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Islam als Vorwand

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Bei einem Treffen christdemokratischer Parteiführer in Brüssel soll von einem der Teilnehmer der Satz gefallen sein, die Türkei könne nicht ein Mitglied der EU werden, weil sie kein christliches Land ist. Eine Welle der Empörung durchlief daraufhin das weite Land vom Bosporus bis zum Ararat.

Alle Parteien, von den Islamisten bis zur Linken und laizistischen Kräften, und alle Zeitungskommentatoren bliesen ins gleiche Horn: Jetzt habe Europa die Maske fallen gelassen, nun wisse man endlich, woran man sei. Europa verstehe sich als ein christliches Unternehmen, in dem die islamische Türkei eben keinen Platz habe. Das sei der eigentliche Grund dafür, daß die Beitrittswünsche der Türkei zur EU immer wieder auf die lange Bank geschoben werden.

Wenn das Zitat so gefallen sein sollte, wie es kolportiert wird - was nicht genau verbürgt ist —, dann wäre,es tatsächlich ziemlich töricht. Es bietet der Türkei die Ausrede, die sie gesucht hat und die willkommene Gelegenheit, die Schuld für ihre Schwierigkeiten mit dem restlichen Europa nicht bei sich, sondern bei den anderen zu suchen.

In kaum einem anderen Land der Welt (die verbleibenden kommunistischen Diktaturen ausgenommen) wird die Pressefreiheit so massiv eingeschränkt wie in der Türkei, so urteilte kürzlich das New Yorker „Committee to protect journalists".

In Ankara amtiert ein Staatsgerichtshof, der sich mit Vorliebe auf Journalisten, Schriftsteller und Künstler stürzt. So wurde der bekannte Schauspieler Mahir Güns-ray vor diesem Gericht angeklagt, weil er bei seiner Verteidigung in einem anderen Verfahren aus Kafkas „Prozeß" zitiert hatte.

In Kurdistan führt die Türkei nicht nur einen Krieg gegen die sozialistische Terrororganisation PKK, sondern sie verfolgt auch die kurdische Bevölkerung, der der Status als eigene Volksgruppe abgesprochen wird. Ganz zu schweigen davon, daß den kurdischen Gebieten Autonomie gewährt würde.

Die Türkei müßte wissen, daß im westlichen Europa Minderheiten - wie groß oder klein sie auch sein mögen - unter einem besonderen Schutz stehen, und daß dies eines der wichtigsten Prinzipien der Europäischen Gemeinschaft ist.

In der Berufung auf den Islam glaubt die Türkei nun die Begründung dafür gefunden zu haben, sich jenen Menschenrechtsstandards zu entziehen, die in Europa gelten. Diese Standards sind zwar vom Christentum und der Aufklärung geprägt, sie haben aber unterdessen universale Geltung.

Die Türkei wird von Europa nicht ausgeschlossen, weil sie ein islamisches Land ist, sondern sie schließt sich selbst aus, weil sie die Bedingungen nicht erfüllen will, die mit einer Teilnahme am gemeinsamen Europa verbunden sind. Der Islam ist nur ein Vorwand.

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