65 Jahre Staatsvertrag: Um glaubhafte Projekte

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Die Lage ist ganz anders als vor 65 Jahren. Aber nicht minder dramatisch. Überlegungen zum Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai.

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Die Lage ist ganz anders als vor 65 Jahren. Aber nicht minder dramatisch. Überlegungen zum Jahrestag der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai.

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Neben den zahlreichen Gedenktagen, die sich heuer rund um die 75. Jahrestage von Kriegsende, Untergang der NS-Herrschaft und Befreiung der KZs ranken, scheint der 15. Mai nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Der 65. Jahrestag der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags ist kein wirklich rundes Jubiläum. Der „65er“ hält hierzulande allenfalls als das Alter her, in dem man in den „verdienten Ruhestand“ eintritt. In den wird man den Staatsvertrag ja nicht schicken wollen.

Aber vielleicht ist es doch an der Zeit, sich nicht nur auf den Lorbeeren der Altvorderen auszuruhen, deren politisches Geschick im Verein mit einer historisch glücklichen Konstellation es möglich machte, dass Österreich vor 1989 das einzige besetzte Land im Nachkriegseuropa war, aus dem fremde Truppen abzogen. Man muss gleichzeitig darauf hinweisen, dass es noch lang dauerte, bis der Staatsvertrag auch von österreichischer Seite erfüllt war. Erst 2011 gelang es etwa, die im Staatsvertrag verlangte Absicherung der Rechte sprachlicher Minderheiten („Ortstafelstreit“) zu lösen.

Anderes, wie die von Außenminister Leopold Figl im letzten Moment aus dem Vertrag herausverhandelte Benennung österreichischer Mitverantwortung an Verbrechen des NS-Regimes, brach 30 Jahre später umso stärker auf – und musste in einer schmerzlichen und kontroversen Auseinandersetzung nachgeholt werden. Und das Thema der Neutralität, die formal zwar im Staatsvertrag nicht vorkommt, die aber die Vor­aussetzung für die sowjetische Zustimmung dabei war, wird im Allgemeinen wortreich beschwiegen. Aber spätestens mit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 lag auch hier die Notwendigkeit einer Neubewertung vor – es dauert nun wiederum bereits 25 Jahre, dass diese vor sich hergeschoben wird.

Reflexion des Selbstverständnisses

Es läge also auf der Hand, sich an eine Reflexion des österreichischen Selbstverständnisses zu machen – gerade auch in Bezug auf die Europäische Union. Die gegenwärtige Schwäche derselben resultiert unter anderem daraus, dass die jeweiligen Mitgliedsstaaten ihre diesbezüglichen Hausaufgaben nicht machen und ungelöste Probleme durch ein Fortwurschteln im Status quo perpetuieren. Aus Österreichs Perspektive gilt durchaus: Die europäische Misere wird auch im eigenen Haus gemacht. Es wäre somit schlicht und einfach ein Akt politischer Vernunft, das Zueinander von Staaten und Union neu zu denken – und dabei durchaus Neukonzeptionen Europas in den Blick zu nehmen.
Man hört schon den Einwurf, derartiges wäre in der derzeitigen Pandemie-Lage, wo sich jeder einzelne Staat wie auch die EU der größten Wirtschaftskrise seit Kriegsende gegenübersehen, ein intellektueller Luxus. Denn nun sei Zupacken und Krisenmanagement angesagt und keine Zeit für Gedankenspielchen.

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