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Leichenhaus am Horn von Afrika

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Somalia existiert nicht mehr. Das Land am Horn von Afrika ist in kleine Territorien unter der Kontrolle von Stammesführern zerstückelt. Die Hauptstadt Mogadischu ist unterteilt in mehrere Zonen, die mit dem Tode ringen.

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Somalia existiert nicht mehr. Das Land am Horn von Afrika ist in kleine Territorien unter der Kontrolle von Stammesführern zerstückelt. Die Hauptstadt Mogadischu ist unterteilt in mehrere Zonen, die mit dem Tode ringen.

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Somalia präsentiert sich als ein gigantisches Schlachthaus. Mogadischu wirkt wie ein afrikanisches Beirut, in dem zwei feindliche Brüder, Ali Mahdi Mohamed, Präsident der „Übergangsregierung", und General Mohamed Farah Aidid mittels bewaffneter Banden sich bekämpfen.

Im Jänner 1991 vereinte sie noch der Aufstand gegen den Diktator Siad Barre; seit dessen Sturz hat der Bürgerkrieg mehr als 7.000 Tote und 30.000 Verwundete gefordert. In den überlasteten Spitälern Mogadischus arbeiten Ärzte aus dem Westen mit dem Mut der Verzweiflung.

Neben dem Hunger ist in Mogadischu „Jussuf Bullet", das „ziellose Geschoß", wie die Leute es nennen, der erste Feind der Bevölkerung. Unter dem Vorwand, eine „Demokratie" begründen zu wollen, stehen sich verschiedene bewaffnete Gruppen wie in einem Wild-West-Film gegenüber und versuchen, einander abzuschießen. Sie sind vom selben Stamm, dem der Hawiyes, und gehören sogar derselben Partei, dem „Vereinigten Somalischen Kongreß"(USC), aber unterschiedlichen Clans an.

Ali Mahdi Mohamed, ein Geschäftsmann, ist seit Februar 1991, unmit-tejbar seit dem Sturz Barres, als „Übergangs"präsident an der Macht. Dieses Amt macht ihm der ehemalige Botschafter in Indien, Mohamed Farah Aidid, streitig, ein langzeitiger

Opponent Siad Barres. Persönliche Ambitionen hatten die Zerschlagung der Republik Somalia zur Folge.

Erst einmal wurde im Norden des Landes vom Somali National Movement (SNM) ein neuer Staat, das Somaliland (ehemalige britische Kolonie), ausgerufen; dieses Gebiet ist mehrheitlich von den Issak bewohnt. Das war keine Überraschung, waren doch die Gefühle des Nordens gegenüber der Union (1960) zwischen den beiden früheren britischen und italienischen Kolonien ambivalent.

In Mogadischu zerbrach der USC in zwei Fraktionen: Ali Mahdi Moha-med führt die Stammesgruppe der Agbal, General Aidid die Habr Gedir Saad, er kontrolliert drei Viertel der Hauptstadt. Mehrere bewaffnete Gruppen von anderen Stämmen sowie die „Wardhilgleey", unkontrol-

lierte Jugendbanden, unterstützen in unterschiedlicher Intensität die beiden Kontrahenten.

Somalia ist ein Staat ohne Grenzen, ohne Armee und ohne Polizei. Die Ordnung ist zerbrochen. Für die Bevölkerung ist das die Hölle. Die erste Sorge ist, wo man etwas zu essen finden kann. Von Nord bis Süd sind 4,5 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Europa, von Nationalismen und separatistischen Kräften zerrissen, lebt in der Psychbse eines Übergreifens von Bürgerkriegen auf den Westen, daher hat Westeuropa wenig Interesse an der Tragödie am Horn von Afrika, wo Bürgerkriege und Naturkatastrophen Millionen Flüchtlinge und Umsiedler hervorgebracht haben.

Hungertod für Millionen

Mehr als drei Millionen Flüchtlinge suchen ein Dach, Sicherheit und Nahrung zwischen Somalia, Äthiopien, Dschibuti, Süd-Sudan und Kenia. Kein Land mit politischer Stabilität ist als Hoffnung für diese Menschen in Sicht.

Seit kurzem haben sich vier Rebellengruppen in Somalia, die nach eigener Darstellung zwei Drittel des vom Bürgerkrieg zerstörten Landes kontrollieren, zu einer Allianz zusammengeschlossen. Die stärkste Partei des Bündnisses ist der „Vereinigte Somalische Kongreß" (USC) unter General Aidid, dessen Krieger den größten Teil Mogadischus besetzt halten. Man kann nur hoffen, daß diese Allianz und die Achtung vor der UNO kurzfristig die Stammeskriege beenden kann. Sonst wird Somalia zu einem „Mouroir", einem Leichenhaus; sonst droht Millionen Menschen der Hungertod, dem Horn von Afrika ein Versinken in Anarchie, Vandalismus und Banditentum. Ein ganzes Volk könnte verschwinden.

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