Ukraine: Die Wahrheit des Krieges

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Durch Krisen - und erst recht durch Kriege – werden menschliche Abgründe und globale Ungerechtigkeiten zur Kenntlichkeit entstellt. Wie weit reicht im Ernstfall unsere Solidarität?

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Durch Krisen - und erst recht durch Kriege – werden menschliche Abgründe und globale Ungerechtigkeiten zur Kenntlichkeit entstellt. Wie weit reicht im Ernstfall unsere Solidarität?

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Das erste Opfer jedes Krieges sei die Wahrheit, heißt es. Und tatsächlich folgte auch auf Putins Angriff auf die Ukraine ein Ausmaß an Lügen und Propaganda, das den Atem stocken lässt – gipfelnd im bizarren Versuch, selbst das Offensichtlichste zu leugnen und sprachlich aus der Welt zu schaffen: dass nämlich auf Befehl des Kremls ein vernichtender Krieg begonnen wurde – und keine „militärische Spezialoperation“.

So verschüttet die Wahrheit unter den Bomben und Granaten auf ukrainische Städte, Dörfer, Theater und Krankenhäuser liegt, so sehr erweist sich der aktuelle Krieg freilich auch als Wahrheitsmoment. Schon während der Pandemie war vielfach davon die Rede, dass bestehende Missstände in dieser kolossalen Krise plötzlich wie unter einem Brennglas vergrößert und dadurch für alle sichtbar würden – von der Benachteiligung des globalen Südens (Stichwort Impfstoffverteilung) über die Ausbeutung und Abhängigkeit von osteuropäischen Pflegerinnen bis zu den unterschiedlichen Lockdown-Belastungen durch die mehr oder minder beengte Wohnsituation.

Der Krieg ist nun ein solcher Wahrheitsmoment zur Potenz: ein Ereignis, das nach dem französischen Philosophen Alain Badiou brutal eine tiefere Wahrheit von dem offenbart, was wir zuvor nicht sehen wollten oder konnten – und das so einschneidend ist, dass wir das Leben danach rückwirkend anders beurteilen und dadurch womöglich auch anders in die Zukunft gehen werden.

Doppelmoral in der Asylpolitik

Besonders greifbar wird dieser Moment der Wahrheit über unsere Welt und nicht zuletzt uns selbst beim Umgang mit Geflüchteten. Das Ausmaß an europäischer Solidarität mit den Millionen Menschen, die von einem Tag auf den anderen aus ihrer Heimat vertrieben wurden und mit wenigen Habseligkeiten flüchten mussten, ist beeindruckend. Plötzlich wurden Maßnahmen möglich, die im Sinne einer humanen, aber auch volkswirtschaftlich sinnvollen Asyl- und Integrationspolitik seit jeher erfolglos gefordert worden waren: vom raschen Zugang zum Arbeitsmarkt (statt individuell zermürbender und staatlich kostspieliger Verurteilung zum Nichtstun) über einfache Behördenwege bis zur raschen Nostrifizierung von Abschlüssen.

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