"Neue Volkspartei": Zeit der Läuterung
Der „neue Stil“ der neuen Volkspartei hat sich als Täuschung erwiesen. In der ÖVP braucht es nun eine ernsthafte Zäsur – und im politmedialen System die längst überfällige Transparenz.
Der „neue Stil“ der neuen Volkspartei hat sich als Täuschung erwiesen. In der ÖVP braucht es nun eine ernsthafte Zäsur – und im politmedialen System die längst überfällige Transparenz.
Versuchen wir, die Dinge einmal nüchtern und positiv zu sehen: Österreichs Demokratie ist reif – so reif, dass die Justiz ohne Ansehen der Person ermittelt und eine Regierungskrise nicht automatisch zur Staatskrise avanciert. Eine „schöne“ oder zumindest strapazierfähige Verfassung, ein besonnener Bundespräsident, eine kritische Öffentlichkeit und mutige – wenn auch keineswegs fehlerlose – Ermittler(innen) haben das Ihre zu dieser Reifeprüfung beigetragen.
Man könnte die vergangene Woche aber auch pessimistischer, ja ernüchtert rekapitulieren: Die Chat-Protokolle, welche u. a. zu Hausdurchsuchungen in den Machtzentren der ÖVP sowie des Gratisblattes Österreich führten, offenbaren einen Grad an politmedialer Verkommenheit und Amoral, der schlicht den Atem raubt. „So sind wir nicht“: Das konnte Alexander Van der Bellen vielleicht noch nach jenem feuchtfröhlichen Abend auf Ibiza sagen, an dem sich Politiker ohne Amt ihrem Machtrausch ergaben – aber nicht mehr angesichts dieses 104-seitigen Dokuments eines im großen Stil geplanten und umgesetzten „neuen Stils“.
Dieser, so viel scheint mittlerweile klar, hat sich als Täuschung erwiesen. Statt dem Anpatzen zu widersagen, wie es in Sonntagsreden hieß, hat die „neue Volkspartei“ unter Sebastian Kurz die in diesem Land vorhandene politmediale Unkultur professionalisiert und auf ein neues Niveau gehoben. Den strafrechtlichen Gehalt der Vorwürfe zu prüfen, ist nun Aufgabe der Justiz – es gilt für alle Beschuldigten wie auch für den Ex-Kanzler die Unschuldsvermutung. Politisch ist freilich ein anderer Maßstab anzulegen: Hier geht es auch um Charakter(losigkeit) – und, ja, um Moral.
Mehr als „schön sprechen“
An einer Reanimation dieses angestaubten Begriffs kommt man angesichts der jüngsten Ereignisse nicht herum – mögen sich Neokonservative noch so sehr daran abarbeiten und über gleichsam totalitäre „Hypermoral“ (Alexander Grau) empören. Moral und Anstand, das waren und wären ureigenste bürgerliche Tugenden – die freilich über „schönes Sprechen“ hinausreichen und sich auch in Haltung und Taten zeigen müssen. Alles andere wäre „rohe Bürgerlichkeit“, wie sie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer nennt.
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