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Leiden bis zum bitteren Ende ?

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Der Wille des Kranken, das Mitleid und der Glaube an die Machbarkeit von Leben und Sterben sind die drei hier behandelten Aspekte eines derzeit heißen Themas.

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Der Wille des Kranken, das Mitleid und der Glaube an die Machbarkeit von Leben und Sterben sind die drei hier behandelten Aspekte eines derzeit heißen Themas.

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Bei so persönlichen Dingen wie beim eigenen Sterben handelt es sich um eine Privatsache. Schon gar nicht dürfen christliche Meinungen die Grundlage für das Strafgesetz abgeben, von dem eben auch die Nichtchristen in unserem Staat betroffen sind. Man fordert Toleranz und Respekt vor dem Willen des Kranken, auch wenn er den Wunsch äußert, getötet zu werden; Respekt auch vor dem notariell beglaubigten, in gesunden Tagen hinterlegten Testament, in dem der Wunsch nach Tötung steht, wenn eine physisch unheilbare Todeskrankheit eintritt, körperliches Gebrechen das Leben erheblich beeinträchtigt oder eine Hirnverletzung die normalen geistigen Funktionen schwer und unwiederruflich schädigt.

Uberlegen wir uns die Folgen, die sich ergeben, wenn man den Willen des Kranken zum Um und Auf seiner Handlungsweise und seiner Entscheidung macht: Man müßte dann, genau genommen, auf jeden noch so unsinnigen Wunsch eines Kranken eingehen. Man müßte dann auch einen in einer depressiven Durchgangsphase geäußerten Wunsch erfüllen. Man würde sich auf den positiven Wortlaut des Wunsches beziehen. Bei der Vielschichtigkeit solcher

Äußerungen kann man aber nie ganz sicher sein, ob die emotionale Ebene und der sprachliche Ausdruck übereinstimmen.

Es kommt häufig vor, daß der Wunsch nach Tötung ein verdeckter, sich selbst nicht eingestandener Hilferuf des Kranken ist, ihm beim Sterben zu helfen, der sich ungeschickt als Wunsch nach Hilfe zum Sterben äußert. Man würde den Kranken dem direkt oder indirekt ausgeübten Druck der Umgebung aussetzen. Ähnliche Konsequenzen ergeben sich bei der Berücksichtigung eines Wunsches, der vor vielen Jahren in gesunden Tagen geäußert wurde und vielleicht sogar schriftlich niedergelegt worden ist. Der Mensch würde bei Erfüllung dieses Wunsches auf eine vielleicht weit zurückliegende Lebensphase, in der er keine Ahnung hatte, worüber er befindet, irreversibel fixiert.

Mitleid mit dem schwer leidenden kranken Menschen scheint der Liebe und Menschenwürde näher als die Einhaltung der unerbittlichen Norm, die zum Ausleiden bis zum schrecklichen Ende zwingt. A. Jost, der erste, der an der Schwelle unseres Jahrhunderts die Euthanasiediskussion ankurbelte, stützte sich hauptsächlich auf das Mitleidsargument, und er überhöhte seine Gedankengänge durch den Hinweis auf die Willensmetaphysik Schopenhauers, der im Mitgefühl die Quelle und Wurzel von Moral und Sittlichkeit sah. Auch der deutsehe Rechtslehrer Karl Binding schloß sich mit seiner Propaganda für die Pflicht gesetzlichen Mitleids diesem Gedankengang an, und seither verstummt dieser Ruf nach Euthanasie aus Mitleid nicht mehr, ja er hat sogar Eingang gefunden in die theologische Literatur.

„Mercy-killing" heißt die Forderung auf englisch, und man fühlt sich an einen Ausspruch von Ernst Haeckel erinnert: „Treue Hunde und edle Pferde, mit denen wir jahrelang zusammengelebt haben und die wir lieben, töten wir mit Recht, wenn sie in hohem Alter hoffnungslos erkrankt sind und von schmerzlichen Leiden gepeinigt werden. Ebenso haben wir das Recht, oder wenn man will die Pflicht, den schweren Leiden unserer Mitmenschen ein Ende zu bereiten, wenn schwere Krankheit ohne Hoffnung auf Besserung ihnen die Existenz unerträglich macht und wenn sie selbst um Erlösung vom Übel bitten."

Mitleid ist zunächst oft eine Gefühlsregung, und es ist nur zu verständlich, daß einen der Anblick eines nahestehenden, leidenden Menschen nicht kaltläßt. Das Gefühl aber ist blind, und in einer so wichtigen Sache darf man sich nicht auf das Gefühl allein verlassen, es gehört reflektiert. Hinter dem Mitleid kann die Feindschaft gegenüber dem Schwachen, die ängstliche Betroffenheit vom Leiden eines anderen stehen. Solche Betroffenheit wird sogar Liebe genannt, hat aber nichts mit der hingebenden, auf das Du bezogenen Liebe zu tun, sondern stellt eine Selbstschutzreaktion dessen dar, der zu schwach ist, um Schwäche auszuhalten und sinnvoll anzunehmen, ja nur mitanzuschauen. Statt sich wirklich in den Leidenden einzufühlen und ihm menschlich zu helfen, rät das Mitleid in diesem Zusammenhang zur Beseitigung des angstmachenden Objekts, zur Tötung des leidenden Menschen.

Mitleid, das dem anderen nicht zutraut, in seinem Leiden zur letzten Reifung zu kommen (auch wenn der andere im Augenblick keine Möglichkeit der Realisierung dieses Sinnes sieht) widerspricht der Würde des Menschen und entehrt ihn. Der Mitleidige kann in Wirklichkeit der Wehleidige sein und aus dieser Wehleidigkeit heraus unfähig zu wirklichem Einfühlen. Ekel und Abscheu sind das Problem des Pflegers und nicht primär des Kranken.

Die Konsequenzen einer Weh-leidigkeitsethik erweisen sich als inhuman, weil sie den Menschen nicht ernst genug nehmen und ihm das Mitgehen in seine letzte Reifung — oder sein letztes Scheitern — verweigern, indem sie den leidenden Menschen vorher abschaffen wollen. Der Mitleidige muß sich fragen lassen, wie ernst er denn den anderen Menschen nimmt. Auch manche sogenannte christliche Tröstung muß sich von diesen Gedankengängen fragen und läutern, lassen.

In der gegenwärtigen Gesellschaft herrscht bei aller Pluralität von Einstellungen ein Lebensgefühl vor, das vorwiegend bis ausschließlich in dem einen Sinn sieht, was der Mensch machen und herstellen kann, nicht aber in der Erfahrung passiver Ohnmacht. Nur was wir planen können, zählt, nicht was über uns kommt. Damit hängen die gesellschaftliche Hochschätzung des jungen und gesunden Lebens und die Abwertung alten und kranken Lebens zusammen und die Erwartungsangst vor Alter und Krankheit bei jungen und gesunden Menschen. Ähnlich wie bei der Geburt ist der Mensch aber im Sterben ohnmächtig. Es gibt Formen der Passivität, ohne die der Mensch nicht menschlich wäre. Dazu gehört, daß man geboren wird, daß man geliebt wird, daß man stirbt. Passivität global negativ zu beurteilen hat inhumane Konsequenzen und widerspricht auch der Erfahrung.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie an der Universität Salzburg. Auszug aus einem Vortrag im Salzburger Bildungshaus St Virgil.

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