7213953-1992_42_05.jpg
Digital In Arbeit

Leistung statt Last sehen

19451960198020002020

Die Familienförderung wird zumeist unter dem Gesichtspunkt des Lastenausgleichs gesehen. Bundespräsident Klestil geht einen Schritt weiter: er spricht nunmehr vom Leistungsausgleich, also vom Ausgleich jener Leistungen, die Familien für die Gesellschaft erbringen.

19451960198020002020

Die Familienförderung wird zumeist unter dem Gesichtspunkt des Lastenausgleichs gesehen. Bundespräsident Klestil geht einen Schritt weiter: er spricht nunmehr vom Leistungsausgleich, also vom Ausgleich jener Leistungen, die Familien für die Gesellschaft erbringen.

Werbung
Werbung
Werbung

Im vergangenen Vierteljahrhundert ist die Institution der Familie von einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel erfaßt worden. In weiten Kreisen der Bevölkerung wird die Familie heute nicht nur anders gelebt und erlebt als damals - auch das öffentliche Verständnis für Familie und Ehe hat sich weitgehend verändert. Gleichzeitig sind neue Lebensentwürfe und Partnerschafts-Modelle entstanden. Was dabei als „normal" und „richtig" gelten kann, steht nicht mehr unbestritten fest.

Viele der traditionellen Werthaltungen und Leitbilder für das familiäre Leben sind uns angesichts der Angebote und Anforderungen von Arbeitswelt und Schule, von Freizeit und Medien abhanden gekommen.

Den jungen Menschen von heute gilt zwar ein harmonisches Familienleben noch immer als das große Lebensziel - aber die wachsende Kluft zwischen diesem Wunsch und der konkreten Realität stellt viele vor Schwierigkeiten.

Raum für echte Partnerschaft

Wir alle kennen die bedauerlichen Folgen dieser Entwicklung - ich meine die sinkenden Heirats- und Geburtsziffern der vergangenen Jahre und die steigenden Scheidungszahlen. Wir erleben immer wieder, wieder Wunsch vieler Menschen nach familiärer Festigkeit und Treue gegen.den, .Ansturm von Individualität und Mobilität unterliegt. Gleichzeitig aber sollten wir nicht übersehen, daß der gesellschaftliche Wandel auch mit bisher nicht gekannten Chancen verbunden ist. Denn die neue Familie läßt mehr Raum für echte Partnerschaft. Sie garantiert den Frauen, Männern und Kindern größere Entfaltungsmöglichkeiten - und sie garantiert auch eine größere soziale Mobilität.

Was aber bedeutet Familienpolitik unter diesen Vorzeichen?

Die Antwort auf diese Frage ist schwierig. Und sie ist umso schwieriger, als ja gerade die Probleme der Ehe und Familie zum eigentlichen Kern der Gesellschaftspolitik gehö-

ren und deshalb, je nach Weltanschauung, recht unterschiedliche Antworten und Gewichtigungen finden. Dennoch wird die zentrale Rolle der Familie und die Notwendigkeit einer kinderfreundlichen Politik von niemandem in Österreich bestritten.

Und über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg wird akzeptiert, daß die Familie als gesellschaftliches Leitbild unersetzlich bleibt, daß aber keine Form der Familie von vornherein ein Garant des Gelingens oder des Mißlingens sein kann.

Die Familie braucht Schutz (Begsteiger)

Eine Familienpolitik - im Sinne einer Politik für die Familien - sollte in meinen Augen auf einer Reihe von grundsätzlichen Überzeugungen aufbauen:

□ So heißt Familienpolitik für mich zu allererst, die Belange der Familien in allen Bereichen der Politik systematisch mitzubedenken. Denn wir wissen heute, wieviele Kräfte auf die Familie einwirken. Wir wissen aber auch, daß sich die traditionellen Familienstrukturen nicht unbegrenzt an den stürmischen gesellschaftlichen Wandel anpassen können.

□ Familienpolitik bedeutet auch, die enormen Leistungen anzuerkennen, die in den Familien für die Gemeinschaft und für den einzelnen erbracht werden. Gerade in einer Zeit, in der nur noch die Leistung zu zählen scheint, sollte auch Familienförderung nicht immer nur als ein Lasten-Ausgleich, sondern vor allem als Leistungs-Ausgleich dargestellt werden. Auch Kinder sind ja für die Gesell-

schaft keine „außerordentlichen Belastungen", wie es im Steuerrecht heißt, sondern vor allem eine Bereicherung und einlegen. □ Familienpolitik ist für mich auch das ständige Bemühen, jene gesellschaftlichen Bedingungen zu schaffen, damit sich alle Familienmitglieder persönlich entfalten können. Sie ist also untrennbar mit Frauenpolitik und mit Kinderpolitik verbunden -und wir alle wissen, wie wichtig dieses Anliegen gerade angesichts erschütternder B erichte über Gewalt gegen Frauen und Kinder ist. □ Familienpolitik bedeutet auch die Entschlossenheit, die noch immer bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Benachteiligungen für Familien auszugleichen. Tatsächlich lebt ein Teil der kinderreichen Familien in Österreich in Armut - ein Zustand, den ich persönlich immer als Schande empfunden habe.

Das Wagnis Familie

□ Familienpolitik bedeutet für mich bei aller Akzeptanz für neue Partnerschäftsfor-men doch ein Bekenntnis zu geordneten Beziehungen, auf deren Verhalten sich der Staat verlassen kann- und wo er nur im Versagensfall einspringen muß. Ich bin der Ansicht, daß ein solches Mehr an Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht nur Pflichten bringen kann, sondern auch Rechte einschließen muß. Die Familie ist jener unersetzliche wirtschaftliche, soziale und geistig-kulturelle Lebensraum, dessen Autonomie unseren ganz besonderen Schutz verdient. Es sind ja die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sehr wesentlich mitentscheiden, ob ein privates Glück überhaupt möglich ist. Diese Rahmenbedingungen bilden den Nährboden, aul dem das unersetzliche Wagnis Familie wachsen und blühen kann.

Auszug aus der Rede von Bundespräsident Thomas Klestil vor dem „Familienpolitischen Beirat" am 5. Oktober.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung