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Medienpolitik: Die Schlafwandler

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Auf dem österreichischen Medienmarkt zeigen sich dramatische Auflösungserscheinungen. Wenn die Politik nicht endlich kraftvoll agiert, kollabiert die mediale Vielfalt - und damit eine Säule der Demokratie.

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Auf dem österreichischen Medienmarkt zeigen sich dramatische Auflösungserscheinungen. Wenn die Politik nicht endlich kraftvoll agiert, kollabiert die mediale Vielfalt - und damit eine Säule der Demokratie.

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Akteure, die mit nachtwandlerischer Sicherheit lange auf einem Seil über einem Abgrund balancieren, bis die Balance jäh zusammenbricht: So zeichnet Christopher Clark in seinem Bestseller „Die Schlafwandler“ Europas politische Eliten am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Lange hatten diese das Offensichtliche verdrängt – bis sich die toxischen Dynamiken plötzlich verselbstständigt hatten und sie einfach überrollten. Man war gleichsam in den Krieg gestolpert.

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Ein Vergleich von 2023 mit den Ereignissen von 1914 mag übezeichnet sein; Realitätsverweigerung hinsichtlich von Vorgängen, die das gesellschaftliche Gefüge – heute die liberale, repräsentative Demokratie – bedrohen und am Ende schneller als gedacht hinwegfegen könnten, findet man aber auch in der Gegenwart.

Besonders dramatisch zeigt sich das aktuell anhand der klassischen Medien. Diese waren und sind zwar nicht die „vierte Gewalt“ im Staat, als die sie sich manchmal noch immer fühlen. Unverzichtbar für die Infrastruktur der Demokratie und das Schaffen einer gemeinsamen Öffentlichkeit, in der politische Entscheidungen verhandelt werden und sich nicht nur Meinungen und Ressentiments in Blasen hochschaukeln, sind sie gleichwohl.

Eine toxische Gemengelage bringt sie freilich existenziell in Bedrängnis: Die erdrückende Marktmacht der digitalen Tech-Plattformen lässt die Werbeeinnahmen dahinschmelzen, zugleich sind Digital-Abos nur schwer zu lukrieren, weil wertvolle Inhalte allzu lange verschenkt wurden – bzw. noch immer werden. Zusätzlich sind auch die Energie- und Papierpreise explodiert. Die Folge in Deutschland ist ein Kahlschlag im Magazinbereich, in Österreich sahen sich zuletzt große Tageszeitungstitel wie der Kurier und die Kleine Zeitung (die wie DIE FURCHE zur Styria Media Group gehört) zu personellen Einschnitten gezwungen.

Dysfunktionaler Markt

Der enorme Vertrauensverlust, der mittlerweile alle Institutionen betrifft, kommt noch erschwerend hinzu. Befeuert wurde er durch individuelles Fehlverhalten und ein völlig intransparentes System öffentlicher Inseratenvergabe, bei dem vor allem der mächtige Boulevard profitierte (bzw. mutmaßlich selbst „Schutzgeld“ verlangte) – das am Ende aber das Image der gesamten Branche beschädigt hat.

Der letzte dystopische Akt wurde durch ChatGPT eingeläutet. Soll uns wirklich eine Maschine die Welt deuten?

Das ist umso verheerender, als angesichts eines dysfunktionalen Marktes – zumal in Österreich – Qualitätsjournalismus ohne öffentliche Förderung nicht überlebensfähig ist. Qualität hat ihren Preis, und auch Qualitätsjournalismus kostet. Dass es nicht gelungen ist, das beim österreichischen Publikum plausibel zu machen, ist ein großes Drama.

Dessen letzter dystopischer Akt wurde nun durch Künstliche Intelligenz, konkret ChatGPT, eingeläutet. Eine Maschine, die auf Basis von Mustern (samt aller Vorurteile) die Welt deutet, dazu professionelle Desinformation und eine Gesellschaft, die ihre kostbare Aufmerksamkeit längst lieber (a)sozialen als klassischen Medien widmet: Das ist die Zukunft, auf die wir hinsteuern.

Was das verhindern könnte? Eine Medienpolitik, die diesen Namen auch verdient: die nicht mit den Rezepten von heute oder gar gestern auf fundamentale Umwälzungen reagiert, sondern in gebotener Transparenz Qualitätsjournalismus als Säule der Demokratie fördert; die neben aller Entfesselung des ORF darauf achtet, dass auch die Privaten überleben können und die für die Demokratie unabdingbare Medienvielfalt erhalten bleibt; die den Presserat so finanziert, dass er weiter Qualität sichern kann; und die rare Medien wie die Wiener Zeitung nicht abdreht, sondern in die Eigenverantwortung entlässt. Zugleich muss allen klar sein, dass Qualitätsjournalismus etwas kostet. Und jenen, die ihn leisten, dass ihre Aufgabe des Vermittelns stets auf Augenhöhe zu geschehen hat.

Höchste Zeit, mit dem Schlafwandeln aufzuhören.

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