Kanzler, der dem kleinen - der das große Opfer gebracht hatte — gefolgt war, nahm das Wort, er sei ein deutscher Mann, zurück. Erinnerst Du Dich, wie sehr wir, Du und ich, damals erschüttert waren? Ich spielte damals schon Theater, im „Lieben Augustin“. Auf dieser eher „linken“ Bühne fiel der letzte Vorhang, und Du fielst in Agonie. Verunsichert, an Deinen Kindern zweifelnd — nicht wahr, das tust Du auch heute oft wieder? Wir liebten Dich, wir mußten nicht auf die Stunde Null warten, um Patriotismus zu zeigen.

Ich erinnere mich, wenn wir als Siebenjährige „Zur Suppe, zur Suppe, die Knödel sind heiß“ gespielt haben, wollte der Erich immer der Amerikaner sein (er ist es später auch geworden), der Kurtl der Franzose, der Walter der Engländer und ich — ja ich wollte immer nur der Österreicher sein. Nicht, weil mir nichts anderes übrigblieb wie dem Doktor Grün im „3. November 1918“ Deines großen Sohnes Franz Theodor Csokor — nein, ich konnte mir nie, schon als Kind nicht vorstellen, etwas anderes sein zu wollen, denn Dein Sohn. Nur Deiner! Daß mir das später schlecht bekam, steht auf einem anderen Blatt — ich versuche nur zu bestimmen, wann unser Verhältnis, unser am Anfang schlampiges, begonnen hat.

Früh, wie ich sehe, sehr früh. Soll ich sagen: mit meiner Geburt? Also das wäre übertrieben, und Du hättest, Kind das Du warst, nichts davon bemerkt. Dann kam Deine Ohnmacht, Dein Darniederliegen, und danach ging endlich die Sonne auf für Dich, kalt und zögernd zuerst, aber sie ging auf damals, 1945, als mit einem Paukenschlag sondergleichen ein Reich unterging und Du neu geboren wurdest.

Deine Söhne wurden weggeführt, so wie sie andere Söhne weggeführt hatten, Deine Töchter wurden geschändet, Deine Kinder froren und hungerten, aber sie atmeten zum ersten Mal nach zweiundzwanzig Jahren eine Luft ein, die einen leichten Geschmack von Freiheit am Gaumen zurückließ.

Du, mein Land, blutetest aus tausend Wunden, Dein Körper war ausgemergelt, und Tränen flössen Dir aus den Augen. So sah ich Dich wieder, aus Haft, Krieg und Gefangenschaft kommend und — ja damals war das Verhältnis schon längst kein schlampiges mehr, damals im November 45, da begann es eine Liebe zu werden, eine Liebe, groß und gut, die bis heute hält und halten wird, bis ich in Dich zurückkehre.

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