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Lehren nach Vietnam

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Wer den Krieg der Amerikaner in Vietnam für verfehlt und aussichtslos hielt, geriet bislang in den Verdacht des Antiamerikanismus. Nachdem der Erfolg ausgeblieben ist, die amerikanischen Streitkräfte zurückgezogen wurden und Thieus Regime in Saigon zusammenbrach, haben Verwirrung und Angst um sich gegriffen. Man fragt: Wohin steuert Amerika?

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Wer den Krieg der Amerikaner in Vietnam für verfehlt und aussichtslos hielt, geriet bislang in den Verdacht des Antiamerikanismus. Nachdem der Erfolg ausgeblieben ist, die amerikanischen Streitkräfte zurückgezogen wurden und Thieus Regime in Saigon zusammenbrach, haben Verwirrung und Angst um sich gegriffen. Man fragt: Wohin steuert Amerika?

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Es war sicher nicht Antiamerikanismus, als mir Adenauer 1964 in

einem Gespräch sagte, er halte die Asienpolitik der Vereinigten Staaten für verfehlt; es sei falsch, den asiatischen Fragen den Vorrang zu geben, die Weltpolitik entscheide sich in Europa. Adenauer kam 1966 darauf zurück, als er in einem Interview mit der „New York Times“ mit Vehemenz den Krieg der Amerikaner in Vietnam kritisierte. Man erinnert sich auch noch an die Rede de Gaulies in Pnom Penh, wo er als Gast des Prinzen Sihanuk weilte; sie läßt uns daran denken, daß vor fünf Jahren die Amerikaner auch Kambodscha mit Krieg überzogen und jetzt, an Stelle des keineswegs kommunistischen Regimes eines Königssohnes, die Roten Khmer in Pnom Penh herrschen.

Man darf in Fragen der Außenpolitik nicht nur nach Gut oder Böse fragen, sondern vor allem auch nach Richtig oder Falsch. Gestützt auf ein ideologisch und emotionell begründetes Mißverständnis, machten Amerika und die westliche Welt aus dem Vietnamkrieg einen Testfall des Kampfes gegen den Weltkommunis-mus. Das war gefährlich, weil im Falle eines Mißerfolgs ein Verlust an Selbstvertrauen der nicht-kommunistischen Welt zu erwarten war. Auf der anderen Seite hat die amerikanische Intervention in Indochina den dortigen revolutionären Kräften die Macht verliehen, die grausam geschundenen Völker dieser Region davon zu überzeugen, daß es sich um einen Kampf für nationale Unabhängigkeit handle.

Es wäre töricht, die Schuldigen dort zu suchen, wo sie nicht sind, das heißt: beim amerikanischen Kongreß oder gar bei Kissinger, der 1973 in den Pariser Verträgen nur die Konsequenzen aus dem Scheitern der amerikanischen Intervention zog und daher die Präsenz nordvietnamesischer Truppen und des Vietkong in Südvietnam gar nicht ungeschehen machen konnte. Daß neue Lieferungen von amerikanischem Kriegsmaterial das Saigon-Regime in letzter Stunde hätten retten können, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die Truppen Thieus amerika-

nisches Material im Wert von hundert Millionen Dollar kampflos dem

Gegner überließen. Nordvietnam hatte wohl fremdes Material, aber keine fremden Truppen für seinen Kampf erhalten, womit es die ebenfalls mit Material gut dotierte, aber von amerikanischen Truppen nicht mehr unterstützte und kriegsmüde Armee Südvietnams unschwer außer Gefecht setzen konnte. Daß sich die Nutznießer der amerikanischen Hilfe in Südvietnam jetzt von ihren Beschützern verlassen und verraten fühlen, ist allerdings begreiflich.

Es geschieht ebensowenig aus Antiamerikanismus, wenn man feststellen muß, daß die Vereinigten Staaten heute andere Sorgen haben. Dreißig Jahre lang haben sie gleichsam das Erbe von drei großen Reichen verwaltet, die infolge des Zweiten Weltkrieges untergegangen waren: des britischen Weltreichs, des pazifischen und asiatischen Reiches Japan und der Hälfte von Hitlers Europareich. Es wäre unrichtig, die Weltmachtpolitik Amerikas bloß aus der „Arroganz der Macht“, wie Fulbright meint, zu erklären. Zwar hat ein starkes Machtbewußtsein den zivilen und militärischen Herrschaftsapparat der Vereinigten Staaten lange zu Meinungen und Taten veranlaßt, die nun in der amerikanischen Öffentlichkeit leidenschaftlich kritisiert werden. Man darf aber das demokratische und rechtsstaatliche Selbstverständnis des amerikanischen Volkes nicht unterschätzen, das gegen Unrecht der eigenen Politik empfindlich zu reagieren pflegt.

In der Geschichte der Vereinigten Staaten fand mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein Wechsel zwischen „Presidential Government“ und „Congressional Government“ statt. Mit der Ernennung Gerald Fords zum Präsidenten durch den Kongreß hat dieser faktisch die Führung im Staate übernommen. Innere Probleme: Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Not in den Städten und im Schulwesen, das Verlangen neuer Bevölkerungsschichten und einer jüngere-ren Generation nach politischem Mitspracherecht führen Amerika von seiner Weltpolitik fort und zu seiner Innenpolitik zurück.

Die übrige Welt wird sich darauf

Denn auch in Europa stehen amerikanische Truppen. Und weil sie hier stehen, konnte das zerbrechliche Gleichgewicht in Europa bisher einigermaßen aufrechterhalten werden. Je stärker die USA aber in ihre Innenpolitik verstrickt sind und je schwieriger die Wirtschaftslage ist, desto lauter wird der Ruf nach einem Rückzug der US-Soldaten von Europa ertönen. Immerhin: der mächtigste Mann der Demokraten im Senat ist heute Fraktionsführer Mansfield

— der Mann, der seit Jahren ein Disengagement der Amerikaner in Europa fordert.

Mit Europa verbinden die Amerikaner freilich nach wie vor starke gefühlsmäßige Bande. Europa ist auch der wichtigste Handelspartner der USA. Und die US-Investitionen in Europa sind nicht erst seit Servan Schreibers' Buch bekannt. Eine „Aufgabe“ Europas durch die USA

— und damit totaler Isolationismus

— sind also kaum zu befürchten. Europa ist nicht Indochina.

Aber auch partielles Disengagement der Amerikaner kann doch bereits in sich den Keim einer Einladung für die Moskauer Falken sein, durch Salamitaktik Westeuropas Spielraum einzuengen. Man weiß, daß das die Sowjets trefflich können. Den Hauptpreis zahlen dann die jede Gleichgewichtsverschiebung als erste trifft: nämlich die Neutralen.

Das Zünglein an der Waage wurde länger: Hauptsieger der Landeswahlen in Nordrhein-Westfalen und Saarland war eindeutig die FDP, die ihren Stimmenanteil in einem Fall um 1,3 und im anderen sogar von 4,4 auf 7 Prozent erhöhen konnte — was einen Stimmengewinn von mehr als 50 Prozent (verglichen mit dem alten Stand) bedeutete.

Es ist durchaus möglich, daß dieser Aspekt der bundesdeutschen Regionalwahlen hierzulande mit besonderer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen wird.

Doch sollte man sich vor voreiligen Konsequenzen hüten — to whom it may concern.

Denn die FDP ist als eine liberale Partei ernstzunehmen. In Österreich hingegen hätte Bundeskanzler Kreisky zumindest für eine rot-blaue Kombination durchaus recht mit seiner Feststellung, die Liberalen seien in der SPÖ zu finden.

Man darf ergänzen: oder auch in der ÖVP.

In der FPÖ kann man sie noch immer suchen.

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