Italien-Wahl: Die große Camouflage

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Giorgia Meloni ist es gelungen, mit ihrem faschistoiden Programm Konservative und Verunsicherte zu gewinnen. Ihr Sieg ist Warnung – und Auftrag. Auch für die hiesige ÖVP.

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Giorgia Meloni ist es gelungen, mit ihrem faschistoiden Programm Konservative und Verunsicherte zu gewinnen. Ihr Sieg ist Warnung – und Auftrag. Auch für die hiesige ÖVP.

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Beginnen wir diesseits des Brenners. Beginnen wir in Tirol, wo vergangenen Sonntag die pro­gnostizierte Selbstzertrümmerung der Volkspartei doch noch einmal ausgeblieben ist. Die ÖVP stürzte zwar ab – aber auf Platz eins, wie eine Wiener Gratiszeitung formvollendet titelte. Trotz der unkoordinierten Übergabe durch Günther Platter und trotz des einmal mehr offenbar gewordenen Tiroler „Hörlismus“ – „uns gehört die Tiwag, uns gehört die Wohnbauförderung, uns gehört die Hypobank“, will heißen, uns gehört das Land – hat Anton Mattle mit persönlicher Integrität und Erwartungsminimierung ein völliges Desaster verhindern können. Dass die politische Konkurrenz durch überschaubares Charisma die schwarze Krise nicht besser für sich nutzen konnte (vgl. Seite 15), war die Rettung der Partei.

Jenseits des Brenners, in Italien, zeigte sich freilich am späten Abend desselben Tages das schiere Gegenbild: Wie erwartet gewannen die Fratelli dʼItalia unter der schillernden „Postfaschistin“ Giorgia Meloni mit 25,5 Prozent eindrucksvoll die Wahl. Der 45-Jährigen war es gelungen, sich in der heillos zersplitterten, nach der Implosion der Democrazia Cristiana von linken und rechten Populist(inn)en bevölkerten italienischen Parteienlandschaft als wählbare, konservative Kraft zu präsentieren.

Eine mehrfache Täuschung, ja eine große Camouflage. Die Verwirrung beginnt mit der Bezeichnung der Fratelli als „postfaschistisch“ – ein Begriff, der durch das Präfix „post“ eigentlich etwas meinen sollte, was danach kommt, was mit der dunklen Geschichte bricht (analog zum Wort „postkolonialistisch“). Tatsächlich will man damit freilich auf das Gegenteil hinweisen, nämlich die mangelnde Aufarbeitung und mehr oder minder sublime Weiterführung des faschistischen Erbes.

Weichgespülter Wahlkampf

Dieses Erbe, und damit wären wir bei der zweiten, eigentlichen Täuschung, ist in ­Giorgia Melonis Programmatik nach wie vor erkennbar. Auch wenn sie im Wahlkampf ihren Ton drosselte, auch wenn sie ihre ehemaligen EU-Austritts-Träume für sich behielt und die transatlantische Orientierung sowie ihre Zustimmung zu den Russland-Sanktionen betonte, um nicht die Finanzmärkte zu verschrecken und Italien nach dem Reformfeuerwerk Mario Draghis weiterhin die überlebenswichtigen EU-Coronahilfen zu sichern: Ihr Ziel ist das Wiedererstarken der Nation und die Umwandlung Italiens in eine autoritäre Präsidialrepublik.

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