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Lehramt & „Humanae vitae

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Die Spannungen in der katholischen Kirche sowohl im Inland als auch im Ausland sind offenkundig. Besonders heftig wird die im Jänner 1989 veröffentlichte .Kölner Erklärung“ deutschsprachiger Theologen diskutiert, für die eine am 12. November 1988 in Rom gehaltene Ansprache des Papstes ein Hauptanlaß war. Die FURCHE gibt in dieser Ausgabe außdrei Seiten ihren Lesern Gelegenheit, sich aus erster Hand, zu informieren, indem sie die wesentlichen Texte in diesem Konflikt im Wortlaut dokumentiert.

IMit lebhafter Freude begrü- • ße ich euch, die bedeutenden Dozenten und alle, die ihr am internationalen Kongreß für Moraltheologie teilgenommen habt, der nun zu Ende geht. Mein Gruß gilt ferner dem Herrn Kardinal Hans Hermann Groer, Erzbischof von Wien, sowie den Vertretern der Kolumbusritter, die mit ihrem hochherzigen Beitrag die Durchführung dieses Kongresses möglich gemacht haben. Ein Wort der Anerkennung gilt auch dem Institut für Studien über Ehe und Familie der päpstlichen Lateran- Universität und dem römischen akademischen Zentrum vom heiligen Kreuz, die ihn vorbereitet und durchgeführt haben.

Das Thema, das euch, liebe Brüder, in diesen Tagen beschäftigt und euer vertieftes Nachdenken angeregt hat, war die Enzyklika Humanae vitae und das komplexe Geflecht von Problemen, die mit ihr verbunden sind.

Wie ihr wißt, hat in den letzten Tagen ein vom Päpstlichen Rat für die Familie veranstalteter Kongreß stattgefunden, an dem in Vertretung der Bischofskonferenzen aus der ganzen Welt die für die Familienpastoral in den einzelnen Nationen verantwortlichen Bischöfe teilgenommen haben. Dieses nicht zufällige Zusammentreffen bietet mir gleich Gelegenheit, die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Hirten und Theologen zu betonen und mehr allgemein zwischen den Hirten und der Welt der Wissenschaft, damit eine wirksame und entsprechende Hilfe für die Eheleute sichergestellt wird, die in ihrem Leben Gottes Plan mit der Ehe verwirklichen wollen.

Prophetischer Wert

Allen ist die ausdrückliche Aufforderung bekannt, die in der Enzyklika Humanae vitae an die Männer der Wissenschaft und zumal an die katholischen Wissenschaftler gerichtet wird, durch ihre Studien zur immer gründlicheren Klärung der verschiedenen V oraussetzungen beizutragen, die eine ehrenhafte Regelung der menschlichen Fortpflanzung fördern (vgl. n. 24). Diese Aufforderung habe auch ich bei verschiedenen Gelegenheiten erneut vorgetragen, denn ich bin überzeugt, daß das interdisziplinäre Bemühen um einen entsprechenden Zugang zur komplexen Problematik auf diesem delikaten Gebiet unerläßlich ist.

2. Die zweite Gelegenheit, die sich mir bietet, ist die Feststellung der ermutigenden, bereits erreichten Ergebnisse vieler Forscher, die im Verlauf dieser Jahre die Forschung auf diesem Gebiet vorangebracht haben. Dank auch ihres Beitrags war es möglich, den Reichtum der Wahrheit, ja den erhellenden und irgendwie prophetischen Wert der Enzyklika Pauls VI. herauszustellen, der sich mit wachsendem Interesse Menschen aus den verschiedensten Kulturräumen zuwenden.

Hinweise auf eine Besinnung lassen sich auch in jenen Kreisen der katholischen Welt bemerken, die anfänglich dem wichtigen Dokument gegenüber ein wenig kritisch eingestellt waren. Der Fortschritt der biblischen und anthropologischen Reflexion hat nämlich eine bessere Klärung der Voraussetzungen und Bedeutung gestattet.

Insbesondere ist an das Zeugnis der Bischöfe der Synode von 1980 zu erinnern. Sie schrieben, „in der Einheit des Glaubens mit dem Nachfolger des Petrus“ festhalten zu wollen an „dem, was beim II. Vatikanischen Konzil (vgl. Gaudium et spes, 50) und dann in der Enzyklika Humanae vitae vorgelegt worden ist, nämlich daß die eheliche Liebe voll menschlich, ausschließlich und für das Leben offen sein muß (Humanae vitae 11, vgl. auch 9 und 12)“ (Prop. 22).

Dieses Zeugnis habe ich selbst dann in das nachsynodale Schreiben Familiaris consortio auf genommen und im weiteren Zusammenhang der Berufung und Sendung der Familie die anthropologische und moralische Sicht von Humanae vitae sowie die daraus folgende ethische Norm für das Leben der Gatten erneut betont.

3. Es geht nämlich nicht um eine vom Menschen erfundene Lehre: sie ist vielmehr von der Schöpferhand Gottes in die Natur der menschlichen Person eingeschrieben und von ihm in der Offenbarung bekräftigt worden. Sie zur Diskussion zu stellen, bedeutet daher, Gott selbst den Gehorsam unseres Verstandes verweigern. Es bedeutet, daß wir das Licht unserer Vernunft dem Licht der göttlichen Weisheit vorziehen und damit in die Finsternis des Irrtums fallen, um schließlich noch weitere grundlegende Eckpfeiler der christlichen Lehre anzugreifen.

Man muß hier bedenken, daß die Gesamtheit der Wahrheiten, die dem Verkündigungsdienst der Kirche anvertraut sind, ein einziges Ganzes, eine Art Symphonie bildet, in der sich jede Einzelwahrheit harmonisch mit den anderen verbindet. Die vergangenen zwanzig Jahre haben dieses innere Zusammenklingen vom Gegenteil her erwiesen: das Schwanken oder Zweifeln an der von Humanae vitae gelehrten moralischen Norm hat auch andere Grundwahrheiten der Vernunft und des Glaubens erfaßt. Ich weiß, daß diese Tatsache bei eurem Kongreß aufmerksam bedacht worden ist und möchte darauf jetzt eure Aufmerksamkeit hinlenken.

4. Das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Im Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß… Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird“ (Gaudium et spes, 16).

Während dieser Jahre wurde im Anschluß an die Bekämpfung von Humanae vitae auch die christliche Lehre vom moralischen Gewissen in Frage gestellt und der Gedanke eines Gewissens angenommen, das sich selbst die sittliche Norm schafft. Auf diese Weise wurde das Band des Gehorsams gegen den heiligen Willen des Schöpfers radikal zerschnitten, in dem gerade die Würde des Menschen besteht. Das Gewissen ist nämlich der „Ort, an dem der Mensch von einem Licht erleuchtet wird, das nicht von seiner geschaffenen und immer fehlbaren Vernunft herkommt, sondern von der Weisheit des Wortes, in dem alles erschaffen wurde. Wunderbar schreibt das II. Vatikanum ferner: „Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“ (ebd.).

Daraus ergeben sich einige Fol

Johannes Paul II. bekräftigt sittliche Normen (Archiv)

gerungen, die ich betonen möchte.

Da das Lehramt der Kirche von Christus dem Herrn eingesetzt worden ist, um das Gewissen zu erleuchten, bedeutet die Berufung auf dieses Gewissen, gerade um die vom Lehramt verkündete Lehre zu bestreiten, eine Ablehnung der katholischen Auffassung sowohl vom Lehramt als auch vom sittlichen Gewissen. Wer von der unverletzlichen Würde des Gewissens ohne weitere Verdeutlichungen redet, setzt sich der Gefahr schwerer Irrtümer aus. Sehr verschieden ist nämlich die Situation einer Person, die zunächst alle ihr verfügbaren Mittel zur Suche nach der Wahrheit eingesetzt hat und dann doch irrt, und die einer anderen Person, die sich entweder einfach mit der Meinung der Mehrheit abfindet, die oft bewußt von den Mächten dieser Welt geschaffen wurde, oder aus Nachlässigkeit sich wenig um das Finden der Wahrheit kümmert. Die klare Lehre des II. Vatikanischen Konzils erinnert uns daran: „Nicht selten geschieht es, daß^las Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne daß es dadurch seine Würde verliert. Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zu wenig darum bemüht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen durch Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird“ (ebd.).

Echte Lehrautorität

Unter den Mitteln, die die Erlöserliebe Christi zur Vermeidung dieser Gefahr des Irrtums vorgesehen hat, befindet sich auch das Lehramt der Kirche; in seinem Namen besitzt es eine echte und eigene Lehrautorität. Man kann daher nicht sagen, ein Gläubiger habe sich sorgfältig um die Wahrheit bemüht, wenn er das nicht berücksichtigt, was das Lehramt sagt; wenn er es mit irgendeiner anderen Erkenntnisquelle auf eine Stufe stellt und sich zum Richter über es macht; wenn er im Zweifelsfall lieber der eigenen Meinung oder der von Theologen folgt und diese der sicheren Lehre des Lehramtes vorzieht.

In einer solchen Situation noch von der Würde des Gewissens reden, ohne etwas hinzuzufügen, entspricht nicht der Lehre des II. Vatikanischen Konzils und dem, was die ganze Überlieferung der Kirche bezeugt.

5. Eng verbunden mit dem Thema des moralischen Gewissens ist das von der Verbindlichkeit der in Humanae vitae gelehrten sittlichen Norm.

Wenn Paul VI. den empfängnisverhütenden Akt als von seinem Wesen her unerlaubt bezeichnet hat, wollte er lehren, daß die sittliche Norm hier keine Ausnahmen kennt; kein persönlicher odef sozialer Umstand hat je vermocht und wird auch nie vermögen, einen solchen Akt zu einen in sich selbst geordneten zu machen. Die Existenz besonderer Normen für das innerweltliche Handeln des Menschen, die von so verpflichtender Kraft sind, daß sie immer und überall die Möglichkeit von Ausnahmen ausschließen, ist eine ständige Lehre der Überlieferung und des Lehramtes der Kirche gewesen, die von einem katholischen Theologen nicht in Zweifel gezogen werden darf.

Wir berühren hier einen Zentralpunkt der christlichen Lehre von Gott und Mensch. Wohl gemerkt, was hier in Frage gestellt wird, wenn man diese Lehre ablehnt, ist der Gedanke der Heiligkeit Gottes selbst. Indem er uns dazu vorausbestimmt hat, heilig und makellos vor ihm zu sein, hat er uns „in Christus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die er für uns im voraus bereitet hat“ (Eph 2,10): jene sittlichen Normen sind einfach eine Erfordernis, von der kein geschichtlicher Umstand dispensieren kann, eine Erfordernis der Heiligkeit Gottes, die sich konkret und keineswegs abstrakt jeder einzelnen menschlichen Person mitteilt.

Nicht nur das, eine solche Ablehnung entleert auch das Kreuz Christi (vgl. 1 Kor 1,17). Bei seiner Menschwerdung ist das Wort voll in unsere alltägliche Existenz eingetreten, die sich in konkreten menschlichen Akten äußert; als Jesus für unsere Sünden starb, hat Er uns in der ursprünglichen Heiligkeit neu geschaffen, die sich wiederum in unserem täglichen innerweltlichen Tun ausdrücken muß.

Weiter: Zu jener Ablehnung gehört als logische Folge, daß es keine Wahrheit vom Menschen gibt, die dem Ablauf des geschichtlichen Werdens entzogen ist. Die Auflösung des Geheimnisses Gottes endet, wie immer, in der Auflösung des Geheimnisses des Menschen; und die Nicht-Anerkennung der Rechte Gottes endet, wie immer, in der Leugnung der Würde des Menschen.

6. Der Herr schenkt uns die Feier dieses Jahresgedächtnisses, damit jeder sich selbst vor Ihm prüfe, um sich in Zukunft - je nach’seiner Verantwortung in der Kirche — für die Verteidigung und Vertiefung der von Humanae vitae gelehrten ethischen Wahrheit einzusetzen.

Die Verantwortung, die auf diesem Gebiet euch, liebe Dozenten der Moraltheologie, auferlegt ist, ist groß. Wer kann den Einfluß ermessen, den eure Lehrtätigkeit auf die Bildung des Gewissens der Gläubigen und auf die Heranbildung der künftigen Hirten der Kirche hat? Im Verlauf dieser zwanzig Jahre hat es leider bei einer gewissen Zahl von Dozenten nicht an Formen offener Ablehnung dessen gefehlt, was Paul VI. in seiner Enzyklika gelehrt hat.

Unser Jahrestag kann daher Anlaß für ein mutiges Uberdenken der Gründe sein, die diese Wissenschaftler dazu geführt haben, solche Standpunkte einzunehmen. Man wird wahrscheinlich herausfinden, daß an der Wurzel der Opposition gegen Humanae vitae ein irriges oder wenigstens ungenügendes Verständnis der Fundamente liegt, auf die sich die Moraltheologie stützt. Die unkritische Übernahme von Forderungen einzelner philosophischer Richtungen sowie die einseitige Verwendung von Daten, die die Wissenschaft bietet, können trotz aller guten Absichten einige Ausleger des päpstlichen Dokumentes auf Abwege geführt haben. Daher ist ein hochherziges

Bemühen aller notwendig, um die Grundprinzipien der Moraltheologie besser zu klären und sicherzustellen, wie das Konzil empfohlen hat, daß sie „reicher genährt aus der Lehre der Schrift, in wissenschaftlicher Darlegung die Erhabenheit der Berufung der Gläubigen in Christus und ihre Verpflichtung, in der Liebe Frucht zu tragen für das Leben der Welt, erhellen“ (Optatam totius, 16).

Loyaler Gehorsam

7. Bei dieser Aufgabe kann ein beachtlicher Beitrag vom Päpstlichen Institut für Studien über Ehe und Familie kommen, dessen Aufgabe gerade darin besteht, „mit wissenschaftlicher Methodik immer mehr die Wahrheit über Ehe und Familie ins Licht zu stellen“ sowie Laien, Ordensleuten und Priestern die Möglichkeit zu bieten, „auf diesem Gebiet eine wissenschaftliche Ausbildung philosophisch-theologischer Art und in den Humanwissenschaften zu erwerben“, die sie befähigt, wirksam im Dienst der Familienpastoral zu arbeiten (vgl. Apost. Konst. Magnum matrimonii, 3).

Wünscht man jedoch, daß die mit Humanae vitae und Familiaris consortio verbundene Problematik auf diesem wichtigen Gebiet der Arbeit und Sendung der Kirche, nämlich in der Familienpastoral, ihren richtigen Platz bekommt und die verantwortliche Reaktion der Laien weckt als der Haupt-Handelnden in einem Wirken der Kirche, das sie derart nahe angeht, dann müssen notwendig in den verschiedenen Ländern weitere Institute wie dieses errichtet werden: Nur so wird die fortschreitende lehrmäßige Vertiefung der Wahrheit möglich sein und die Einleitung von pastoralen Initiativen, die den in den verschiedenen kulturellen und menschlichen Bereichen aufkommenden Bedürfnissen angepaßt sind.

Vor allem muß die Lehre der Moraltheologie in den Seminaren und Ausbildungsinstituten den Weisungen des Lehramtes entsprechen, so daß aus ihnen Diener Gottes hervorgehen, die „die gleiche Sprache sprechen“ (Humanae vitae, 28), und „die heilsame Lehre Christi in keiner Weise verkürzen“ (ebd. 29). Hier geht es um den Verantwortungssinn der Dozenten, denn sie müssen die ersten sein, die ihren Schülern das Beispiel „loyalen innerlichen und äußeren Gehorsams gegen das Lehramt der Kirche geben“ (ebd. 28).

8. Im Blick auf die zahlreichen jungen Studenten - Priester oder nicht -, die bei dieser Begegnung anwesend sind, möchte ich mit einem besonderen Gruß auch an sie schließen.

Ein Kenner der Tiefen des menschlichen Herzens, der hl. Augustinus, schrieb: „Darin besteht unsere Freiheit, daß wir uns dieser Wahrheit unterwerfen“ (De libero arbitrio, 2,13,37). Sucht immer die Wahrheit: verehrt die gefundene Wahrheit; gehorcht der Wahrheit. Es gibt keine Freude ohne solches Suchen, ohne solche Verehrung und ohne solchen Gehorsam.

Bei diesem herrlichen Abenteuer eures Geistes ist euch die Kirche kein Hindernis, sie hilft euch vielmehr. Wenn ihr euch von ihrem Lehramt entfernt, setzt ihr euch der Vergeblichkeit des Irrtums und der Sklaverei der Meinungen aus. Dem Anschein nach mächtig, sind sie in Wirklichkeit aber schwach, weil nur die Wahrheit des Herrn in Ewigkeit bleibt.

Indem ich den göttlichen Beistand auf eure edle Arbeit als Erforscher und Apostel der Wahrheit herabrufe, erteile ich allen von Herzen meinen Segen.

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