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Lefebvres Wurzeln

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Geht es bei der Aktion des „Tra-ditionalisten“-Erzbischof Lefebvre nur um instinktloses Danebentappen? Geht es nur um den Gregorianischen Choral, den ohnedies niemand verboten hat? Geht es nur um die „Tridentinische Messe“, die durch die Liturgiereform abgelöst wurde? Und die man — psychologisch richtiger — unschwer hätte bestehen lassen können, bis sich eben die neue Meßliturgie „eingelebt“ hätte?

Das ist nur eine Karte des riskanten Spiels, das Erzbischof Lefebvre begonnen hat. Die anderen Karten „stechen“ in den Kern:

Am 24. Oktober hat Lefebvre seine neueste Schrift „Ich klage das Konzil an“ veröffentlicht. Ob am Bodensee oder in anderen Orten, ob in Pressekonferenzen oder in diesem Buch: Erzbischof Lefebvre hat nun klargestellt, wogegen er ist:

• gegen „Kollegialität“;

• gegen die „Demokratie“;

• gegen den „Dialog mit den Kommunisten“;

• gegen den „Ökumenismus“;

• gegen den „Protestantismus“; ,

• gegen die „Religionsfreiheit“.

Und damit — insgesamt — gegen das II. Vatikanische Konzil. Dieses sei, schrieb er, „von einer Gruppe von Verschwörern von seinem Ziel abgelenkt worden“.

Nicht uninteressant in diesem Zu-kammenhang: Erzbischof Lefebvre war von Papst Johannes XXIII. in die Vorbereitungskommission berufen worden. Die vorgelegten, also von ihm mitausgearbeiteten Entwürfe wurden jedoch in der ersten Sitzung durch die Intervention der Kardinäle Frings und Lienart zurückgewiesen.

Doch ist solch persönliches Ressentiment ausreichende Grundlage für sein totales Kontra? Etwa:

• Wenn er nur mehr ein „neomodernistisches und neoprotestantisches“ Rom kennt?

• Wenn er überall „Freimaurer“ in der Kurie — wie auch schon beim Konzil — am Werke sieht?

• Wenn er (bei der Friedrichshafe-ner Pressekonferenz) von einer „Besetzung der Kirche“ durch die Kommunisten spricht?

• Wenn für ihn „Kollegialität der Bischöfe“ nur „die Zerstörung der persönlichen Autorität“ ist? Denn „Kollegialität entspricht der Gleichheit der Revolution von 1789“ (in seinem früheren Buch „Ein Bischof spricht“).

• Wenn für ihn „Demokratie“ — und hier wird auch deutlich, was er von der aktiven Mitwirkung der Laien in der Kirche hält — nur „die Zerstörung der Autorität Gottes, der Autorität des Papstes, der Autorität der Bischöfe“ ist?

• Wenn er den Ökumenismus nur als eine der „Zeitbomben des Konzils“ betrachtet? Und ihn ebenfalls auf die Revolution 1789 zurückführt: „Gebt acht, und ihr erkennt, daß das der .Brüderlichkeit' entspricht. Man hat die Häretiker Brüder genannt, die Protestanten .getrennte Brüder'“.

• Wenn er mit aller nur denkbaren Härte gegen die „Religionsfreiheit“ kämpft? Denn': „Die Religionsfreiheit entspricht dem Ausdruck Freiheit' in der Französischen Revolution; das ist ein zweideutiger Ausdruck, dessen sich der Teufel gern bedient“. '

• Kurz: wenn für ihn die „Reformen“, die vom II. Vatikanischen Konzil beschlossen wurden, „nur ein Sieg der liberalen Katholiken (sind), die die Ehe zwischen Kirche und Revolution, zwischen Kirche und Subversion wollen“?

Ein solches Bild von Welt und Kirche ist Erzbischof Lefebvre nicht zugeflogen. Nicht aus einer Stimmung heraus zu erklären. Es ist tief eingeprägt. Seit langem. Es steht in einer Tradition. Allerdings nicht in der kirchlichen.

Die Ideen, die Erzbischof Lefebvre hier vertritt, decken sich weitgehend mit jenen der „Action Franoaise“ und ihres Gründers Charles Maurras. Sie war eine französische Bewegung, getragen vom Haß auf Demokratie, Liberalismus, Romantik. Vom Kampf für eine Erbmonarchie und von der Ablehnung der Programmparole der Französischen Revolution: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ her verständlich.

Es wäre sicher unrecht, Erzbischof Lefebvres Denken, trotz mancher verblüffender Parallelen, mit dieser „Action Francaise“ in direkte Verbindung zu bringen.

Viel aufschlußreicher ist vielmehr jene „Tradition“, von der er ständig spricht, deren Ursprung er aber nicht nennt. Sie ist nicht die Tradition der Kirche, sondern das kirchenpolitische Denken des 19. Jahrhunderts, gekennzeichnet durch Enzykliken der Päpste Gregor XVI. und Pius IX.

Es geht hier um das „Recht auf religiöse Freiheit“, von dem das Konzil erklärte, der Mensch dürfe „nicht gehindert werden, gemäß seinem Gewissen zu handeln, besonders im Bereich der Religion“. Diese „Gewissensfreiheit“ ist aber 1832 (Enzyklika „Mirari Vos“) nicht nur als „törichte und irrige Meinung“, sondern sogar als „Wahnsinn“ verurteilt worden. Und 32 Jahre später, 1864, hat Pius IX. im berühmten „Syllabus“ entsprechende „Irrtümer“ angeführt und verurteilt. So wurde gegen diese „Irrtümer“ erneut betont, „daß die bürgerliche Religionsfreiheit sowie die volle, für alle gewährleistete Befugnis, frei und offen irgendwelche Meinungen und Gedanken kundzutun, leicht dazu führe, Geist und Sitte der Völker zu verderben und die Seuche der Gleichgültigkeit zu verbreiten“.

Diese Thesen im „Syllabus“ sind aber genau die Thesen des Erzbischof Lefebvre. Verständlich, daß er in einem Konzil, das erklärt: „Das Recht auf Religionsfreiheit (ist) nicht in einer subjektiven Verfassung der Person, sondern in ihrem Wesen selbst begründet“ — nur Verrat an „seiner“ katholischen Kirche sehen muß. Auch in der Anerkenntnis des Konzils, daß Gott in anderen Religionen sich ebenfalls offenbart, selbstverständlich mit dem wesentlichen Unterschied der persönlichen Inkarnation in Jesus Christus.

Übersehen oder verdeckt wird hier von Erzbischof Lefebvre und seinen Anhängern jedoch: die Enzykliken wie „Mirari Vos“ und „Syllabus“ sind Dokumente einer bestimmten Zeit. Sie waren von der Angst um die Existenz des Kirchenstaats ungleich mehr geprägt als von der See' Sorge und Aufgabe der Kirche, in der Zeit zu stehen und — wie das II. Vatikanische Konzil empfahl — die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen. Während die späteren Päpste und schließlich das Zweite Vatikanum dieses kirchenpolitische Erbe aufarbeiteten, blieb Erzbischof Lefebvre geistig in der engen Welt des Kirchenstaates stecken und führt aus dieser — von der Kirche längst aufgegebenen — politischen Igelstellung einen Kampf gegen die Kirche, die — ob das Erzbischof Lefebvre nun paßt oder nicht paßt — als „Volk Gottes“ unterwegs ist. Und zwar getreu dem Evangelium!

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