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Lehrer aus Egoismus

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Die Schule ist eine viel zu ernste Sache, als daß man sie so ernst nehmen dürfte, daß man darüber selbst zu ernst würde. Man: das sind auch die Lehrerund ich bin, bitte, mit Verlaub zu sagen einer.

Da der Beruf des Mittelschullehrers als Aufsteigerberuf gilt, schätze ich meine Stelle in der sozialen Hierarchieleiter durchaus richtig ein. So wunderte ich mich nicht, als ein Redakteur einer Zeitung meinte, er könne niemals als Berufsbezeichnung unter einen meiner Artikel „Mittelschullehrer“ schreiben, niemand würde ihn dann noch lesen, auch fand ich es ganz natürlich, daß mein erstes Schulgehalt um etliches unter meinen Studenteneinkünften (Stipendium, verschiedene Jobs) lag.

An der Schule blieb ich dennoch, weil ich irgendwie Spaß daran hatte. Aus meinem vierten Lehrerschuljahr stammt eine Tagebuchnotiz: „Ich muß Zusehen, daß ich wieder aus der Schule rauskomme, ich beginne, die Welt aus der Schulperspektive zu sehen“ …

Die Möglichkeit, in einen anderen Beruf umzusteigen, kam überraschend schnell, dann folgten Auslandsjahre und Familienpflichten und dann wieder Schulbeginn in Österreich. Nach vier Jahren war ich wieder soweit, daß ich die Schule zu ernst nahm. Eine Forschungsarbeit und ein weiteres Kind rückten die Welt wieder ins rechte Lot.

Warum nun diese biographischen Notizen? Nun, ich finde zwar, die Schule ist die wichtigste Energiequelle der Zukunft eines Volkes, aber sie sollte es nicht nur auf Kosten der Lehrerenergie sein. Und wenn noch dazu diese wichtige Energiequelle rundum für gering geschätzt wird, wird sie rascher, als uns allen lieb sein kann, zu wärmen aufhören. Nicht, daß ich mich für eine Sonne von einem Lehrer halte, im Gegenteil - ich bin ein Mensch mit einem ganz bestimmten Energiepotential, das nicht vorzeitig ausgeschöpft werden soll.

Es ist nicht Schuld der Lehrer, sondern es ist das System so, daß die meisten Lehrer die Schule bis zur Pensionierung nicht verlassen: zuerst sind sie Schüler, dann ohne Übergang Lehrer. Da die meisten Schüler außerhalb der Schule ein schulfernes für uns Lehrer uneinsichtiges Leben führen, gehören sie uns nur zum Teil. Als größte Mühe meines Lehrerdaseins finde ich, diese auseinanderstrebenden Energiebündel im Unterricht auf mich zu konzentrieren - da gel)t die Hälfte meiner Energie schon einmal drauf.

Die andere Hälfte: ich muß da etwas weiter ausholen. Während des Studiums hatte ich einmal das Handtuch geworfen. Da wollte uns ein Professor klarmachen, als künftige Lehrer wären wir in erster Linie Beamte, dann Wissensvermittler, dann Erzieher.

Er hat sich sicher geirrt, meinte ich damals und kehrte reumütig wieder zum Katheder zurück. Tatsache ist aber doch, daß weitere 30 Prozent meiner Energie irgendjemand braucht, für den ich Beamter bin. Angesichts der schon notorischen Jammerei der heutigen Hochschulprofessoren, unsere Maturanten verfügten über zu wenig Wissen, dürfte wenig meiner Energie auf Wissensvermittlung aufgehen, angesichts der immer weniger gut erzogenen Jugend so gut wie nichts auf Erziehung, sodaß anzunehmen ist, die noch verbleibenden 20 Prozent müßten zur Bewältigung meines Privatlebens herhalten.

Ich muß gestehen, ich bin nicht Lehrer, um als guter Beamter Oberstudienrat zu werden, sondern aus rein egoistischen Gründen. Ich lerne nämlich während des Unterrichts mehr als meine

Schüler - denn die intelligenten Fragen der Schüler und die (oft falschen) Antworten haben mir Einsichten vermittelt, die weit über das hinausgehen, was die Erwachsenenwelt mir bieten könnte.

Aber alle wollen Noten, möglichst gute. (Ich bekomme als Lehrer übrigens auch Noten, was mich entschieden von anderen Erwachsenen unterscheidet, denn die bekommen, wenn sie ausgezeichnet sind, eine Gehaltsaufbesserung!) Da hätte mich einmal eine Mutter liebend gerne geohrfeigt, als ich ihr riet, mit ihrer kreislaufgeschädigten Tochter lieber täglich spazierenzugehen, als sie auf lauter „Sehr gut“ zurechtzutrimmen.

Da beklagte sich eine intelligente Klasse, sie hätte von mir zu wenig abprüfbares Wissen vermittelt bekommen, sie wüßten nicht, was sie konkret auf ein „Sehr gut“ lernen könnten. Dabei hatten sie tolle Fortschritte gemacht, und es war mir auch nicht gelungen, ihnen die Freude am Lesen zu nehmen.

Ich erklärte ihnen, laut wörtlich genommenem Schulunterrichtsgesetz könne ein „Sehr gut“ außer mir nur der Liebe Gott bekommen, denn es setze ein über den Unterrichtsstoff hinausgehendes Wissen voraus - ein „Nichtgenügend“ sei übrigens auch so leicht nicht zu ergattern. Sie sollten sich freuen, daß sie soweit noch gesund wären. Nun, die Schüler waren in dem Fall intelligent genug, um von da an den Noten weniger Bedeutung als der Lektüre beizumessen.

Gott segne jeden einsichtigen Schulinspektor, der nicht nach abprüfbarem Wissen fragt, sondern danach, ob Schüler noch fragen.

Es ist ja nun wirklich zum Weinen, daß wir unsere jungen Leute mit Antworten vollstopfen, zu denen die Fragen erst in einem viel späteren Lebensabschnitt kommen würden, spätestens dann, wenn ihre Kinder dasselbe büffeln müssen. Aber man kann schließlich nicht Schüler in die Produktion und Erwachsene in die Schule schicken.

Sir Karl Popper meint, es würde genügen, den Leuten lesen, schreiben und rechnen beizubringen - den Rest würden sie schon selber besorgen. Er hat recht! Wenn alle unsere Schüler lesen könnten wie ein Burgschauspieler, rechnen wie Einstein und schreiben wie, sagen wir, Robert Musil! Eine solche

Schule wäre gefährlicher als alle Atomkraftwerke einschließlich Zwentendorfs. Dann könnte ich armer Lehrer hier noch Energie nachtanken …

Energie! Ich weiß noch, wie perfekt ich die Technik beherrschte, dem Lehrer aufmerksamst zuzuhören (scheinbar), mit den Gedanken aber weitab in der außerschulischen Welt zu weilen. Der Energieaufwand für dieses Täuschungsmanöver war größer als der, der für die Lösung einer Mathematikaufgabe notwendig war. Ich würde, wäre ich Schüler, den Arbeitsunterricht schon aus diesem Grunde ablehnen und dem Frontalunterricht den Vorzug geben.

Da die Notensucht und Prüfungsangst hierzulande bereits genetisch vererbt zu werden scheinen, ist der Arbeitsunterricht weiter chancenlos, denn er erfordert keine Prüfungen. Die Arbeitsintensität zählt! Erfolg hat, wer gute Noten sammelt und besser ist als der andere (als die Eltern es einmal waren!). Erfolg wurde verabsolutiert.

Auf das Ganze des Lebens umgerechnet, sind Noten aber wesentlich weniger wichtig als die Schule einigermaßen gesund überstanden zu haben. Das gilt übrigens auch für Lehrer. Quod erat demonstrandum!

Die Verfasserin (derzeit im Karenzurlaub nach der Geburt ihres dritten Kindes) unterrichtet am Bundesgymnasium St. Veit an der Glan.

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