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Lehrerbrief statt Noten ?

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Unterrichtsminister Herbert Moritz peilt verbale Leistungsbeurteilung bis zum Halbjahr der zweiten Volksschulklasse an. Ein Symposion sollte dafür wissenschaftliche Rückendeckung liefern.

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Unterrichtsminister Herbert Moritz peilt verbale Leistungsbeurteilung bis zum Halbjahr der zweiten Volksschulklasse an. Ein Symposion sollte dafür wissenschaftliche Rückendeckung liefern.

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Sollen Kinder in der Volksschule mit Ziffernnoten oder verbal — etwa in Form eines Briefes des Lehrers an den Schüler—beurteilt werden? Das war der harte Kern des Symposions „Fördernde Lei-stungsbeurteilung“, das am 7. und 8. Oktober fast 400 Personen aus dem Bildungs wesen in der Wiener Universität zusammenführte.

Natürlich wurde betont, daß die verbale Leistungsbeurteilung nur ein Aspekt im Rahmen des Themas „Fördernde Leistungsbeurteilung“ ist, natürlich wurde bei der folgenden Pressekonferenz die Abschaffung des Ziffernno-tensystems nicht gleich für die ganze Volksschule gefordert, sondern nur bis zur Halbjahres-„Schulnachricht“ der zweiten Klasse, aber man roch den Braten — und war verstimmt.

Zur Pressekonferenz luden Unterrichtsminister Herbert Moritz und Symposion-Initiator Richard Olechowski, Leiter des Ludwig-Bpltzmann-Institutes für Schuir entwicklung und internationalvergleichende Schulforschung. Was sie sagten, klang so, als ob auf dem Symposion fast nur Stimmung für die verbale Leistungsbeurteilung geherrscht habe und alle einschlägigen Schulversuche im In- und vor allem Ausland (seltsamerweise wurden hier Länder mit wachsendem Analphabetentum als Beispiele angeführt) zu eitel Wonne bei den anfangs skeptischen Eltern geführt hätten, die nun sogar für eine Ausweitung auf höhere Schulstufen plädierten.

Diesem Eindruck, der sich auch in manchen Medienberichten niederschlug, tritt Walter Kinscher vom Katholischen Familienverband Österreichs entgegen: „Auf dem Symposion wurden auch die Probleme bei dieser Art der Leistungsbeurteilung klar ausgesprochen.“

Richard Olechowski sieht die Vorzüge der verbalen Beurteilung besonders auf zwei Ebenen:

• Unterscheidung von „individueller“ und „sozialer“ Bezugsnorm: Leistungen eines Schülers werden vor allem mit seinen eigenen früheren und nicht mit denen von Klassenkollegen verglichen,

• „Humanisierung“ der Schuleingangsphase: Schulanfänger sollen die Institution Schule zunächst möglichst angstfrei erleben und Schulzufriedenheit und Lernmotivation gewinnen.

Fragen dazu drängen sich auf: Müßte zur ..Humanisierung“ nicht verbale Beurteilung im ersten Halbjahr der ersten Klasse und die weithin gängige Praxis, am Ende der ersten Klasse noch niemanden negativ zu klassifizieren, ausreichen? Gibt es nicht die Möglichkeit der Rückstellung um ein Jahr für noch nicht schulreife Kinder? Gibt es nicht Vorschulklassen?

Konsequenterweise wird für die Verfechter der verbalen Beurteilung das Zeugnis zum „Lei-stungsentwicklungsbericht“, zu einem persönlichen Schreiben des Lehrers an den Schüler, das vor allem positive Entwicklungen betonen soll.

Und wenn ein Schüler in einem Lernabschnitt auf allen Linien nachgelassen hat? Wird der durch ein „Lieber Kurti, hoffentlich machst Du im nächsten Halbjahr nicht mehr so viele Fehler beim Schreiben und Rechnen...“ mehr motiviert als durch zwei handfeste Vierer oder Fünfer?

Sagt denn nicht heute schon jeder halbwegs gute Lehrer zusätzlich zur Ziffernnote seinen Schülern einzeln, wo ihre Stärken und Schwächen hegen?

Olechowski sieht zwar positive Ansätze, meint aber, daß dies alles „systematisiert“ werden müsse. Auch wenn die Gefahr besteht, daß Leerformeln oder für den Schüler peinliche pseudopsychologische Gutachten verfaßt werden. Auch wenn der gesunde Menschenverstand, der freilich selten alle Ratschlüsse moderner Pädagogen nachvollziehen kann, sagt, daß es den meisten Eltern und Schülern lieber sein dürfte, mündlich im vertraulichen Gespräch statt schriftlich offiziell über alle Details der Leistungsentwicklung informiert zu werden.

Verbale Beurteilung pendelt aber nicht nur zwischen den Gefahren der geringeren Aussagekraft einerseits und der vernichtenden Uberdeutlichkeit anderseits, sie engt vor allem die Chancen des Schülers ein, sich an den Leistungen seiner Kollegen zu orientieren und diese als Ansporn zu erleben.

Daß verbale Beno-tuhg unter gewissen Vorbedingungen — kleine Gruppen, engagierte, geschulte Lehrer — funktionieren kann, ist klar. Ihren echten Wert könnte erst ein Vergleich von gleich strukturierten Klassen, die verbal beziehungsweise ziffernmäßig beurteilt wurden, erweisen. Zufrieden werden die meisten Leute mit dem jeweils herrschenden System sein.

Politisch ist die Abschaffung der Ziffernnoten in Österreich derzeit ohnehin nicht durchsetzbar. Es wäre Zeit, bessere Wege zur Motivierung der Schüler und auch der Lehrer zu suchen.

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