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Lebensraum aus zweiter Hand

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Die Planung neuer Wasserkraftwerke erhitzt die Gemüter und polarisiert die Meinungen. Viel weniger Interessiert sich die Öffentlichkeit für das ökologische Schicksal der durch frühere Kraftwerksbauten veränderten Landschaften.

Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund erntete der österreichische Verhaltensforscher und Lorenz-Schüler Otto Koenig keineswegs nur Lob, als er sich entschloß, die Lösung der Naturschutz- und Umweltprobleme im Bereich bestehender Stauseen gemeinsam mit der österreichischen Elektrizitätswirtschaft in Angriff zu nehmen.

Der als Gründer der „Biologischen Station" und Leiter des heutigen Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung am Wilhelminenberg in Wien weithin bekannte Forscher hat wenig Verständnis für den Vorwurf ganz auf die Verhinderung neuer Kraftwerksbauten eingeschworener Naturschützer, er sei ihnen in den Rücken gefallen. Koenig: „Es geht uns darum, die Wunden, die da geschlagen werden, zu heilen. Ich habe nie ein Gutachten für einen Kraftwerksbau abgegeben!"

Otto Koenig ist fest davon überzeugt, daß der Naturschutz wesentliche Aufgaben verfehlt, wenn er sich auf den Kampf gegen drohende Eingriffe in die Umwelt beschränkt und so von der Veränderungswelle überrollen läßt oder in ideologische Grundsatzdiskussionen und die Klärung von Verschuldensfragen verrennt. Der Ökologe muß vielmehr „korrigierend beraten", damit aus der Zerstörung ökologischer Zusammenhänge „Lebensraum aus zweiter Hand" entstehen kann.

Diesem Ziel dient das vor eineinhalb Jahren eröffnete „Institut für angewandte Öko-Ethologie am Stausee Staning", eine Wilhelminenberg-Au-ßenstelle, die unabhängig, ausschließlich unter Koenigs Leitung, arbeitet. Spezielle wissenschaftliche Projekte sollen vom Wissenschaftsministerium finanziert werden. Ziel der Tätigkeit ist es, zu erkunden, wie sich die Tierwelt in diesem Gebiet seit der Entstehung der Stauseen entwickelt hat und wie ihre Lebensbedingungen verbessert werden können.

Die beiden in Staning tätigen Wissenschaftler leben und arbeiten naturverbunden unter forschungsför-dernden Bedingungen, ganz auf sich gestellt.

Der Stausee des Ennskraftwerkes Staning ist rund 14 km lang. Er hat zwar zum Teil vogelfreundliche, flach auslaufende Ufer, aber die meisten Böschungen sind zu steil. Der flußabwärts anschließende, etwas jüngere, 11 km lange und schmälere Stausee Mühlrading bietet der Vogelwelt bessere Voraussetzungen, weil es weniger Störfaktoren gibt.

Die Bestandsaufnahme in der ersten Arbeitsphase ergab 148 Vogelarten im Bereich der beiden Seen, Singvögel und gelegentliche Gäste eingeschlossen. Die Arbeit der beiden Wissenschaftler hat mehrere Schwerpunkte:

Die wissenschaftliche Tätigkeit im Gelände. Die an jedem vierten Tag von bestimmten Beobachtungspunkten durchgeführte Vogelzählung, die das Team jeweils rund fünf Stunden beansprucht, soll klären helfen, wovon die Schwankungen der Vogelbestände abhängen. Welche Rolle spielen dabei Wetter, Wasserstand, Nahrungsangebot, die Gewohnheiten der Zugvögel oder die Tendenz zu tradierten Rastplätzen?

Die erzieherische Arbeit. Der Schutz vieler Vogelarten steht und fällt damit, ob es gelingt, Ruhebereiche zu schaffen, die von Spaziergängern, Anglern und Booten respektiert werden. Wo die Verhaltensforscher schon bei der Planung eines Kraftwerkes herangezogen werden, können sie helfen, Erholungs- und Vogelschutzgebiete auseinanderzuhalten. Hinterher lassen sich Gewohnheitsrechte schwer zurücknehmen.

Tafeln mit Hinweisen wie „Vogelschutzgebiet" oder „Brutgebiet" sind rechtlich nicht bindend. Geduldige Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung vergrößert die Zahl der Menschen, die solche Hinweise respektieren.

Die Verhaltensforscher sind davon überzeugt, daß naturkundliche Kenntnisse die Ansprechbarkeit für Erfordernisse des Naturschutzes vergrößern. Damit muß aber schon in der Schule begonnen werden. Daher ist die Freilichtschule von Staning mit 30 Sitzplätzen und Schautafeln mit Abbildungen und Kurzcharakteristiken der einzelnen Vogelarten ein Beitrag zum Vogelschutz.

Die wissenschaftliche Arbeit im Institut. Im Freigelände mit Teich sowie in Gehegen werden die Lebensgewohnheiten verschiedener Arten (Kormorane, Tauchenten, Graureiher ...) genauer erkundet.

Die Mitarbeit bei ökologisch wirksamen Veränderungen. Oft führt mangelndes Wissen zu gutgemeinten, aber falschen Maßnahmen. Vor wenigen Jahren wurde das Stauziel der Seen Staning und Mühlrading um einen Meter erhöht. Ein offenbar am grünen Tisch entstandenes Gesetz erzwingt in solchem Fall die totale Freischlägerung aller neu überfluteten Gebiete von jeglichem Baumbestand.

Verhaltensforscher raufen sich ob solcher Forderungen die Haare: Unter den Bäumen, die umgehauen und mit zum Teil hohen Kosten in unwegsamem Gebiet abtransportiert werden mußten, waren viele Weiden, die, eine Handbreit unter Wasser stehend, zu einem großen Teil überlebt hätten. Und auch ein toter Baum ist als Sitzplatz für die Vogelwelt noch viele Jahre von Wert.

Immerhin konnten die Wissenschaftler der Station Staning die ökologisch richtige Neubepflanzung planen und dafür sorgen, daß sie auch richtig - aus dem Blickwinkel der Tierwelt - durchgeführt wurde.

Verlorenes kann man nicht wiederherstellen, aber man kann dafür sorgen, daß dort, wo ökologische Zusammenhänge zerstört wurden, neue Lebensräume für neue Artengemeinschaften entstehen.

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