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Leiden, Spielen, Dichten

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Niemals hat Marina Zwetaje -wa einer künstlerischen Vereinigung oder Richtung angehört, weder den Akmeisten, noch den Futuristen. Als ihr erster Gedichtband „Das Abendalbum“ erschien - im Jahre 1910 - war der Symbolismus in Rußland im Ausklingen, aber immer noch rezensiert Valerij Brju-sow, Mittelpunkt des Moskauer

Symbolistenkreises, aie ersten Gedichte der Lyrikerin.

Marina Zwetajewa kommt aus Moskau, ist dort aufgewachsen und so sehr mit der Stadt verbunden, daß sie der Poetin Anna Achmatowa in einem Gedicht gleich ganz Moskau schenken kann.

Für diese ersten Gedichte, die auf ein Echo warten, spricht das erste Gedicht der vorliegenden Sammlung „Für meine Verse, die, so früh geschrieben“. / „Für meine Verse, wie für alte Weine / Kommt noch die Zeit herauf.“ Das Gedicht ist als Übersetzung von Elke Erb gut gelungen; die nachfolgende Übersetzung ist leider wesentlich schwächer. Die Übertragungen sind überhaupt äußerst unterschiedlich ausgefallen.

Marina Zwetajewas Gedichte stehen in enger Verbindung zu Alexander Blok und Anna Achmatowa, nicht so sehr in der poetischen Art als in der geistigen Richtung; in einer Reihe von Gedichten, die inzwischen zur Klassik der russischen Moderne gehören, wendet sich die Zwetajewa an ihre Kollegen.

Die zahlreichen Begegnungen mit Zeitgenossen wie Osip Mandelstam, Sergej Jessenin und später mit Andrej Belyj in der Emigration in Berlin sind im Prosaband dieser Ausgabe dokumentiert. Eine tiefe Freundschaft verbindet Marina Zwetajewa mit Boris Pasternak und mit Rainer Maria Rilke - die Beziehungen festigen sich in Frankreich im Exil.

Es ist falsch, zu behaupten, daß Marina Zwetajewa die Zeitereignisse von sich schob, und von ihnen doch eingeholt wurde. Schon nach dem Ersten Weltkrieg, als ihr Ehemann im Bürgerkrieg an der Seite der Weißen kämpft, sind ihre Gedichte an den Gatten notwendigerweisepolitisch gefärbt; andererseits gibt es keine Andeutung zu finden, daß sie das Handeln der Bolschewi-ki gutgeheißen hätte. Diese Tatsache irgendwie zu kaschieren, war dann die Aufgabe der sowjetischen Herausgeber, als man in den fünfziger Jahren begann, die Gedichte der Lyrikerin in der Sowjetunion zu drucken.

Zurück in die zwanziger Jahre. Als Marina Zwetajewa 1922 nach Berlin kommt, erlebt sie eine fruchtbare Zeit: der Gedichtband „Das Handwerk“ erscheint, sie schreibt an der Verserzählung „Die Zaren-Jungfrau“, ihr Schaffen erreicht einen ersten Höhepunkt. Nach drei Jahren in den Vorstädten Prags, die ihr später die liebsten sein werden, zieht sie mit der Familie nach Paris, wo zu dieser Zeit das Kulturleben der russischen Emigration konzentriert ist. An diesem Punkt wird von den Ästhetikern gewöhnlich eine Zäsur festgestellt: die neuen Gedichte der Zwetajewa werden von den russischen Zeitungen von

Paris und Berlin immer weniger beachtet und veröffentlicht - aber auch in der sowjetischen Kritik werden diese Gedichte als Formspielerei abgetan.

Doch gerade in Frankreich entstehen solche großartige Zyklen wie „Leitungsdrähte“ oder Gedichte „An das Tschechenland“. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg kehrt Marina Zwetajewa in ihre Heimat zurück. Ihre Tochter und der Ehemann werden verhaftet. Im Jahr 1941 nimmt sich Marina Zwetajewa das Leben.

Ein Dichter, der Gedichte überträgt, erschafft sie neu, und doch wird das ursprüngliche Wesen beibehalten. So in der Übersetzung des Zyklus „Leitungsdrähte“ durch Richard Pietraß:

„Geduldig, wie man Schotter bricht / Geduldig, wie vom Tod man spricht / Geduldig, wie die Botschaften wachsen / Geduldig, wie man Rache stachelt - / Erwart ich dich (die Finger umstrickt - / So wie der Monarchin der Beischläfer harrt) / Geduldig, wie ein Reim sich schickt / Geduldig, wie die Hand sich wundschabt - / Erwart ich dich (zu Boden - der Blick! Die Lippen zerbissen. Ein Pfahl. Ein Stein.). / Geduldig, wie man die Wonne flickt Geduldig, wie man Perlen reiht. /

Ein Kufenknirschen, die Antwort: Knarren / Der Tür: die Windorgel der Taiga. / Gekommen grade die höchste Depesche: Es fällt der Zar und naht der Magnat. /

Und heim: / Unirdisch zwar - / Doch mein.“

Das Gedicht ist, wie auch der gesamte Zyklus, an Boris Pasternak gerichtet und in der ersten Emigrationszeit in Prag entstanden.

Der vorliegende Gedichtband -er ist eine Übernahme vom Aufbau-Verlag, Berlin-Ost - ist eine ehrliche Ausgabe; jeder Übersetzer steht mit seinem Namen für seine Arbeit ein: Elke Erb, Rainer Kirsch, Karl Mickel, Uwe Kolbe, Uwe Grüning lenken die Aufmerksamkeit auf das Werk der Marina Zwetajewa.

Es ist hoch an der Zeit, daß ihre Lyrik im gesamten deutschen-Sprachraum ein Echo findet.

AUSGEWÄHLTE WERKE. Von Manna Zwetajewa. 3 Bände. Lyrik, Prosa, Briefe. Carl Hanser Verlag, München, Wien 1989.822 Seiten, öS 608,-.

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