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Lehrer dürfen gläubig sein - „in pectore“
Im Laibacher Tagblatt „Delo “ veröffentlichte vor kurzem Franc Sėtine, der slowenische Parteisekretär, einen längeren Artikel über die Lage der Gläubigen innerhalb des Systems der jugoslawischen Selbstverwaltung. Er zitierte dabei zunächst den Ideologen Edvard Kardelj: „In unserer sozialistischen autonomen Gesellschaft verwirklichen wir auch die Freiheit des Glaubensbekenntnisses als eines durch die Verfassung gesicherten Menschenrechtes und ermöglichen damit auch die freie Tätigkeit der Glaubensgemeinschaften. Das ist keine bloße Taktik, denn die Freiheit des Glaubens geht aus der Natur unseres sozialpolitischen Systems selbst hervor. Wir schaffen günstige Voraussetzungen für die Freiheit des Menschen, aber nicht für die Freiheit der Monopole, der Privüegien und der Manipulation.“
Die jugoslawische Verfassung garantiert in ihrem Artikel 174 die Freiheit des Bekenntnisses. Verfassungswidrig hingegen ist jeder Mißbrauch des Glaubens und der Betätigung des Glaubens zu politischen Zwecken.
Der slowenische Parteisekretär warnt in diesem Sinne vor einem „Kle* rikalismus“, der offensichtlich ein Mißbrauch des Glaubens zu politischen Zwecken wäre. Was heißt aber in Slowenien „Klerikalismus“? Dies wurde nie deutlich ausgesprochen Alle diesbezüglichen Entscheidungen wurden bisher den lokalen Parteifunktionären überlassen. So konnte es manchenorts als „Klerikalismus“ bezeichnet werden, wenn ein Kaplan mit der Jugend Fußball spielte, oder wenn der Pfarrer einen alten Schweinestall zum Aufenthalts- und Spielraum für Jugendliche umbauen ließ.
Praktizierende Katholiken konnten bisher auch nicht in Schulen unterrichten. Franc Sėtine versichert nun, daß niemand, weü er gläubig ist, von der Schule ausgeschlossen werden dürfe.
Genauer, ein Lehrer darf „in pectore“ gläubig sein und darf dies auch zugeben. Eine offene Teilnahme an der Sonntagsmesse ist ihm aber nicht er laubt, denn sie stünde im Widerspruch zu der „wissenschaftlichen“ Weltanschauung, die er in der Schule zu vertreten hat.
Der dialektische Materialismus bleibt also nach wie vor herrschende Doktrin in Slowenien. Warum dann in letzter Zeit diese Betonung der Religionsfreiheit? Man denke an die Europäische Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Belgrad und an das Image, das Jugoslawien auf dieser Konferenz zu präsentieren hofft. Aber auch die Wirtschaftskrise wirkt sich in Jugoslawien stärker aus als anderswo in Europa und verlangt den Einsatz aller Kräfte, auch jener der gläubigen Mehrheit.
„Der Marxist ist in unserer Gesellschaft nicht vor allem Atheist“, schreibt der slowenische Parteisekretär, „er ist auch ein Kämpfer für die Selbstverwaltung und für die Huma- nisation unserer Gesellschaft, für die Entwicklung des sozialistischen Bundes und für Miteinbeziehung eines breiteren Kreises, vor allem auch von Gläubigen. Er ist ein Kämpfer, der sich, gemeinsam mit den Gläubigen, für die Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse einsetzt.“
Und das heißt sehr viel, denn die Gefahr des „Klerikalismus“ hat ihre Wurzeln in der Vorkriegs- und Kriegszeit, als in der Laibacher Provinz unter italienischer Besatzung ein Bürgerkrieg zwischen den Partisanen unter kommunistischer Führung und den katholischen Kräften ausbrach. Bis heute wirft man nicht nur der Laibacher Kirche „Klerikalismus“ vor, sonderen der ganzen Kirche in Slowenien.
Das größte Mißtrauen gegenüber der Kirche scheint in letzter Zeit allerdings überwunden zu sein. Nach langen Jahren des Wartens wird man in Nova Gorica, einer Stadt an der westlichen Staatsgrenze, die erste Kirche bauen dürfen. Einige sequestrierte Pfarrhäuser sollen den Pfarrern zur Verfügung gestellt werden. „Alles ist gut, was die Behörden zurückgeben“, meinen dazu die Katholiken und hoffen, daß der Dialog weitergeführt wird.
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