Covid, gottlos betrachtet

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Die Pandemie hat Macht, aber sie ist nicht allmächtig. Wenn wir uns dem Pessimismus ergeben, geben wir unseren Willen ab, Problemlöser zu sein und liefern zuallererst die Schwachen aus.

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Die Pandemie hat Macht, aber sie ist nicht allmächtig. Wenn wir uns dem Pessimismus ergeben, geben wir unseren Willen ab, Problemlöser zu sein und liefern zuallererst die Schwachen aus.

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Es sind seltsame Ferien. Sie finden gleichsam unter erhobenem Zeigefinger statt. Regierungen warnen vor Ausgelassenheit, die sich rächen könnte. Menschen sitzen an schönen Seen und Stränden und warten sorgenvoll auf eine „zweite Welle“, ohne dabei auch nur einen Gedanken ans Wellenreiten zu verschwenden. Gleichzeitig haben viele in dieser vom Virus erschöpften Gesellschaft den Eindruck, die Maßnahmen seien überzogen, die Masken, der Lockdown, der ökonomische Stillstand. Covid-19, so stand in einer weitgeteilten Polemik zu lesen ­(FURCHE 22), sei „die neue Religion“ und die Virologen ihre Priester, die „Zeit im Bild“ ­unser Gottesdienst. Der „neue Messias“, das sei der Impfstoff gegen das Virus.

Ja, es sind so gesehen dystopische Zeiten. Aber mit etwas Ruhe am Strand und ­Abstand von der Polemik darf man fragen, ob man nicht die Kirche im Dorf lassen sollte? Man muss nicht jeden Noch-nicht-einmal-Einzeller zu einer transzendenten Macht hochjazzen, nur weil er vorübergehend unser Leben beeinträchtigt. Und man muss nicht aus Virologen Dämonen machen, nur weil sie Menschenleben retten möchten, auch wenn das viel kostet. Es handelt sich dabei nicht um Götzendienst, sondern um die Erfüllung des hippokratischen Eids. Maskenpflicht in ­Supermärkten ist auch nicht der Eintritt ins Armageddon. Und die Demokratie muss nicht in Gefahr sein, wenn es befristete Einschränkungen der Freiheit gibt.

Wir müssen uns bewusst werden, dass das Virus bei den Armen, den Zusammengepferchten (Saisonarbeitern, Schlachtern) und den Verwundbaren seine größten Opfer nimmt. Und dass Covid-19 nur geschlagen werden kann, wenn diese Verwundbaren gestärkt werden.

Man muss vielmehr zurückfragen: War der „Messias“ vor seiner rhetorischen Wandlung zum Impfstoff für uns auch nicht viel mehr als ein Schutz? Eine religiöse Impfung gegen Unbill aller Art? War er nicht vielmehr ein Auftrag, sich in jeder noch so großen Not aufzurappeln und füreinander zu kämpfen und wider jede Wahrscheinlichkeit das Beste zu hoffen?

Globalisiertes Bewusstsein

Pessimismus ist passiv und passt nicht zu dieser Gesellschaft. Er entspricht nicht jenen, die sie gebaut haben und sie weiterbauen. Nicht den Politikern, nicht den Unternehmern und den Bürgern. Diese Gesellschaft beruht auf dem Willen aller, Lösungen zu finden. Gerade jetzt braucht es diese Energie. Regionalismus und Rückzug ins Nationale in Ehren. Aber schon bei der Suche nach einem Impfstoff zeigt sich, wie notwendig ein global vernetztes Vorgehen ist. Und wie sehr wir die Globalisierung als Geisteshaltung für die Lösung von wirklich großen Problemen (Klimaschutz, Ressourcenschutz, Artenschutz, Seuchenbekämpfung, globaler Wohlstand) brauchen.

Dieses Über-Grenzen-hinweg-Denken ist auch bei den künftigen Corona-Politiken entscheidend für die Regierung und die Staatsverwaltungen. Der Lockdown war ­eine vergleichsweise einfache Übung. Die Öffnung ist eine Managementaufgabe, die Gefühl und Flexibilität verlangt. Da geht es darum, Risikogruppen zu schützen und die Betroffenen dabei nicht in die Isolation zu treiben oder in die Zimmerhaft. Für ­ihre Betreuung braucht es Personal, Geld und ­logistischen Verstand. Bei den übrigen ­Bürgern braucht es aber den Willen, die wenigen wichtigen Maßnahmen zu akzeptieren: Masken, Abstand, Händewaschen. Das bedeutet nicht nur Gesundheitsschutz, sondern letztlich auch den Schutz von tausenden Arbeitsplätzen, die einen nochmaligen Shutdown nicht überstehen würden.

Wir dürfen uns auch bewusst werden, dass das Virus bei den Armen, den Zusammengepferchten (etwa Saisonarbeitern und Schlachtern) und bei den Verwundbaren seine größten Opfer nimmt. Und dass Covid-19 nur geschlagen werden kann, wenn diese Verwundbaren gestärkt werden. Dass Krisen Chancen bedeuten, mag eine leere Schablone geworden sein. Aber wenn man Hölderlin glaubt, wächst dort, wo die Gefahr ist, das Rettende auch. Dazu muss man nicht an Gott Covid glauben, sondern an die eigenen Fähigkeiten.

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