Putins Versteher

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Wer Verschwörungserzählungen anhängt, findet sich von Wladimir Putins Narrativen gut bedient. Diese sind zu bekämpfen, ohne in eine Weltsicht zu verfallen, die Russland alles Böse zuweist.

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Wer Verschwörungserzählungen anhängt, findet sich von Wladimir Putins Narrativen gut bedient. Diese sind zu bekämpfen, ohne in eine Weltsicht zu verfallen, die Russland alles Böse zuweist.

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Gerät man dieser Tage in eine der immer noch vonstatten gehenden Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen – wogegen wird da noch demonstriert, und welche Sorgen haben deren Teilnehmer da angesichts der Weltlage? –, so springen einem russische Fahnen und Putin-Versteher ins Auge: Man stellt fest, dass sich die Narrative des russischen Angreifers in die Verschwörungserzählungen der Corona-Leugner einfügen. Auch wenn das, wogegen diese Herrschaften angeblich auf die Straße gehen – Einschränkung der Freiheit, Machtübernahme durch finstere Eliten –, sich genau auf Putins Agieren in der Ukraine beziehen müsste, ist das Gegenteil der Fall: Weil auch Putin die (westliche) Welt gegen sich verschworen sieht, gehört er in die Internationale der Entrechteten dieser Welt.

Auch diesbezügliche Rechtskatholiken kühlen ihr Mütchen da gerne weiter: Der – immer noch den Titel „Erzbischof“ tragende – Ex-Nuntius Carlo Mario Viganò ereiferte sich dieser Tage mit der Verschwörungserzählung, dass (von Bill Gates angefangen) der „Great Reset“, mittels dem die Menschheit unterjocht werden soll, nun von den – natürlich vom Westen unterwanderten – ukrainischen Akteuren vorangetrieben werden solle, würden nicht Putin & Co dem nun einen Riegel vorschieben.

Jedes noch so absurde Narrativ findet seine Gefolgschaft; aber selbst wenn Meinungsfreiheit auch die Freiheit beinhaltet, jeden Unsinn äußern zu dürfen, gibt es Grenzen der Toleranz: Wer Putins Agieren in der Ukraine rechtfertigt, der ist in einer liberalen Gesellschaft nicht satisfaktionsfähig. Und wer dazu gar noch mit religiösen Bildern (etwa aus der Apokalypse) arbeitet, der ist erst recht zu bekämpfen. Auch die Theoretiker der offenen Gesellschaft wie Karl Popper haben hier rote Linien gezogen.

Eine Allianz der Verharmloser

Zum Teil kommen die Putin-Versteher auf leiseren Sohlen – etwa Sonntags-
Krone-Schreiber Tassilo Wallentin (man erinnere sich: Die FPÖ wollte diesen Zeitgenossen in den Verfassungsgerichtshof hieven!), der Außenminister Alexander Schallenberg ob dessen „undiplomatischer“ Twitter-Botschaften gen Moskau beschimpfte. Russlands Agieren versteht Wallentin als das einer „Schutzmacht“ der Ukraine gegen die „Marionette korrupter Oligarchen“ (so seine Qualifizierung von Wolodymyr Selenskyj), auch wenn er es am Ende mit Krokodilstränen doch irgendwie missbilligt.

Auch die Küchenpsychologie, die Putins Angriff als Folge einer narzisstischen Kränkung durch den Westen erklärt, verharmlost das Geschehen. Ganz egal, wie es ums Nervenkostüm des armen Herrn im Kreml bestellt ist: Anno 2022 darf eine Lösung auf dem Schlachtfeld, das eben ein Hinschlachten Unzähliger bedeutet, nicht mehr akzeptiert werden. Da muss die freie Welt so klar und so einmütig wie möglich auftreten.

Gleichzeitig führt die aktuelle Situation aber auch dazu, in einen kollektiven Manichäismus zu verfallen: Die Welt wird im Krieg der Worte wie im buchstäblichen Krieg schnell in Gut und Böse eingeteilt. Auch das kommt dem Kriegstreiber zupass: Weder Russland noch seine Menschen sind „die Bösen“, Wladimir Putin und sein Apparat müssen bekämpft werden. Dennoch gilt es, gleichzeitig nach Kommunikationsmöglichkeiten auch in die russische Sphäre hinein zu suchen. Das klingt nach einer Quadratur des Kreises, gehört aber zu den wenigen Auswegen, die zurzeit bleiben.

Erhard Busek hat in einer seiner letzten öffentlichen Wortmeldungen davor gewarnt, etwa die Verbindungen zwischen dem Westen und Russland auf universitärer Ebene zu kappen. Irgendwo müssen Menschen, die guten Willens sind, noch zusammenkommen können. Diese Orte und Chancen müssen gesucht – und gefunden werden.

Das ist aber etwas Anderes, als was Putin-Versteher auch hierzulande vorgeben.

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