Politik der Demütigung

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Es war gar nicht die „blaue“ Handschrift im Kabinett Kurz I, die für die Grauslichkeiten in der Integrationspolitik verantwortlich war. Wir lernen: Es sind genuin „türkise“ Positionen.

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Es war gar nicht die „blaue“ Handschrift im Kabinett Kurz I, die für die Grauslichkeiten in der Integrationspolitik verantwortlich war. Wir lernen: Es sind genuin „türkise“ Positionen.

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Im Wahlkampf 2019 war – im Gegensatz zu jenem von 2017 – das Islam-Thema nicht an der vordersten Stelle zu finden. Doch die Hoffnung des Leitartiklers, nach geschlagener Wahl könne mehr „rationaler denn emotionaler Diskurs“ stattfinden (nachzulesen hier), hat sich ganz und gar nicht erfüllt. Der kleine Maxi (auch unter den Journalisten) stellt sich ja vor, dass Politik letztlich darauf gerichtet ist, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und möglichst vielen im Land ein gutes Leben zu ermöglichen. Und in einem Regierungsprogramm, das auf fünf Jahre ausgelegt ist, möchte man Spuren derartiger Vision vorfinden.

In Bezug auf den Umgang mit dem Islam sowie im Integrationskapitel des Regie­rungsprogramms generell muss man diese Spuren mit der Lupe suchen. Auch die diesbezüglichen Äußerungen der neuen Integrationsministerin lassen jegliche visio­näre Perspektiven vermissen (vgl. dazu den aktuellen Herausgeber-Kommentar von Heinz Nußbaumer).
s kommt noch schlimmer: Herrschte in der Regierung Kurz I der Eindruck vor, Türkis müsse sich halt in Flüchtlings- und Islamfragen immer wieder dem blauen Koalitionspartner beugen, so stellt sich nun her­aus (oder wird insinuiert), dass ebendiese Hardliner-Zugänge genuin türkise Politik wären. Hat nicht, um ein einziges Beispiel zu nennen, die Regierung Kurz I den UN-Migrationspakt mitverhandelt, um dann auf blauen Druck (so die Mär) selbigen nicht zu unterzeichnen? Warum bleibt das Kabinett Kurz II ohne Not bei dieser Position? Man findet viele weitere, angebliche Zugeständnisse an die damalige FPÖ nun auch im türkis-grünen Koalitionspakt. Von einer „grünen“ Handschrift ist in diesem Bereich sowieso kaum etwas sichtbar.

Keine Kommunikation mit Betroffenen

Von Solidarität (einer christlich-demokratischen Partei ins Stammbuch geschrieben: eine der Grundsäulen der Katholischen Soziallehre) kann hier keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Dass sich Österreich zurzeit weigert, über die Lösung der Flüchtlingsproblematik auf europäischer Ebene auch nur zu reden, zeigt, wie sich die „Mir-san-mir-Mentalität“ eines Viktor Orbán in dieser Regierung wiederfindet. Man muss entsetzt konstatieren, dass Fragen, über die man noch vor Kurzem reden konnte – und über die man weiter reden muss! –, nicht mehr angegangen werden.

Muslime, Flüchtlinge, Migranten werden von dieser (Regierungs!-)Politik zum wohlfeilen Feind erniedrigt.

Am schlimmsten ist es, wenn nicht einmal der Versuch gemacht wird, eine öffentliche Kommunikation darüber in Gang zu setzen, wie die Probleme rund um Integration, Flüchtlinge und eben den Islam anzugehen sind. Eine Kommunikation auch und gerade mit den Betroffenen.

Beim Islam-Thema zeigt sich besonders, wie prekär dieser Nicht-Diskurs verläuft: Wer redet mit den Muslimen im Land und bindet sie in die Auseinandersetzung ein? Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner hat dies in seinem Blog mit dem Titel „Die Kopftuchkränkung. Demütigung ist kein guter Weg zur Integration“ auf den Punkt gebracht: Niemand leugnet Probleme, die sich im Zusammenleben auch mit Muslimen ergeben. Aber nur gegen sie wird Friede in der Gesellschaft nicht erreicht. Im Gegenteil. Das ist im Übrigen eine Position aller relevanten Religionsgemeinschaften im Land.

Muslime, Flüchtlinge, Migranten werden von dieser (Regierungs-!)Politik zum wohlfeilen Feind erniedrigt. Das kann auf lange Sicht nicht gutgehen. Von einer zukunfts­orientierten Regierung würde man erwarten, dass sie genau dem gegensteuert. Mag ja sein, dass dies im Augenblick wenig populär ist. Aber sie hätte fünf Jahre Zeit, es seriös anzugehen und nicht vom ersten Augenblick an den Wahlkampf zu perpetuieren. Man fügt mit Bitterkeit hinzu: Der Wahlkampf war noch harmlos, wenn man die Agenda, die hier auf dem Tisch liegt, ernstnimmt.

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