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Lebenswertes Altsein

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Für jeden Menschen ist es eine gewaltige Umstellung, seine gewohnte, vom Beruf geregelte Ordnung aufgeben zu müssen und plötzlich über eine nahezu unbegrenzte Freizeit .zu verfügen. Dabei fällt heute das Berufsende durchaus nicht mit dem Ende der menschlichen Leistungsfähigkeit zusammen. Die Veränderung des Lebensrhythmus durch die Pensionierung hat mitunter für den Betroffenen schwere gesundheitsbedrohende Folgen.

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Für jeden Menschen ist es eine gewaltige Umstellung, seine gewohnte, vom Beruf geregelte Ordnung aufgeben zu müssen und plötzlich über eine nahezu unbegrenzte Freizeit .zu verfügen. Dabei fällt heute das Berufsende durchaus nicht mit dem Ende der menschlichen Leistungsfähigkeit zusammen. Die Veränderung des Lebensrhythmus durch die Pensionierung hat mitunter für den Betroffenen schwere gesundheitsbedrohende Folgen.

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Das abrupte Aufhören mit der gewohnten Tätigkeit, die plötzliche Inaktivierung nach einer Periode anstrengender, verantwortungsvoller Berufsarbeit kann als Abstieg, unter Umständen als „Schock“ erlebt werden. Der „Pensionierungsschock“ und besonders der gelegentlich vorkommende „Pensionierungstod“, bei dem ein Mensch den Zeitpunkt seines Berufsendes nur um Tage oder Wochen überlebt, sind drastische Beispiele für die oft enormen Anpassungsschwierigkeiten an den Ruhestand.

Um den „Pensionierungsschock“, diese für viele Menschen persönliche Katastrophe zu verhindern oder zumindest zu müdem, werden von den zuständigen Forschem Überlegungen angestellt, wie man älteren Menschen den Übergang vom Beruf in die Pension erleichtern könnte.

Erfolgreiches Altem erfordert einen Prozeß ständiger Adaption im intellektuellen, sozialen und emotionalen Bereich, um einen Ausgleich der Bedürfnisbedingungen zwischen Gesellschaft und dem vom Berufsleben geschiedenen Menschen zu erreichen. Gelingt es, diese ständige Auseinandersetzung mit der jeweili- gen Lebenssituation und den immer wieder erneut nach Anpassung strebenden Bemühungen zu bewältigen, dann wären Grundlagen für eine Beeinflussung des Altemsvorgangs unter Berücksichtigung seiner individuellen Varianten gegeben.

Der Weg, der zu diesem Ziel führt, ist steinig. Der moderne Mensch versucht das Alter aus seinem Bewußtsein zu verdrängen. Untersuchungen haben gezeigt, daß der Mensch erst in den letzten fünf Jahren vor der Pensionierung für Probleme ansprechbar ist, die im Ruhestand auf ihn eindringen. Die Altersforschung ist aber zur Feststellung gekommen, daß die Vorbereitung auf das Alter bereits in der Jugend und im mittleren Alter zu erfolgen habe.

Menschen mit 60 Jahren in guter Gesundheit haben noch eine Zeitspanne von 20 bis 30 Jahren vor sich, ein Drittel ihres ganzen Lebens. Der Mensch von heute sollte sein Leben nicht nur im Hinblick auf seine Jugend- und Mannesjahre aufbauen, sondern auch im Hinblick auf. sein Alter. Alter ist heute keineswegs gleichzusetzen mit Krankheit, Schwäche und Abstieg, sondern Alter ist eine normale menschliche Reifungsphase. Mit dieser beginnt ein neuer Lebensabschnitt mit neuen Aufgaben, unter Umständen mit einer neuen Karriere.

Amerikanische und deutsche Untersuchungen haben nachgewiesen, daß persönliches Wohlergehen und Langlebigkeit mit geistiger Aktivität und intellektuellen Fähigkeiten Zusammenhängen. In unserer leistungsbesessenen Industriegesellschaft ist die hartnäckige Meinung vorherrschend, daß mit dem Alter ein genereller Leistungsverfall eintrete.

Gründliche Forschungen haben aber ergeben, daß das Gesamtspektrum der Intelligenz im Alter keineswegs nachläßt, sondern daß lediglich Intelligenzverlagerungen von einigen Teübereichen des Spektrums zu anderen stattfinden. Einige Intelligenzbereiche lassen zwar in ihrer Leuchtkraft im Alter nach, vor allem solche, die mit Kraftakten, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Wendigkeit und rascher Anpassung an neue Situationen Zusammenhängen. Andere Teilbereiche des ' Intelligenzspektrums treten dagegen viel intensiver als in jüftge’refi Jahren herVör; nämlich solche, die mit einer mehr „gefestigten Intelligenz“ Zusammenhängen, wie etwa Präzision, Pünktlichkeit, Ausdauer, Zuverlässigkeit, Steigerung des Erfahrungswissens, des sprachlichen Ausdrucks, der wissenschaftlichen Arbeit und der künstlerischen Produktion.

Diese geistigen Fähigkeiten des alten Menschen müssen aber ständig geübt werden. Schon Hippokrates sagte vor 2000 Jahren in seinen „Regeln für eine gesunde Lebensführung“: „Alle Teile des Körpers, die zu einer Funktion bestimmt sind, bleiben gesund, wachsen und haben ein’ gutes Alter, wenn sie mit Mäß gebraucht werden und in den Arbeiten, an die jeder Teil gewöhnt ist, geübt werden. Wenn man sie aber nicht braucht, neigen sie eher zu Krankheiten, nehmen nicht zu und altem vorzeitig.“

Um die geistigen Kräfte und Begabungen der betagten Menschen zu erhalten und womöglich noch zu entwickeln, muß der Bildung und Fortbildung bei der Vorbereitung auf das Alter und auch weiter im Alter ein hervorragender Platz eingeräumt werden. Die österreichische Rektorenkonferenz hat beschlossen, die Universitäten und Hochschulen unseres Landes den Senioren mit und ohne Reifeprüfung zugänglich zu machen. Der österreichische Seniorenbund unterstützte sofort mit allen seinen organisatorischen und publizistischen Möglichkeiten das Hochschulstudium für Senioren. Vor allem wurde durch Einrichtung regelmäßiger Sprechstunden im'Seniorenbund eine Vorberatung durchge-

führt, um den studierwilligen Senioren bei der Auswahl der Vorlesungen und bei den Formalitäten von Immatrikulation und Inskription behilflich zu sein.

Vielen älteren Menschen, die in ihrer Jugend nicht weiterstudieren konnten oder wollten, wurde durch diese Aktion ein Hochschulstudium ermöglicht.

Bildung ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten, wie die Senioren zu einem aktiven Leben angeregt werden können. Das hohe Maß an Erfahrung, Wissen und Können, über das die ältere Generation verfügt, kann in vielfältigster Weise nutzbar gemacht werden. Der österreichische Seniorenbund wird im Laufe des Jahres 1980 in allen Bundesländern Seminare abhalten, um älteren Menschen, die vor der Pensionierung stehen, Möglichkeiten zu zeigen, wie sie sich ohne größere Erschütterungen, ohne Schock, vom Berufsleben lösen und sich harmonisch in den Ruhestand einfügen können.

(Hofrat Dr. Kletter war Leiter der Wetterabteilung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien)

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