Regierungsbildung
DISKURSNach der Wahl: Wessen Wille geschehe?
Herbert Kickls FPÖ hat die Nationalratswahl fulminant gewonnen. Doch 70 Prozent haben den selbsternannten „Volkskanzler“ nicht gewählt. Nebst aller nötigen Selbstkritik muss man diesem Votum für die liberale Demokratie Rechnung tragen.
Herbert Kickls FPÖ hat die Nationalratswahl fulminant gewonnen. Doch 70 Prozent haben den selbsternannten „Volkskanzler“ nicht gewählt. Nebst aller nötigen Selbstkritik muss man diesem Votum für die liberale Demokratie Rechnung tragen.
Es war Anfang Oktober 1999, als Jörg Haider auf dem Stephansplatz sein Wahlkampffinale zelebrierte. Neben der Bühne stand ein junger Mitarbeiter aus Kärnten, der angesichts all der Euphorie „eine Ganslhaut“ bekam. Am Sonntag darauf erreichte Haider tatsächlich 26,9 Prozent – und landete hinter der SPÖ von Viktor Klima auf dem zweiten Platz. Wie es weiterging, ist Legende: Bundespräsident Thomas Klestil gab zwar Klima den Regierungsbildungsauftrag, Wolfgang Schüssel schmiedete aber derweil ein Bündnis mit den Blauen – und wurde als Dritter Kanzler.
25 Jahre nach Haider stand vergangene Woche sein einstiger Mitarbeiter selbst auf dem Stephansplatz. „Was wäre dem Land erspart geblieben, wenn es einen Kanzler Haider gegeben hätte?“, rief er ins Glockengeläut des Steffl. „Diesen Fehler werden wir nicht noch einmal machen.“ Nun hat Herbert Kickl den Triumph seines Idols mit rund 29 Prozent der Stimmen noch übertroffen. Sein fulminanter Erfolg ist das Ergebnis der Schwäche seiner Gegner – aber auch einer über Jahre konsequent verfolgten Strategie. Wie kein anderer versteht es Kickl, den Frust durch Kriege, Krisen, Teuerung, (digitale) Transformation und die Herausforderungen der Migrationsgesellschaft mit einer verklärten, ja esoterisch anmutenden Gegenerzählung aufzufangen. Ein „Familienvater“, der als „Werkzeug“ den „Willen des Volkes“ geschehen lasse. Das Ressentiment als rechtspopulistische Essenz ist aber geblieben: Nun werden auch die „Besserwisser“ – neben den „Eindringlingen“ – zu Feindbildern erklärt. Die Pannen der Coronapandemie spielen Kickl dabei in die Hände.
Taktik – oder Verantwortung?
Nun stellt er den Kanzleranspruch, den „Fehler“ Haiders wird er nicht wiederholen. Verwehrt man ihm dies, wird das seine Erzählung vom bösen „System“ befeuern. Das weiß die ÖVP, die demnächst in Vorarlberg und der Steiermark zwei Landeshauptmannsessel verteidigen muss und deshalb – taktisch klug – auf Einhaltung der Usancen pocht. Wohl wissend freilich, dass Alexander Van der Bellen die Ernennung Kickls zum Kanzler (und man selbst eine Zusammenarbeit) dezidiert ausgeschlossen hat.
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