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Lehren aus Lannadi und Zwentendorf
1980, das ist in weniger als einem Jahrzehnt, werden Europa, die Sowjetunion und die USA um 65 Prozent mehr Energie benötigen als 1967. Überall auf der Welt bohrt man nach öl, baut Kraftwerke, legt Pipelines in die Erde, forscht nach verbilligten Methoden friedlicher Nutzung der Atomenergie.
1980, das ist in weniger als einem Jahrzehnt, werden Europa, die Sowjetunion und die USA um 65 Prozent mehr Energie benötigen als 1967. Überall auf der Welt bohrt man nach öl, baut Kraftwerke, legt Pipelines in die Erde, forscht nach verbilligten Methoden friedlicher Nutzung der Atomenergie.
Energie: sie eignet sich auch vor allem als Mittel internationaler Erpressung.
Das Schaustück hat die Welt dieser Tage erlebt. Nach langem Feilschen gelang es den Ländern des Nahen Ostens, für ihr Erdöl höhere Preise zu erzielen. Die OPEC, jene Dachgemeinschaft der Nahostländer, siegte im „ölpoker von Teheran" vor allem auch deshalb, weil ihr eine aufgesplitterte Front europäischer Interessenten und internationaler Konzerne ga?enübersaß, die miteinander in heftiger Konkurrenz liegen („Furche" Nr. 8).
Das zweite Schaustück spielte In Algier. Der sich als arabischer Linksaußen radikalisierende algerische Staatschef Boumėdienne verstaatlichte die französischen Anlajjeą in der Sahara und diktierte Paris seine Öl-Bedingungen.
Dabei werden moderne Volkswirtschaften angesichts der Interdepen-denz und des hohen teühnologisehen Standards in ihrer Wirtschaftsstruktur immer anfälliger für jede Störung im Energiehaushalt. Mangel an Energie lähmt, erzeugt Krisen, gefährdet Arbeitsplätze. Und das gilt auch für Österreich. Zur ungeahnten Zunahme im österreichischen Energieverbrauch nach 1945 kam ein Bedeutungswandel der einzelnen Energieträger. Seit 1957 ändert sich die Struktur laufend: die Kohle verliert zunehmend an Bedeutung, Erdöl, Erdgas, vor allem aber die Elektrizität dek-ken den steigenden Bedarf. Die inländische Erdölproduktion wurde bis 1955 maximal von der sowjetischen Besatzungsmacht genutzt, die Lager wurden übermäßig abgebaut. Heute kann nur ein Drittel des österreichischen Bedarfs aus der heimischen Förderung gedeckt werden.
Hinsichtlich der anderen zwei Drittel ist auch Österreich von den internationalen öllieferanten abhängig. Das ist vor allem auch der Nahe Osten, mit dessen öl 47 Prozent des heimischen Marktes abgedeckt werden können. Etwa 750.000 Tonnen Rohöl bezieht die ÖMV aus dem Ostblock.
Auch Erdgas ist in Österreich ein zunehmend wichtiger Rohstoff. In ganz Europa soll der Erdgasverbrauch bis 1980 um 300 Prozent steigen.
Das alpine Zentralland Österreich nutzt zunehmend seine Wasserkraft. Und der Verbrauch an elektrischer Energie wird 1975 wahrscheinlich bereits um 500 Prozent über dem Stand des Jahres 1948 liegen — dem Baubeginn an mehreren österreichischen Kraftwerkprojekten. Damit aber sind wir schon mitten drin in der aktuellen politischen Auseinandersetzung, die augenblicklich im Schatten größerer Zusammenhänge tobt.
Der ärmliche Bauernort Zwentendorf im niederösterreichischen Tull-nerfeld und die Kainachtalgemeinde Lannach südwestlich von Graz bilden die Fixpunkte.
Das TuUnerfeld wurde dazu ausersehen, Standort des ersten Atomkraftwerkes auf österreichischem Boden zu werden. Noch sind Atomkraftwerke nicht ganz so rentabel wie Wasserkraftwerke. Aber die technische Entwicklung macht solche Fortschritte, daß in Kürze damit gerechnet werden kann, daß die Atomenergie die übrigen Energiequellen auch hinsichtlich der Rentabilität schlagen wird.
Deshalb hat auf der ganzen Welt ein Wettlauf mit der Zeit stattgefunden, durch entsprechendes Know-how, durch Forschung und Ausbildung die Voraussetzungen zu schaffen, bald billige und einsatzfähige Atomkraftwerke zur Verfügung zu haben. Österreichs Regierung hingegen unterstützt die Bemühungen der österreichischen Kemkraftgesell-schąft GJCT vorläufig nicht — zumindest nicht in dem Ausmaß, wie dies anderswo selbstverständlich ist. Und obwohl man weiß, daß auch die herkömmlichen Donaukraftwerke längst nicht den steigenden Bedarf decken werden können, will man trotzdem ziuwarten und erst später entscheiden. Vielleicht erst dann, wenn „der technologische Vorsprung des Auslandes nicht mehr aufzuholen" sein wird, wie die „Presse" meint?
Gar nicht so unähnlich liegt die Problematik bei der Raffinerie in Lannach, die im südösterreichischen Raum ein energiewirtschaftlicher Schwerpunkt werden sollte. Seit mehreren Jahren zieht man das Projekt über die Schreibtische von Landes- und Bundesdienststellen, macht Auflagen und prüft Standortvoraussetzungen. Mit dem Resultat, daß es den privaten Ölflrmen letztlich zu dumm wurde und sie, angesichts steigender Baupreise, von Lannach nichts mehr wissen wollen. Und während rund um Österreich, in Ingolstadt etwa oder im bayrischen Burghausen, Raffinerien aus dem Boden schießen, läßt man hierorts weiter Zeit verstreichen. Erst jetzt will der Handelsminister entdeckt haben, daß die Rentabilität Lennachs bei einer Durchsatzkapazität von 2,3 Millionen Tonnen sowieso nicht gegeben wäre und erhöht werden müsse. Das alles mag nicht System sein — es genügt als Symptom. Österreichs Energiesituation wird anscheinend nicht von der Öffentlichkeit jene Aufmerksamkeit geschenkt, die sie verdient. Unterschiedliche Vorstellungen der alten und der neuen Regierung führen bei reinen Sachfragen anscheinend zu politischen, undurchsichtigen Auftragsverschiebungen (siehe Seite 4) und lassen zumindest Konzeptlosigkeit vermuten. Mag sein, daß sich Energieprojekte angesichts ihrer Langfristigkeit nicht sonderlich für kurzfristigen Preslige-gewinn eignen. Feststeht, daß Österreich ein nationales Energie-Iconzept aus dem Jahr 1969 zwar besitzt, aber sich nicht daran hält. Und das führt zumindest in die Randzone einer nationalen Gefährdung.
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