Lob des "Systems": Zur Bundespräsidentenwahl

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Trotz aller Krisen brachte die Bundespräsidentenwahl ein erfreulich klares Votum für Vernunft im Umgang mit den demokratischen Institutionen. Lern- und Erneuerungsbedarf gibt es gleichwohl.

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Trotz aller Krisen brachte die Bundespräsidentenwahl ein erfreulich klares Votum für Vernunft im Umgang mit den demokratischen Institutionen. Lern- und Erneuerungsbedarf gibt es gleichwohl.

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Ein paar Tage ist der Urnengang erst her, und doch scheint er schon wieder aus der Zeit gefallen: Zu gewaltig, ja zu monströs sind die Schlagzeilen, die frühmorgens die neue Lage definieren. Angesichts der jüngsten Eskalationen im Ukra­ine-Krieg und eines vom US-Präsidenten an die Wand gemalten „Armageddon“ ist die Wahl des österreichischen Bundespräsidenten doch eher sekundär.

Trotzdem – oder genau deshalb – lohnt der nähere Blick auf das Ergebnis des vergangenen Wahlsonntags. Dass Amtsinhaber Alexander Van der Bellen bereits im ersten Durchgang bestätigt werden würde, war zwar wahrscheinlich, aber angesichts der schieren Anzahl an Herausforderern und der allgemeinen Stimmungslage inmitten multipler Krisen keineswegs gesichert. Schon gar nicht in einer Deutlichkeit von 56,7 Prozent. Dass es dazu kam, ist erfreulich.

Wie tief der Vertrauensverlust, ja die Verachtung gegenüber der Politik mittlerweile reichen, offenbarte freilich die inflationäre Rede vom „System“, das es gleichsam sturmreif zu schießen gelte – angefangen mit der prompten Entlassung der Bundesregierung. Dass immerhin 35 Prozent der Wahlberechtigten am Sonntag einem jener fünf Kandidaten ihre Stimme gaben, die dies mehr oder weniger sofort nach ihrer allfälligen Kür umzusetzen planten, muss alarmieren.

Etablierte gegen das „Establishment“

Wobei „das System“ als Feindbild bekanntlich mehr als die Regierungsbank umfasst, nämlich im Grunde alle Institutionen einer liberalen Demokratie – von der unabhängigen Justiz bis hin zu unabhängigen Medien. Diese Säulen beständig zu diskreditieren, zu delegitimieren und damit die offene Gesellschaft zu destabilisieren, gehört zur DNA rechts- wie linksextremer Demagog(inn)en. Schon bei den Nazis beliebt und bei den Corona-Demos reanimiert, hat sich der Terminus „System“ mittlerweile tief in den allgemeinen Sprachgebrauch eingebrannt. Dass sich mit dem ehemaligen Nationalratsabgeordneten, Klubchef und Volksanwalt Walter Rosenkranz ein ausgewiesener Vertreter dieses „Systems“ zu dessen Gegenpol stilisierte – und vom Boulevard unterstützte Rechtsanwälte bzw. Ex-Politiker gegen das „Establishment“ wetterten, bleiben die irrwitzigsten Pointen dieses irrwitzigen Wahlkampfs.

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