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Digital In Arbeit

Leiden an diesem Land

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Als ich anfing, mir über die Vermittlung österreichischer Kultur im Ausland Gedanken zu machen, stieß ich sehr bald auf einen scheinbar unlösbaren Widerspruch. Dieser Widerspruch besteht, verkürzt gesagt, darin, daß jemand, der an seinem Land leidet und diesem Leiden Ausdruck verleiht, mit Steuergeldern der Bürger dieses Landes ins Ausland geschickt wird, um dort die Vorzüge seines Landes vorzuführen.

Ich bin mir bewußt, daß dies einerseits das Klischee des sensiblen Künstlers und andererseits eine Vergröberung des kulturpolitischen Selbstverständnisses der Auslandsmissionen darstellt, und möchte daher etwas genauer auf diesen Widerspruch eingehen.

Ich kenne den Literaturbetrieb, so merkwürdig das klingen mag, eher vom Rande her. Als österreichische Autorin in einem bundesdeutschen Verlag erlebe ich in Österreich den hiesigen Literaturbetrieb als einen mich nur marginal streifenden. In der Bundesrepublik fühle ich mich auf ähnliche Weise nicht ganz zugehörig. So bin ich, gewiß auch auf Grund meiner psychischen Konstitution, immer eher Beobachterin.

Hinzu kommt das bei Schriftstellern allgemein weit verbreitete Gefühl, zuwenig beachtet zu werden, insbesondere auch für die Arbeit, die man leistet, disproportional entlohnt zu werden. Wenn die Schauspielerin, die meinen Text im Rundfunk in einer Plastik-Einweg-Standard-Bühnensprache vorliest, mehr bezahlt bekommt als die Urheberin des Textes, nämlich fast doppelt so viel, dann ist dies ein Indiz für die ungeheure Diskrepanz zwischen produzierenden und reproduzierenden Künstlern, was ihre Bewertung durch die Öffentlichkeit betrifft.

Schriftsteller sind daher mitunter sehr empfindliche Leute, und ich meine das jetzt nicht ironisch: Die Sensibilität, die zu ihrer beruflichen Grundausstattung gehört, ist sehr oft eine recht egoistische, egozentrische, ja — bedingt durch die Einsamkeit der Arbeit— auch egomane, und sie verhindert manchmal die Rücksichtnahme auf den Gegner in intellektuellen Auseinandersetzungen. Die Schärfe der Attacke spiegelt sehr oft die Intensität des vorangegangenen Schmerzes, den auch ich immer wieder empfinde in einem Land, das es sich mit seiner Verantwortung zu leicht und zu bequem macht und gerade mit dieser schlampigen Nonchalance zum ständigen Ärgernis wird für denjenigen, der seine Aufgabe nicht darin sieht, das positive Osterreichbild zu liefern, das den Geschäftsabschlüssen und Fremdenverkehrsbilanzen zuträglich ist, sondern der vielmehr sein Augenmerk darauf verwendet, die Defizite aufzuzeigen.

Aus meiner Erfahrung in einem Bereich, der mit Kunst nur sehr wenig zu tun hat, mit der prosaischen Wirklichkeit der Schule und des Unterrichtens nämlich, weiß ich, daß vielfach nicht der Inhalt das Entscheidende am Vermittlungsvorgang ist, sondern die Person, die diesen Inhalt vermittelt. Ich hege daher den Verdacht, daß es mindestens ebenso auf die Person des Schriftstellers ankommt, der sich im Ausland präsentiert, wie auf die Inhalte, die er dabei weitergibt. So gesehen wird auch der Unterschied zwischen den sogenannten politisch engagierten Autoren und denen, die nicht oder eher selten öffentlich zum politischen Geschehen Stellung beziehen, weniger relevant.

Ich versuche mir vorzustellen, wie das Bild, das mir ein, sagen wir: nicht fremder, aber doch im Wesentlichen nicht vertrauter Mensch von sich vermitteln möchte, auf mich wirkt. Ich versuche mir vorzustellen, wem ich eher zutrauen würde, daß er verantwortungsvoll mit mir umgeht, mir meine Würde beläßt: derjenige, der sich nur als stark, strahlend, selbstsicher präsentiert und mir damit gewissermaßen die Latte legt, oder der andere, der auch die Zweifel an sich selber nicht verbirgt, seine Ängste zugibt und vielleicht auch über seine abstoßenden Seiten sprechen kann.

Uberträgt man dieses Modell auf größere Strukturen, dann führt sich die Präsentation einer Nation als nur stark, strahlend et cetera sehr bald ad absurdum. Es kann aber auch nicht angehen, von den eigenen Schwächen immer nur als liebevollen Lastern zu reden, auf die man letzten Endes sogar noch stolz ist und die man im österreichischen Nationalcharakter, was immer das sei, gar nicht mehr missen möchte. So wird, bei genauerem Hinsehen, aus der liebenswerten Schlamperei geistige Trägheit, aus dem Le-benskünstlertum Opportunismus. Solange wir im eigenen Land nicht wissen wollen, was wir sind und wie wir sind, werden wir uns auch im Ausland nicht offen und verantwortungsvoll präsentieren können.

Ein russischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, Alexander Herzen, hat gesagt: „Wir (das heißt: die Dichter) sind nicht die Ärzte, wir sind der Schmerz.“ Und ich möchte hinzufügen: Daß der Körper und der Geist, die diesen Schmerz spüren, uns manchmal ein wenig mehr Respekt für die Signalfunktion zollen sollten, die wir, als Schmerz, bedeuten. Man sollte vom Schmerz nicht verlangen, daß er seine eigene Therapie mitliefert.

Gekürzter Text eines Referates bei einer Begegnung österreichischer Autoren und Diplomaten in der Gesellschaft für Literatur in Wien.

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