Die Welt im Karfreitag

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Einen Kampf zwischen Gut und Böse sieht der Patriarch von Moskau im Ukraine-Krieg. Der Sieg des Guten – mit Kriegsverbrechen errungen? Christinnen und Christen müssen sich dieser Logik verweigern.

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Einen Kampf zwischen Gut und Böse sieht der Patriarch von Moskau im Ukraine-Krieg. Der Sieg des Guten – mit Kriegsverbrechen errungen? Christinnen und Christen müssen sich dieser Logik verweigern.

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Bei der Diagonale in Graz konnte man „Signs of War“ sehen, einen Dokumentarfilm des ukrainischen Regisseurs Juri Rechinsky, in dem er anhand von Bildern und Erzählungen des französischen Fotografen Pierre Crom die Ereignisse von 2014 und 2015 nachzeichnet – bei der Annexion der Krim, den Gewalttaten im Donbass, dem Abschuss der Malaysian-Airways-Maschine MH 17 über dem Kampfgebiet.

Crom hat die Aggression schon damals in Bildern dokumentiert – die „friedliche“ Annexion, die nicht friedlich war, das Aufheizen der Stimmung in der Ostukraine: All das konnte man damals schon sehen. Bloß schaute man auch hierzulande sicherheitshalber nicht genau hin.

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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

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Das Frappierendste, was beim Zuschauer von „Signs of War“ hängenblieb, waren die Ikonen, welche die aufständischen Massen in Donezk und Lugansk vor sich hertrugen. Und die Popen, die dieses Geschehen segnend begleiteten. Gott ist Anwalt der russischen Sache, so diese Bilder schon von 2014. Acht Jahre später gehört der Patriarch in Moskau, der ja auch die kanonische Oberhoheit über die Orthodoxen in der Ukraine beansprucht, zu den Kriegsherren und stilisiert das Morden auf den Schlachtfeldern zum Endkampf zwischen Gut und Böse.

Eine unerträgliche Osterbotschaft

Der Sieg des Guten wird mit Kriegsverbrechen errungen. Vor wenigen Wochen noch hätten Christen im Westen es nicht für möglich gehalten, dass Christen im 21. Jahrhundert wieder an solcher Barbarei in Wort und Tat Anteil haben würden. Die Bilder von 2014 – siehe oben – hätten warnen können.

In wenigen Tagen, am 24. April, wird der Patriarch in Moskau den orthodoxen Ostergottesdienst in seiner goldübersäten Kathedrale feiern – mit dem altehrwürdigen Osterruf: „Christos woskrese – Christus ist auferstanden!“ Eine unerträgliche Vorstellung, dass die Botschaft von der Überwindung des Todes, der mehr als eine Milliarde Christen weltweit anhängen, mit Blut an den Händen verbreitet wird.

Ostern 2022 wird in dieser Hinsicht zu einer Zäsur: Die Christinnen und Christen der Welt, nach einer langen Gewaltgeschichte, nach der Erfahrung tiefster Entmenschung durch die Schoa, dem millionenfachen Mord an den Juden, vermeintlich auf dem Weg einer Religion des Friedens, finden sich in Geiselhaft von Gewalttätern auch an Kirchenspitzen.

Der Gott der Christen macht keine gemeinsame Sache mit Massenmördern, Menschenverächtern oder Gewaltherrschern.

Dennoch überlässt sich der Karfreitag, in dem sich die Welt zurzeit wiederzufinden scheint, keineswegs den Kriegsherren oder der Logik der Schlachtfelder. Denn gerade die christliche Passionsgeschichte offenbart einen Gott, der sich nicht gemein macht mit Mächtigen, sondern der in der Entäußerung mitleidet und dessen geschundenes Antlitz dem Antlitz der Menschheit gleicht. Nie war das zuletzt so greifbar wie in diesen Tagen, in denen die Bilder aus
Mariupol und anderen zu Un-Orten gewordenen Städten bis in die Wohnzimmer flimmern.

Was aber ist das für ein Gott, der seine Botschaft aus einem Meer von Blut emporsteigen lässt? Der millionenfaches Leid von Kindern und die Zerstörung von Spitälern und Lebensraum in Kauf nimmt? Diese Frage stellen nicht nur Gottesferne, sondern sie bedrängt gerade die Glaubenden, wie sie seit Jahrtausenden Glaubende bedrängt.

Jesu letzte Worte am Kreuz waren Psalmworte: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ So berichten es die Evangelien. Am Karfreitag 2022 schallt dieser Ruf erst recht durch die Welt. Und ist gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass der Gott der Christen keineswegs gemeinsame Sache macht mit Massenmördern, Menschenverächtern oder Gewaltherrschern. Auch nicht mit Kirchenfürsten, die mit selbigen unter einer Decke stecken.

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