Antisemitismus: Vergiftete Gesellschaft

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Ob der antisemitischen Angriffe von Graz bricht politisch die Debatte um Judenhass im Land auf. Ein Problem, das weder eindimensional noch mit wohlfeilen Medienauftritten zu lösen ist.

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Ob der antisemitischen Angriffe von Graz bricht politisch die Debatte um Judenhass im Land auf. Ein Problem, das weder eindimensional noch mit wohlfeilen Medienauftritten zu lösen ist.

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Das Erschrecken über die antisemitischen Sachbeschädigungen an der Grazer Synagoge und den tätlichen Angriff auf Elie Rosen, den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Graz, sitzt in den Knochen: Auch in Österreich manifestiert sich der aus anti­israelischer Propaganda und den diesbezüglichen Ressentiments in der muslimischen Welt geschürte Antisemitismus. Dass Jüdinnen­ und Juden in Österreich auf diese Weise bedroht werden, alarmiert und empört. Überraschend ist es nicht.

Um des Giftes des Antisemitismus Herr zu werden, muss man genauer hinschauen und differenzieren.

Antisemitismus war in Österreich nie verschwunden. Man weiß seit geraumer Zeit, dass es unterschiedliche Weisen des Judenhasses im Land gibt. Um des Giftes des Anti­semitismus Herr zu werden, muss man genauer hinschauen und differenzieren. Denn das Milieu, aus dem der mutmaßliche Täter­ von Graz stammt, ist offenkundig eines, das den Hass auf die „westliche“ Lebensweise, die da mit „jüdisch“ konnotiert wird, ­fokussiert. Dass mit dem Antisemitismus da ­etwa auch gegen die Gleichstellung von ­Homosexuellen agitiert wird, ist ein Indiz für diesen Befund. Auch dass es sich da offensichtlich um gesellschaftliche „Verlierer“-Milieus handelt, gehört dazu. Das entschuldigt nichts, schon gar nicht Antisemitismus und diesbezügliche Gewalttaten. Aber der Umgang damit muss ein anderer sein als mit anderen Formen der Judenfeindschaft.

Daneben gibt es dann die Rede von einem „linken“ Antisemitismus, mit dem – vereinfacht gesagt – die BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions – eine internatio­nale Kampagne gegen Israel wegen seiner Palästinenser-Politik) gemeint ist. Im Spektrum dieser Bewegung findet man viel Anti­semitismus, aber die Grenzen zwischen legitimer Israelkritik und eindeutigem Judenhass sind fließend.

Ein politischer Plan fehlt

Und dann bleibt das uralte Ressentiment gegen Juden, das in der österreichischen ­Gesellschaft nicht auszurotten ist. Jüngste Meldungen über entsprechende Haltungen just in einer Polizeiinspektion in Graz nahe der Synagoge erscheinen da gleichfalls alarmierend und auch, dass dies politisch in den letzten Tagen kaum thematisiert wurde. Man kann diese „rechte“ Fratze des Anti­semitismus weiter fast tagtäglich beobachten – seit 2018, als die FPÖ für eine Weile in die Regierung kam, gab es x Fälle – bis heute poppen sie gerade im Umfeld dieser Partei auf – unabhängig davon, dass sich die Partei­spitze besonders israelfreundlich geriert.

All dies ist längst bekannt und beschrieben. Auch in der FURCHE wurden vor fast einem Jahr Untersuchungen zu muslimischem Antisemitismus zitiert, die dabei „vor allem junge, sozial marginalisierte junge Männer“ ausmachten. Wenn nun Wolfgang Sobotka (ÖVP) eine neue Antisemitismusstudie des Parlaments mit „pointierteren“ Fragestellungen ankündigt, so klingt das nach politischem Aktionismus. Denn das Problem (der Nationalratspräsident nennt in einem Atemzug vor allem den muslimischen und „linken“ Antisemitismus“ …) liegt längst auf dem Tisch. Was fehlt, ist ein (politischer) Plan des Umgangs mit den verschiedenen Formen des Judenhasses im Land.

Um beim muslimisch konnotierten Antisemitismus zu bleiben: Warum nimmt man nicht muslimische Vertreter – etwa die hier mehr als rührige Muslimische Jugend Österreich, aber auch die Leitung der Islamischen Glaubensgemeinschaft – durch öffentliche Auftritte in die Pflicht: Das wäre ein Zeichen auch in die muslimische Community hin­ein. Aber wird so etwas politisch gewollt? Und um an die zitierten Jungen, sozial Marginalisierten heranzukommen, ist vor allem Bildungs- und Sozialarbeit nötig. Also harte Knochenarbeit in den Mühen der Ebene. Darin zu investieren ist aber etwas anderes als wohlfeil telegene Betroffenheitsauftritte. Der Bekämpfung dieser Spielart des Anti­semitismus wäre aber weit mehr gedient.

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