Neuwahl der ORF-Generaldirektion: Gefährliche Ignoranz

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Nicht einmal die anstehende Neuwahl der ORF-Generaldirektion reißt die Zivilgesellschaft aus dem Schlaf. Dabei „gehört“ ihr – als Gebührenzahlerin – der ORF ja eigentlich …

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Nicht einmal die anstehende Neuwahl der ORF-Generaldirektion reißt die Zivilgesellschaft aus dem Schlaf. Dabei „gehört“ ihr – als Gebührenzahlerin – der ORF ja eigentlich …

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Am 28. Juli endete die Bewerbungsfrist, am 10. August wird der 35-köpfige Stiftungsrat des ORF den Generaldirektor/die Generaldirektorin für die nächsten fünf Jahre wählen. Ein politisierter Vorgang: 18 Stiftungsmitglieder werden dem türkisen Lager zugerechnet, sodass die Kanzlerpartei – auf dem Papier jedenfalls – locker den von ihr präferierten Kandidaten durchbringen kann.

Den politischen Auguren zufolge sollte ORF-Vize-Finanzchef Roland Weißmann die besten Karten haben, auch wenn dieser seit seiner erst vor einer Woche bekanntgegeben Kandidatur nicht müde wird zu betonen, keiner Partei anzugehören oder verpflichtet zu sein. Daneben ist auch noch eine zweite „Bürgerliche“, ORF 1-Channel-Managerin Lisa Totzauer, in den Ring gestiegen; ihre Chancen auf den Spitzenjob in Österreichs größtem Medienunternehmen gelten als ebenso überschaubar als jene des derzeitigen Amtsinhabers Alexander Wrabetz, der das bislang einmalige Kunststück geschafft hat, zweimal wiedergewählt zu werden. Fürs dritte Mal dürfte es sich nicht ausgehen – was aber nichts über die Performance von Wrabetz aussagt (die wohl kritisch zu beleuchten wäre), sondern über die realpolitischen Machtverhältnisse.

Eine Fußnote zur Politisierung der Wahl ist das im ORF-Gesetz, das aus der schwarzblauen Koalition unter Wolfgang Schüssel stammt, festgelegte offene Votum: Dass in früheren ORF-Wahlen ein „sicherer“ Kandidat schon einmal durchfiel, weil in geheimer Abstimmung dann einer zum Zug kam (darunter auch einmal der legendäre Gerd Bacher), der der politischen Mehrheit nicht genehm war, sollte verhindert werden. Es mutet da als Treppenwitz der Geschichte an, wenn Herbert Kickl, der Vormann der Blauen, nun „Geheime Abstimmung!“ schreit …

Wer übernimmt Anwaltschaft für ORF?

All dies läuft einmal mehr unter parteitaktischen Auspizien ab. Natürlich fragt man, ob die (türkise) Message Control auch beim ORF gestärkt werden soll; Ängstliche nehmen gar das Schreckgespenst „Orbánisierung“ in den Mund. Man darf da einerseits beruhigt sein: Die Gesetzeslage lässt derartiges jedenfalls nicht im Handstreich zu. Andererseits gibt es – auf der Ebene der Landesstudios – diese Message Control längst: Die im jeweiligen Bundesland politisch Mächtigen halten ihre „schützende“ Hand über die regionale Berichterstattung. Das müsste thematisiert und endlich abgestellt werden.

Über die Justierung eines öffentlichen Mediums wie des ORF wäre um der Demokratie willen zu streiten.

Otto Friedrich

Aber findet sich jemand, der eine Anwaltschaft dafür übernimmt? Es sieht eher so aus, als ob das Interesse an der öffentlichen Anstalt ORF enden wollend ist. Dabei gäbe es genug Fragen, die – abgesehen vom Leitungspersonal – dringlich wären: Was bedeutet ein öffentlich-rechtliches Medium unter den aktuellen Bedingungen der Branche? Die Trennung in Übertragungsplattformen wie Radio, TV, Print und Online ist längst obsolet. Wie und mit welcher Berechtigung und für welche Medienprodukte soll es eine öffentliche Anstalt wie den ORF geben?

Bislang findet diese Debatte nicht statt; es wird aufgrund historischer Zufälligkeiten weitergewurstelt: Der ORF betreibt – zum Missfallen der Zeitungsverleger – die erfolgreichste heimische News-Seite im Web. Gleichzeitig sind ihm Social Media Aktivitäten per Gesetz weitgehend untersagt. Und die Finanzierung erfolgt über eine Apparate-Steuer, die völlig aus der Zeit gefallen ist, weil ORF-Angebote nichts mehr mit dem Besitz von Radio- und TV-Geräten zu tun haben. Darüber und zuvorderst über die Justierung eines öffentlichen Mediums als Diskursraum um der funktionierenden Demokratie willen wäre zu streiten. Eine Aufgabe für die Zivilgesellschaft also. Doch die scheint – nicht nur wegen des Sommerlochs – zu schlafen. In der fragmentierten Diskurslage mit ihren Polarisierungen ist dies aber eine gefährliche Ignoranz. Das Erwachen könnte ein böses sein.

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